Der Tag, an dem Wirtschaft stillsteht

by Dirk Elsner on 17. Dezember 2008

Das Wettrennen um die spektakulärsten Wirtschaftsprognosen ist in vollem Gange. Den kompletten Stillstand der Wirtschaft hat zwar noch niemand prognostiziert, einige Prognosen sind aber nicht mehr weit davon entfernt, wie z. B. die Prognosen von Gerald Celente (siehe dazu den gestrigen Beitrag in der Readers Edition). Düster bis zum Kriegsrecht

Das Wettrennen um die spektakulärsten Wirtschaftsprognosen ist in vollem Gange. Den kompletten Stillstand der Wirtschaft hat zwar noch niemand prognostiziert, einige Prognosen sind aber nicht mehr weit davon entfernt, wie z. B. die Prognosen von Gerald Celente (siehe dazu den gestrigen Beitrag in der Readers Edition).

Düster bis zum Kriegsrecht

So warnt der Informationsdienst GEAB laut der IBT, “dass die globale Systemkrise bereits im März 2009 auf eine neue Ebene eskalieren werde, wenn die breite Öffentlichkeit die verheerenden Auswirkungen realisiert: Explosive Massenentlassungen, ein drohender Kollaps der kapitalgestützten Rentensysteme, der vollständige Kontrollverlust der Verantwortlichen und Regierungen sowie die bittere Tatsache einer jahrelangen Weltwirtschaftskrise. Der Zeitpunkt einer Stabilisierung wird für Europa und Asien nicht vor Ende 2010 stattfinden, und für die USA und UK sogar erst 2018 kommen.”

Besser kann es noch Ron Paul,  republikanischer Bewerber für die Präsidentschaftswahl 2008. Paul hat die Finanzkrise bereits seit Jahren erwartet, und davor gewarnt, dass Amerikaner weit mehr ausgeben, als sie sparen. Paul hat lt. Finanznachrichten wiederholt vor sozialen Unruhen gewarnt, dessen Folge der Ausruf des Kriegsrechts in den USA sein würde.

Die Wirkung der Zukunft auf die Gegenwart

Kommen wir zurück auf die Auswirkungen der Zukunft auf die Gegenwart. Klar ist, Prognosen beeinflussen das Verhalten der Wirtschaftsteilnehmer direkt oder indirekt. Nun ist das menschliche Verhalten ein komplizierter Vorgang, über den es Bibliotheken an Literatur aber keine abschließende Gewissheit gibt. Eine These besagt aber, dass das Verhalten u.a. durch Änderung der Erwartungsbildung von Verbrauchern und Unternehmen beeinflusst wird.

Eine vereinfachte Wirkungskette könnte also so aussehen: Erwartet ein Unternehmen aufgrund von Prognosen, dass seine Kunden weniger kaufen, investiert es weniger. Dies wiederum führt zu Auftragsrückgängen und zu Arbeitslosigkeit. Dies wird in die Öffentlichkeit kommuniziert. In der Folge sorgen sich Arbeitnehmer, die gleichzeitig Konsumenten sind, um die eigene wirtschaftliche Zukunft und schränken den Kauf langlebiger Wirtschaftsgüter ein. Damit hat sich die anfängliche Erwartung des Unternehmers verselbstständigt.

Verzicht auf Prognosen kommt einem Blindflug gleich

Wohl um solche Effekte auszuschließen und die aktuelle Wirtschaftskrise nicht weiter zu verstärken, hat der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Dr. Klaus Zimmermann, eine Prognosepause angeregt. Er appellierte an die eigene Zunft, sich eine Zeitlang mit neuen Aussagen zurückzuhalten: “Wir sollten langsam aufhören, immer neue Horrorprognosen zu produzieren”, sagte er auf einer Veranstaltung seines Hauses am Dienstag in Berlin. Es bestehe bei sehr düsteren Prognosen die Gefahr von sich selbst erfüllenden Prophezeiungen. Der Wirtschaftsforscher wies darauf hin, dass es kein Modell gäbe, das eine Finanzkrise berücksichtigt. Derzeit sei die Datenlage so unsicher wie nie zuvor. “Alle Modelle bauen auf Erfahrungen auf.”

Dieser Vorschlag erscheint genauso gut geeignet, wie die Empfehlung, bei einer Nachtfahrt das Autolicht auszuschalten, um die Gefahren auf der Straße nicht zu sehen. Oder man könnte einem Schiff empfehlen, in einer Nebelbank das Radar abzuschalten. So braucht man die Riffe nicht zu fürchten.

Kritischerer Umgang mit Prognosen notwendig

Auf die Prognosen kann selbstverständlich nicht verzichtet werden. Aber Wissenschaftler und Medien tragen eine Mitverantwortung für einen kritischen Umgang mit diesen Prognosen. Hier bestehen indes Zweifel. Aktuell verfestigt sich der Eindruck eines “bizarren Wettrennens” (Süddeutsche) um die negativste Konjunkturprognose. Schlagzeilen wie “Ökonomen sehen Wirtschaft vor dem Kollaps” (Handelsblatt), “Düstere Konjunkturprognosen: Bundesrepublik droht Rekord-Rezession”. Spiegel Online), “Droht die Brutal-Rezession?” (Bild) oder “Es geht rasant abwärts” (Focus).

Eine Auseinandersetzung über Annahmen oder gar die methodische Genauigkeit der Prognosen fehlt allen oben genannten Artikeln. Dabei gibt DIW-Chef Zimmermann sogar zu, dass die emsig betriebene Kaffeesatzleserei der Wirtschaftsforscher nicht unbedingt etwas mit der Realität zu tun hat: Es sei eine “Frage der intellektuellen Redlichkeit” einzugestehen, dass “in den meisten Modellen, die wir für unsere Vorhersagen nutzen”, keine Finanzkrisen vorkämen.

Der Wirtschaftsweise Peter Bofinger bestätigt, dass nahezu alle Institutionen die Krise lange Zeit unterschätzt und somit psychologisch eher zur Stabilisierung der Lage beigetragen haben. Er räumt immerhin ein, dass Prognosen auch von der tatsächlichen Wirtschaftsentwicklung abweichen können. Daher solle man bei den derzeitigen Prognosen auf die hohe Unsicherheit hinweisen.

Nicht schön schreiben aber Mut machen

Es kann nicht darum gehen, die Wirtschaftslage schöner zu schreiben als sie ist. Dennoch dürfen die Prognosen nicht die Motivation mindern, die Krise zu überwinden. Schließlich haben negative Prognosen auch den Zweck, ihr Eintreffen durch rechtzeitige Maßnahmen zu verhindern. Dazu bedarf es vor allem Kreativität. Wie schrieb Paul Krugman gestern in seinem Blog: “Wir stecken tief in der Patsche. Da rauszukommen, wird viel Kreativität erfordern und wohl auch Glück.”

Wer Lust auf weitere düsterere Prognosen hat, der möge diesen Beitrag oder Roubinis Vision des Horrors für die amerikanische Wirtschaft lesen. Von da ab ist es bis zum Stillstand tatsächlich nicht mehr weit.

Beiträge zu dem Thema:

Dr. Doom – Nouriel Roubini, der dunkle Prophet?

Handelsblatt: Übersicht der Wachstumsprognosen: Wer was orakelt

Breite Front gegen Konjunkturprognose-Stopp

FAZ: DIW-Chef will Konjunkturprognosen stoppen

Süddeutsche: “Wettlauf der Pessimisten”

Blick Log: Medien als Beschleuniger der Finanzkrise und des Wirtschaftsabschwungs?

Was prognostizieren die Menschen, die die Finanzkrise vorhergesagt haben, heute?

Blick Log: Rennen um die düsterste Prognose

Blick Log: Roubinis Vision des Horrors für die amerikanische Wirtschaft

Die Prognosen derer, die auch die Finanzkrise vorhergesagt haben

Prognosen:

HWWI: Wachstumsminus von 1,2 Prozent

Sachverständigenrat Jahresgutachten: 2008/09 “Die Finanzkrise meistern – Wachstumskräfte stärken

Banken-Studie: 180 000 Jobs bedroht

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