An Deutschland offensichtlich vorbei gegangen ist eine zentrale Botschaft der US-FED, die Ben S. Bernanke am Dienstag ausgesendet hat. Er hat nämlich laut über neue Bilanzierungsregeln nachgedacht, die Banken nicht mehr zwingen, ihre Marktwertverluste weiter in wirtschaftlichen Situationen wie dieser abzuschreiben. Darüber schrieb gestern die New York Times. Da ich wenig Zeit habe, versuche ich, es kurz zu machen. Dabei verdient das Thema eigentlich eine tiefere Betrachtung.
Die aktuellen Bewertungsregeln nach den IFRS und hier insbesondere das Fair Value Prinzip wirken bekanntlich prozyklisch (siehe z.B. hier). Fair Value fordert eine Bewertung von Finanzinstrumenten – also Aktien oder Anleihen – zu Marktpreisen, sofern diese vorliegen. Diese beschert den Unternehmen bei boomenden Kapitalmärkten enorme Buchgewinne, umgekehrt werden bei abstürzenden Marktpreisen immense Abschreibungen fällig, selbst wenn sich fundamental nicht viel ändert. Dieses Bewertungsprinzip hat zwar nicht zur Finanzkrise verursacht, deren Auswirkungen aber m.E. erheblich verstärkt.
Die im September beschlossenen Erleichterungen sahen vor, dass Banken von diesem Prinzip abweichen können, wenn sie die Papiere nicht mehr im Handelsbestand halten. Dies wollten oder konnten viele Banken allerdings aus verschiedensten Gründen nicht und waren so zu immer höheren Abschreibungen gezwungen. Die Abschreibungen wiederum haben das Eigenkapital aufgezehrt und die Risikobewertung verschlechtert. In der Folge erhöhten sich die Kreditversicherungsprämien (Credit Default Swaps) für Bankenforderungen. Da diese Risikoprämien wiederum in die Modelle für die Bewertung bestimmter Aktiva einfließen, nämlich dann wenn kein Marktpreis vorliegt, entstand dadurch weiterer Abschreibungsbedarf (siehe hier zur Wirkung einer höheren Risikoprämie auf die Bewertung) und somit weitere Verluste.
Dieses race to the bottom könnte jetzt zumindest gestoppt werden. Denn so aufgeblasen die hohen Gewinne der (Investment-)Banken ex-post waren, so sehr schafft das Fair Value Prinzip ein Vakuum, das alle Luft aus den Kapitalmärkten zu saugen scheint. Ob dieser Mark-to-Market Fix tatsächlich die Bankenkrise beenden kann, wird sich freilich erst in den nächsten Wochen zeigen. Die Credit Spreads haben jedenfalls ihre Erholung vom Dienstag Nachmittag auch am Mittwoch fortgesetzt, wie alphaville schreibt.
Laut New York Times haben Investoren und Anhänger der Bankbranche schon applaudiert. Ob damit tatsächlich alle Probleme gelöst werden, ist zwar unwahrscheinlich. Zusammen mit dem US-Plan zur Vermarktung toxischer Assets werden hier aber nach meiner Auffassung die richtigen Bausteine für den Wiederaufbau der Finanzbranche zusammengesetzt. Jedenfalls sind diese Pläne die bisher besten Lösungsansätze, von denen ich gehört habe.
Während also Deutschland sich Gedanken macht über die Pleite von US-Firmen, ist die US-Administration wieder einmal deutlich weiter. Immerhin könnte darin auch der wahre Grund für die Erholung der Banken und den Aufschwung des DAX liegen. Auch die Flucht aus dem US-Dollar hat sich wieder abgeschwächt. Und das alles nur wegen ein paar Buchführungsregeln.
Weitere Meldungen zum Thema
WSJ: Germany’s Continental to Cut Capacity
WSJ: Obama Calls Spending Bill ‚Imperfect‘
NYT: Transcript – Obama and Geithner on Global Economy – Text
CWD: Tim Geithner on Charlie Rose
Hallo, Coien!
Niemand wird ernsthaft etwas dagegen haben, eine „nicht-zielführende“ Bilanzierungsregel abzuschaffen. Dennoch sollte auch beachtet werden, dass derartige Eingriffe Analysen, Mehrjahresvergleiche usw. in einem nicht unerheblichen Maße beeinflussen. Der von Dir zurecht mehrfach eingeforderten Transparenz sind solche Vorgänge eher nicht zuträglich.
Es bleibt bei allem der fade Beigeschmack, dass mitten im Spiel die zuvor selbstgemachten Regeln geändert werden, wenn sich nicht das gewünschte Ergebnis einstellt. Ein paar Grundprinzipien sollten man sich leisten können.
Moin St,
Deine Einwand ist einerseits berechtigt. Andererseits war es auch schon vor LP (Lehman Pleite) m.E. eine Illusion, aus der Bilanz nebst Anhängen sachgerechte Informationen ableiten zu können. Ich glaube da brauchen wir ganz neue Formen der Transparenz.
Und am Beginn einer Bilanz steht doch immer ein Buchungssatz. Wer schon mal eine Buchhaltung geleitet hat bzw. dort gearbeitet hat, weiss welche Möglichkeiten (und ich spreche natürlich nur von den legalen Optionen) es bereits an dieser Stelle gibt.
hmmmm, gut Bernanke’s Vorschlag würde in der aktuellen Situation helfen, aber damit verhindert man keine hochschwingenden Konjunkturzyklen.
EINLEITUNG
Ich denke die Zentralbanken müssen die heilige Kuh der konstanten Mindestreservequote schlachten, sondern vielmehr als aktive Variable wie den Leitzins behandeln. Desweiteren muss die nominelle Wirtschaftsleistung als Referenzpunkt zur Mindesreservequote betrachtet werden, um die die aktive und passive Geldschöpfung mit zuerfassen. Letzteres soll nicht heißen, dass Nichtbanken nun bei Zentralbanken Reserven hinterlegen sollen.
DIE VARIABLE MINDESTRESERVEQUOTE
Bspw. wenn Aktienemissionen anziehen, dann sollte die Zentralbank die Mindestreservequote anziehen, da ansonsten diese Firma quasi doppelte Anreize hätte gleichzeitig noch Fremdkapital ins sich reinzustöpfen. Es würde ein Mechanismus vorliegen, dass mit laufender konjunkureller Erholung/Aufschwung die Mindestreserven analog zum potentiellen Abschreibungsbedarf anschwellen, ebenso wie die Knauserigkeit der Banken in der Kreditvergabe. Im Falle einer bösen Rezession (warum auch immer) sind Banken dann nicht plötzlich knauserig (weil sie es ja schon nach und nach wurden), sondern Zentralbanken hätten einfach die Luft die Mindestreserven purzeln zu lassen, damit die Banken ihre Defaults im Ernstfall abschreiben können.
Andererseits wären Firmen gezwungen mit zunehmenden Booming auf Aktienmärkte zuzugreifen zu Kapitalbeschaffung, aber gleichzeitig weniger Möglichkeiten zum Risk Shifting durch höhere Verschuldungsgrade zu haben. Man würde dadurch auch dasjenige Empirie Building einschränken, was nicht mehr durch operative Effizienzsteigerung rechtfertigbar ist („über das Ziel hinausschießen“). Eines wird man nicht verhindern, und das sind temporäre Schockwellen durch das Auscheiden von Firmen aus den Wettbewerb – Je kleiner die Firmen desto verkraftbarer. Aber solange Marktaustritte ungefähr mit Effizienzsteigerung in der Volkswirtschaft einhergeht ist dies akzeptabel.
FAZIT
Also wenn ich mal abwäge ist die bilanzielle Transparenz eine heiligere Kuh als die konstante Mindestreservequote.
@Ulf Hamster,
Dein Vorschlag ist gut und geht in etwa in die Richtung, wie der Vorschlag die Eigenkapitalanforderungen antizyklisch auszugestalten. Also in Zeiten steigender Vermögenspreise und Wachstums die EK-Unterlegung für Banken zu erhöhen.
decoien
Das Problem mit der EK-Hinterlegung ist, dass die Regierungen versuchen dies vorzuschreiben. Und selbst wenn Regierungen Sachverstand hätten, würde diese keine Organisationen unter ihrer eigenen Aufsicht führen können, die flexibel und schnell Variablen anpassen können. Das ist wirklich naiv.
Eine Metapher: An den Schaltern der E.On-Netz sitzen lauter Leute, die sich damit beschäftigen, dass am Ende aus den Steckdosen auch 50Hz rauskommt. Wenn Kraftwerke runtergefahren werden, Störungen auftreten, etc. werden Maßnahmen geplant, koordiniert in veranlasst, dass auch 50Hz am Ende rauskommt. Stellen Sie sich vor Sie sind E.On CEO und sagen „Hey EOn.Netz Leute, ihr habt euren Job so und so zu machen…“. Und nun stellen Sie sich vor diese E.On-Netz Leute wären so sturzdumm und tun dies auch exakt: Glauben Sie ihre Endgeräte im Haus würden das überleben?
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