Evolution und Innovation: Wir mögen den Zufall als Erklärung nicht

by Dirk Elsner on 25. April 2016

Ich beschäftige mich hier in diesem Blog ja seit einigen Monaten mit der Verwendung der modernen Evolutionstheorie als Grundlage für ökonomische Fragestellungen (letzter Beitrag hier). Diese Reihe hat nichts mit der Evolutionsökonomik zu tun, einem Forschungsgebiet der Wirtschaftswissenschaft, das sich mit der Rolle des Wissens, seinem Wandel und seinen Begrenzungen für die Wirtschaft befasst. Die Evolutionsökonomik befasst sich u.a. zurückgehend auf Schumpeter mit Innovationen, technischem Fortschritt und Unternehmertum und den daraus erzeugten Wandlungsprozessen der Wirtschaft (Wikipedia). Die biologische Evolution wird hier nur analog angewendet. Fgh

clip_image002

Ergebnis der Evolution: Frosch auf Eleuthera

Dazu passen entdeckte ich am Wochenende auf der Suche nach den Stichworten “Innovation und Zufall” im Blog Divergent den Beitrag “Erfolgreiche Innovation ist 50% Zufall – mindestens”. Dieser Beitrag spießt ein Phänomen auf, das ich hier im Blog schon oft thematisiert habe, nämlich, dass für Erklärungen von Erfolg oder Misserfolg von Unternehmen, Ländern, Modellen, Produkten meist die Rolle des Zufalls unterschätzt wird. Vielen mag das heute kaum noch auffallen, weil sie sich daran gewöhnt haben, das “Experten” stets plausible Erklärungen für alle mögliche Ereignisse parat haben. So wissen diese Fachleute stets auch, was ein erfolgreiches Unternehmen ausmacht.

Ein gutes Beispiel dafür ist die Studie “Inside the Mind of the Chief Executive Officer”, über die das Handelsblatt vergangene Woche berichtete. Diese Studie will herausgefunden haben, wie der perfekte Chef sein muss und zählt dann eine Reihe von Eigenschaften auf, deren Aufzählung ich mir hier erspare. Erfolgskonzepte, Managementmoden und –philosophien haben ständig Hochkonjunktur. Schaut man sich die Flut von Ratgeberbüchern an, dürfte heute keine Firma oder Führungskraft mehr Probleme haben und eine Finanz- und Wirtschaftskrise hätte es nie geben dürfen (siehe dazu “Warum Managementratgeber nicht ratsam sind” und Managementmoden, Halo-Effekte und Seifenblasen der Management-Ratgeber).

Florian Rustler erklärt in seinem eingangs erwähnten Beitrag, das die Erklärungen über Erfolg und Misserfolg von einer Reihe von Annahmen ausgehen, nämlich

  1. Der Erfolg ist überhaupt erklärbar.
  2. Es gibt Kausalzusammenhänge zwischen den Aktionen bestimmter Akteure und dem beobachteten Ergebnis.
  3. Diese Zusammenhänge lassen sich erkennen.

Rustler verweist dann auf das Buch “Alles ist offensichtlich*: *sobald man die Antwort kennt” von Duncan J. Watts. Watts zeige “auf sehr interessante Weise auf, dass der Zufall eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt. Besonders in komplexen Systemen, in welchen es viele voneinander unabhängige Elemente gibt, die sich dennoch gegenseitig beeinflussen können, sind Handlungsergebnisse nicht vorhersagbar und sogar rückblickend auch nicht unbedingt kausal erklärbar.” Weiter schreibt Rustler:

“Wir Menschen haben das Bedürfnis Situationen immer plausibel erklären wollen, auch wenn wir eine Situation nicht wirklich verstehen. Zum Beispiel wird gerne analysiert warum sich ein bestimmtes Buch gut oder schlecht verkauft. Das Faszinierende ist, dass wir jedes Handlungsergebnis im Nachhinein plausibel erklären können, nach dem Motto „war ja klar“. Interessanterweise können wir das genaue Gegenteil ebenfalls absolut plausibel erklären.”

Diese Erläuterungen erinnern mich an Aussagen von Daniel Kahneman, über die ich z.B. in Kahneman zu falschen Begründungen und Vorhersagen einmal geschrieben habe. Tatsächlich spielt der Zufall auch eine große Rolle. Viele Menschen mögen ihn aber nicht als Erklärung akzeptieren. Und das bringt mich zu einem anderen Buch, das ich am Freitag auf der Fahrt nach Hause im Zug las: Evolution: Grundwissen Philosophie von Georg Toepfer.

Nach Töpfer ist das moderne Verständnis der Evolution der eines wesentlich auch durch Zufall geprägten Prozesses ohne Richtung und Programm, gerade weil dieser Prozess neue, vorher nicht existente Formen hervorbringt. Er schreibt Pos. 156:

“Niemals tritt nach Darwin eine Variation auf, weil sie für den Organismus nützlich ist und zu diesem Ziel erschaffen wurde; die Variationen gelten ihm vielmehr als Ergebnis des Zufalls. Gemeint ist damit, dass die Gesetze der Variation unabhängig von der Nützlichkeit der Variation gelten. Die Zufälligkeit besteht also darin, dass die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer Variation unabhängig von ihrer Zweckmäßigkeit ist; nicht gemeint ist damit, dass die Variation gar keine Ursache habe. »Zufall« bedeutet hier das Fehlen antizipierender Funktionalität, nicht physikalischen Indeterminismus oder Akausalität.

Mit der Anerkennung des Zufalls als eines wesentlichen Faktors der Evolution hängt es zusammen, dass sich kaum übergreifende Regeln oder Gesetze für den Verlauf der Evolution formulieren lassen. Mit N. Luhmann kann dieses Charakteristikum der Plan- und Gesetzeslosigkeit des Verlaufs geradezu als ein zentrales Definitionskriterium einer Evolutionstheorie verstanden werden: »eben das: daß man es nicht wissen, nicht berechnen, nicht planen kann, ist diejenige Aussage, die eine Theorie als Evolutionstheorie auszeichnet.”

Hier besteht eine deutliche Parallele zu Prozessen in der Wirtschaft. Florian Rustler schreibt:

“Trotz der Anwendung von Innovationsprozessen und Methoden kann man nicht vorhersagen, was am Ende herauskommen wird, sondern nur, dass etwas herauskommen wird. Wenn dann eine Lösung entwickelt wurde, kann man zwar rückblickend sagen, welchen Weg man gegangen ist und warum dieser Sinn macht.”

Rustler behauptet nicht, dass Innovation völlig vom Zufall abhängen und daher blind nach Versuch und Irrtum vorgehen sollten. Er denkt jedoch, “dass es uns guttun würde, uns stärker mit dem Gedanken anzufreunden, dass wir vieles nur begrenzt beeinflussen und steuern können.”

Previous post:

Next post: