Seit Wochen ist das Thema Prognosen, ihre Qualität und ihre Wirkung Thema fester Bestandteil dieses Blogs. Dr. Georg Erber* hat wieder einen interessanten Beitrag in der Readers-Edition veröffentlicht. Schwerpunkt diesmal ist die Schwierigkeit, Prognosen abgeben zu können, wenn der Orientierungsrahmen unsicher ist. Blick Log übernimmt diesen Beitrag unter den Lizenzbedingungen der Readers Edition:
Wirtschaftsprognosen unter politischer Unsicherheit
Ökonomische Prognosen können immer nur einen Zustand in der Zukunft beschreiben, der auf Annahmen über zukünftiges Verhalten der wichtigsten Akteure einer Wirtschaft basiert. Man spricht deshalb auch von bedingten Prognosen. Letztendlich ist es als ob sich die Katze in den Schwanz beißt. Wenn die Bundesregierung oder die Zentralbank als wichtigste wirtschaftspolitische Akteure ihr zukünftiges Verhalten nicht klar definieren können oder wollen, dann bleiben Prognosen der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung weitgehend Kaffeesatzleserei.
Man kann das Verhalten der übrigen Wirtschaftssubjekte wie Haushalte und Unternehmen versuchen in Modellen mittels Schätzung der durchschnittlichen Reaktionsmuster abzubilden, aber das Gewicht der beiden anderen Akteure macht eine solche Betrachtung unsinnig. Wenn ich nicht weiß, ob die Regierung ein zusätzliches Konjunkturprogramm von x-Prozent im kommenden Jahr verabschiedet oder nicht, dann lassen sich zukünftige Entwicklungen nur unter Setzung von jeweils bestimmten Annahmen vorherbestimmen. Man spricht deshalb besser auch von Szenarien im Sinne von wenn …, dann … Analysen.
Der Wirtschaftspolitik fehlt ein Orientierungsrahmen
Die Bundesregierung verhält sich derzeit völlig unsinnig, wenn sie einerseits auf die Prognosen der Wirtschaft und Wirtschaftsforschungsinstitute warten möchte, andererseits aber zugleich als wichtigster Akteur die anderen im Unklaren lässt wie sie sich bei Eintritt einer Rezession von x-Prozent der Gesamtwirtschaft verhalten möchte. Zwar deuten alle aktuellen Prognosen darauf hin, dass es einen deutlichen in der bisherigen Geschichte der Bundesrepublik Deutschland noch nicht da gewesenen konjunkturellen Einbruch geben könnte. Diese Prognosen beruhen jedoch im Prinzip darauf, dass die Bundesregierung auf weitere wirtschaftspolitische Maßnahmen zur Stützung der Konjunktur verzichtet. Mithin lautet die implizite Annahme aller bisher vorliegenden Prognosen: Es wird um einen Einbruch der Gesamtwirtschaft in Deutschland um x-Prozent kommen, wenn die Bundesregierung nichts dagegen unternimmt.
Die Schelte der Bundesregierung an die zu pessimistischen Prognosen ist aber fehl am Platze, wenn sie sich selbst nicht festlegen will, was sie unter den derzeitigen Umständen unternehmen wird. Wenn ich als einer der dominanten Akteure in der Wirtschaft durch unklare Signale über weitere Maßnahmen zur allgemeinen Verunsicherung der übrigen Akteure maßgeblich beitrage, dann werde ich zu einer zusätzlichen politischen Unsicherheit. Genau in dieser Situation befindet sich derzeit die Bundesrepublik Deutschland. Weil man die Folgen einer zusätzlichen öffentlichen Verschuldung im Zuge der sich abzeichnenden Rezession fürchtet – Peer Steinbrück ist hier der herausragende Repräsentant als Finanzminister – möchte man Zeit gewinnen und sucht nach Gründen für das eigene Zaudern.
Führung sieht anders aus
Die allgemeine Missstimmung, die sich derzeit in der deutschen Wirtschaft ausbreitet, beruht genau auf diesem Sachverhalt. Durch ein polyphones Orchester von widersprüchlichen Meinungen aus dem Regierungslager weiß niemand derzeit zu sagen, was am Ende dabei herauskommt. Wird das Konjunkturpaket II (intern als K2 gehandelt) nun überhaupt und wann verabschiedet werden? Niemand weiß genaues. Werden dabei 20, 50 oder doch nur 25 Mrd. Euro als Finanzrahmen eingesetzt? Niemand weiß es. Werden zusätzliche vorrangig öffentliche Investitionsprogramme oder auch Steuersenkungen – und falls letztere auch angestrebt werden – welche geplant? Durch all diese Unklarheiten ist ein rationaler Kalkül wie das kommende Jahr allein aus haushaltspolitischer Sicht verlaufen könnte, kaum gegeben. Anything goes, wenn man nicht weiß, was die Regierung am Ende unternehmen wird.
Warum sieht es bei der Geldpolitik anders aus?
Die Geldpolitik der EZB steht im Gegensatz zur Konjunkturpolitik weitaus weniger in der Kritik. Ein Grund hierfür ist, dass Trichet es trotz aller Unwägbarkeiten der letzten Monate seit dem Zusammenbruch von Lehmann Brothers, dem 9/15 der globalen Finanzmärkte, gelungen ist, durch rasches entschlossenes Handeln und eine entsprechende Kommunikation mit der Öffentlichkeit das Vertrauen zu schaffen, man würde die Wirtschaft nicht in eine schwere Finanzkrise stürzen lassen. Man musste gar nicht von Vornherein wissen, um wie viel Prozentpunkte die EZB die Zinsen senken würde und mit welchen anderen geldpolitischen Instrumenten sie notfalls intervenierte, die EZB genießt trotz dieser Unwägbarkeiten derzeit das Vertrauen der breiten Öffentlichkeit, notfalls das Notwendige zu tun. Dieses Vertrauenskapital hat sich die EZB seit ihrem Bestehen durch konsequente Geldpolitik bestehend insbesondere aus zinspolitischen Maßnahmen sowie einer rechtzeitigen Kommunikation mit der breiten Öffentlichkeit über ihre Ziele und Motive trotz der zurückliegenden Dekade erarbeitet.
Unkalkulierbare Risiken
Die Bundesregierung wirkt stattdessen derzeit wie ein konjunkturpolitischer Geisterfahrer, der sich nicht entscheiden kann, ob er nun auf der rechten oder linken Spur fahren soll. Trotz aller deklamatorischen Erklärungen der Kanzlerin und ihres Finanzministers – Michael Glos hat sich als Wirtschaftsminister schon längst aus dem Trio verabschiedet – hat niemand in der breiten Öffentlichkeit einen Durchblick was diese Regierung eigentlich will. Ihr Verhalten ist für die meisten Akteure unkalkulierbar geworden. Wenn die Bundesregierung hier nicht bald wieder Tritt fasst, dann dürfte sie durch ihre Unentschlossenheit die Krise maßgeblich verschärfen. Keine guten Aussichten für das kommende Jahr.
Es bleiben darüber hinaus eine Fülle weiterer Unsicherheiten bestehen. Die globalen Geld- und Kapitalmärkte befinden sich weiterhin in einem Ausnahmezustand der inversen Liquiditätsfalle und der Kreditklemme. Das Wechselkursgefüge steht in der Gefahr massive Wechselkursschocks zu erleiden. Es drohen auch weiterhin Zusammenbrüche großer Unternehmen – man denke nur an die Automobilbranche. Hinzu kommen die Risiken von Staatsbankrotten wie zuletzt in Island oder Ungarn, die nur durch massive Stützungsmaßnahmen der anderen Länder vorübergehend aufgefangen werden konnten. Wer da noch allzu große Hoffnungen hegt, dass in ein paar Monaten alles schon wieder vorbei sein könnte, der gibt sich offenbar Illusionen hin. Es wäre schön, wenn es so käme, aber allein mir fehlt der Glaube daran.
Dr. Erber arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und dürfte daher die Prognosepraxis aus erster Hand kennen.
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