US Blogger streiten über Qualität deutscher Wirtschaftsblogs

by Dirk Elsner on 23. April 2009

Gerade habe ich mich von dem Fußballspiel erholt und wollte nur noch kurz durch Medien und Blogs browsen, um die Presseschau zusammenzuklicken, da entdecke ich auf einem meiner favorisierten US-Blogs einen Beitrag über die Qualität Deutscher Wirtschaftsblogs. Edward Harrison von Credit Writedowns verteidigt dort unter der Überschrift: The German econblogger space is just fine vehement die deutsche Blogszene gegen einen Angriff von Felix Salomon vom Blog von Reuters, der vor ein paar Tagen schrieb “10 reasons for the lack of German econobloggers”.

Edward kennt die deutsche Blogszene und schreibt, warum er nicht mit den Aussagen von Felix übereinstimmt:

I was in Germany at the time I read the post and had been there for the better part of the week. In reading and watching German news, I was very heartened that there was a comfortable debate about the goings-on in finance and in the German and world economy.

Now, I would sum up Felix’s arguments regarding German bloggers as a typical and stereotyped Anglo-American view of Germany and the German-language realm. The core of the view is that Germans are hidebound, hierarchical, conservative and obedient. This is at odds with the ethos of the blogosphere. Therefore, Germany and the German-speaking world will never have a good blogging community.

I happen to think highly of Felix’s work but his views here are out of bounds. Moreover, he’s just plain wrong. There actually is a good thriving German-speaking econblogging community.

An anderer Stelle gibt Edward Felix recht und das sind Dinge, über die vielleicht nicht nur Blogger nachdenken sollten:

“As to the substance of Felix’s argument – that German cultural traits prevent a flourishing blogosphere, I would say there might be kernels of truth in what he says. For instance, I was walking through the town centre in Duesseldorf on Monday. And whenever I came to a traffic light I felt that dreaded social pressure I always felt to be coercive and corrosive when I lived in Germany not to cross on red. Social pressure is subtle and the pressure to conform to social norms is one of the key ingredients that created a massive credit bubble. Here it was in action at the pedestrian crossing.”

Gegen die deutsche Wirtschaftsblogszene spricht aber zunächst, dass sie bisher diesen “Angriff” von Salomon nicht einmal zur Kenntnis genommen hat. Man stelle sich nur mal vor, er hätte die Medien- oder Politikblogs in dieser Weise angeranzt. Vermutlich hätten wir das Echo bis zur Bild-Zeitung gehört. Ich bin bei Edward, was die Qualität vieler Wirtschaftsblogs betrifft. Ist ja logisch.

Aber die deutschsprachigen Wirtschaftsblogs haben weniger ein Qualitätsproblem als ein Wahrnehmungsproblem. Sie werden von den etablierten Medien weitestgehend ignoriert. Über die Gründe lässt sich nur mutmaßen, hat aber möglicherweise auch etwas mit der Materie zu tun. Die in den USA zu beobachtende sich gegenseitig befruchtende Zusammenarbeit zwischen Blogs/Wirtschaftsblogs und Medien ist dort deutlich ausgeprägter. In Deutschland ist sie quasi nicht vorhanden. Immerhin, das Handelsblatt tastet sich ganz vorsichtig vor.

Salomon schreibt von der Autoritäts- und Hierarchiegläubigkeit der Deutschen. Das ist zwar die tiefste Klischeekiste. Ganz von der Hand zu weisen ist das aber nicht. In Deutschland erhält man erst Aufmerksamkeit, wenn Kanzlerin, Bundespräsident oder Bild etwas erwähnen.

Es gäbe noch ein paar Klischees aus dem Artikel, über die sich zu diskutieren lohnt. Aber das kann vielleicht ein anderer Wirtschaftsblog übernehmen. An Edward aber erst einmal vielen Dank für unsere Verteidigung und an Felix doch einfach mal die Bitte, sich die von Edward empfohlenen Blogs anzusehen.

Nachtrag

Börsenblogger Marc Schmidt hat sich in einem ausführlichen Beitrag mit den 10 Punkten auseinandergesetzt und eine gute Zusammenfassung in deutscher Sprache geliefert: Die Sache mit den deutschen Wirtschaftsbloggern. Auch das Börsennotizbuch beteiligt sich an der Debatte mit   „Deutsche Wirtschaftsblogs: Warum so wenig? Sind sie gut?“ Weitere Reaktionen von Bloggern in den Kommentaren. Da kann sich ja Edward Harrison freuen, was für eine Debatte er aus den USA in Deutschland angestoßen hat.

Fu Manchu April 24, 2009 um 21:30 Uhr

Ich will ja mit meinem ersten Kommentar nicht allzu polemisch werden, aber eine gewisse Autoritäts- und Hierarchiegläubigkeit (die ich im -wichtig- privaten deutschen Alltag als nicht all zu ausgeprägt empfinde) erkennt man doch daran, dass man sich über das Maß der eigenen Bedeutung überhaupt Gedanken macht. Und das scheint hüben wie drüben der Fall zu sein.
Scheint mir jedenfalls ein besserer Indikator zu sein als der gefühlte „soziale Druck“ nicht bei rot die Straße zu queren.

f.luebberding April 23, 2009 um 12:15 Uhr

Ich habe Salmons Artikel erst heute morgen gelesen – dank also an egghat. Nur ist Salmons Beitrag viel besser als ich es nach dem Artikel erst befürchtet habe. Er hat in vielen Punkten durchaus recht – etwa was die Abstinenz deutscher Ökonomen angeht oder die Neigung, blogs nicht als Spielwiese für Ideen zu betrachten. Viele Ökonomen haben davor Angst, in blogs Ideen zur Debatte zu stellen – und dann für alle Zeiten auf solche Aussagen festgenagelt zu werden. Das ist ja auch nicht unbegründet, wenn ich mich auch darum bemühe, diesen Fheler nicht zu machen. Aber im Herdentrieb hat das nach Ausbruch der Krise wunderbar funktioniert. Wir hatten alle keine Ahnung, was eigentlich im August 2007 passiert war – und diskutierten kontrovers und interessant, um genau diese Frage zu beantworten. Bei un gibt es übrigens hervorragende und offene Debatten – und wir haben wesentlich mehr Kommentare als Salmon – aber das nur nebenbei. Im übrigen hat Salmon natürlich recht, wenn er die Neigung der Deutschen kritisiert, Kompetenz mit beruflichen Funktionen zu verwechseln.

Das grundsätzliche Problem ist aber etwas anderes – und zwar, dass Wirtschaftsblogs bei uns in Deutschland konträr zum mainstream entstanden sind. Der fand in den klassischen Medien statt. Die Dominanz der Neoklassiker war – mit den bekannten Ausnahmen von Bofinger bis Hickel – schlicht erdrückend, nicht nur bei Ökonomen, sondern auch bei Journalisten. Ich weiß wirklich wovon ich rede.

Bis heute sind die blogs aus diesem Status nicht wirklich herausgekommen – aber über fehlende Wahrnehmenung können wir uns nicht beklagen … . Die alten Fronten lösen sich durchaus auf, so mein Eindruck.

Gruss Frank

egghat April 23, 2009 um 10:22 Uhr

Ich finde die FAZ macht mit die Nummer mit den Blogs besser als das Handelsblatt. Dort ist das viel prominenter aufgehängt.

Dort bloggen Blogger und das merkt man. Beim Handelsblatt oder auch bei der Zeit bloggen Journalisten bzw. Ökonomen. Das ist dann am Ende leider nicht viel mehr als ein „Gastkommentar“ früher im Print.

dels April 23, 2009 um 12:09 Uhr

@egghat
Danke für den Hinweis. Allerdings könnte man sich doch darüber streiten, ob es sich wirklich um Blogs im engeren Sinne handelt. Für mich sind das auf http://faz-community.faz.net/ eher Gastbeiträge von Bloggern, womit ich aber keine Grundsatz- oder Statusdiskussion anheizen will.

Mehr Freiheit gestattet da die Zeit (http://kommentare.zeit.de/), wo jeder bloggen kann.

Als bislang spannendste Communityintegration in Deutschland sehe ich den Freitag an http://www.freitag.de/community, auch wenn das Blatt nicht jedermann wirtschaftspolitischen Geschmack treffen mag.

enigma April 23, 2009 um 06:48 Uhr

Erst mal Gratulation zur Rezeption dieses Blogs bei creditwritedown!

Das Wahrnehmungsproblem ist sicherlich eine Sache, aber ich habe den dumpfen Verdacht, daß viele Wirtschaftsblogs gar nicht versuchen zu einer analytischen Sichtweise der Wirtschaftsumwelt zu gelangen, weil – und das scheint mir entscheidend zu sein – die Bloggergemeinde sich mehr damit beschäftigt in denjenigen Blogs Kommentare zu erzeugen, wo die eigenen Wahrnehmungen – um nicht Vorurteile zu sagen – am besten gepflegt werden können. Das sieht man doch hier: man braucht ein bißchen (mehr) technisches Verständnis um sich dem Fragenkreis rund um die Bewertung von Risikopapieren zu nähern, das scheint jedoch weniger attraktiv zu sein, als in Blogs zu kommentieren, wo man sich mit anderen das Weltuntergangsgemälde gegenseitig ausmalt. So etwas ist natürlich Zeitverschwendung, demgegenüber sachliche Kontroversen zu führen, ist eben anstrengender weil anspruchsvoller, mal abgesehen davon, daß man auch etwas zu äußern haben muß. Und da wird es eben ziemlich dünn.

Ob die anglo – Blogs ihren selbst zugerechneten Stellenwert haben oder nicht, es scheint mir jedenfalls nicht so zu sein, daß da ein signifikanter höherer Mehrwert herauskäme, als bei deutschen Blogs. Wie dem auch sei: nochmals alles Gute und Anerkennung!

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