Krisenmanagement: Grundzüge der Krisendiagnose

by Dirk Elsner on 27. April 2009

Dies ist der vierte Beitrag einer Serviceserie* zum Krisenmanagement für den Mittelstand (Übersicht hier). Nach der Vorstellung der Krisenphasen geht es in diesem Beitrag um die Krisendiagnose. Im Mittelpunkt dieses Beitrags stehen dabei nicht IT-gestützte Diagnosetools, sondern betriebswirtschaftliche Parameter, die erkennen lassen, ob sich das eigene Unternehmen in einer Krisensituation befindet.

Mit der Krisendiagnose hängen die Krisenursachen eng zusammen. Damit befasst sich der nächste Beitrag. Um konkrete (Sofort-)Maßnahmen geht es in späteren Beiträgen (Übersicht der Beiträge hier). Wer sich schon vorab mit der Diagnose und den Maßnahmen befassen will, der kann dies anhand der Mindmapsammlung tun, die hier veröffentlicht ist.

In der Regel wissen Unternehmer und Manager, wenn sich ihr Unternehmen einer gefährlichen Situation nähert. Daher könnte man fragen, wozu da noch eine Krisendiagnose notwendig sei. Letztlich ist es aber wie bei persönlichen Krankheiten. Spürt man Bauchschmerzen, dann kann man hoffen, dass diese in ein paar Tagen vorbeigehen oder man geht zum Arzt und lässt sich untersuchen.

In der Medizin versteht man unter einer Diagnose die genaue Zuordnung von Befunden zu einem bestimmten Krankheitsbild. Mit der Krisendiagnose sollte ermittelt werden, in welcher Krisen-Phase sich das Unternehmen gegenwärtig befindet bzw. in absehbarer Zeit befinden wird. Daraus sollte auch erster Handlungsspielraum erkennbar sein.

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Abb: Überblick Krisendiagnose (aktuelle und umfangreichere Version der Mindmap hier abrufbar)

Es gibt Krisensituationen, wie aktuell in der Automobilindustrie, da besteht akuter Handlungsbedarf. Die Krise ist bei vielen Automobilherstellern und -zulieferern offensichtlich. Dennoch können die Diagnose und die eng damit verbundene Ursachenanalyse zu unterschiedlichen Ergebnissen und unterschiedlichen Handlungsoptionen führen.

Nach Darstellung der GBI macht für die Sanierungschancen einen großen Unterschied aus[1],

  • ob ein Unternehmen über viele Jahre heruntergewirt­schaftet wurde und nun völlig überschuldet ist,
  • ob es in einer konjunkturell schwierigen Situation Markt­anteile eingebüßt hat und dadurch illiquide geworden ist,
  • ob in einem strukturell schwierigen Marktgeschehen eine erforderliche Geschäftsfeldoptimierung versäumt wurde,
  • ob aufgrund unterbliebener Rationalisierungen Kosten­probleme und damit schwerwiegende Wettbewerbsnach­teile entstanden sind, die aber grundsätzlich wieder ausgeglichen werden können,
  • oder ob die Krisensituation durch einen hohen Forde­rungsausfall eingetreten ist.

Bevor man einsteigt in das Krisenmanagement, sollte man daher in kürzester Zeit die Lage des Unternehmens nüchtern und schonungslos analysieren. Dabei sollte nichts verleugnet werden, auch wenn es in der Managementpraxis häufig um Eitelkeiten geht und niemand gern Fehler eingesteht.

Die Krisendiagnose selbst ist verhältnismäßig einfach durchzuführen. Anhand bestimmter Unternehmensdaten, die aus dem Rechnungswesen kommen, lässt sich schnell ein Überblick gewinnen. Dies geschieht idR. Mit einer Kennzahlenanalyse, die zum Brot- und Buttergeschäft von Wirtschaftsprüfern gehören.

Dafür habe ich verschiedene Mindmaps zusammengestellt (Übersicht hier), die wie eine Checkliste verwendet werden können. Diese Kennzahlen müssen nicht komplett abgearbeitet werden. Vielmehr sollte die Unternehmensleitung zusammen mit den Führungskräften und ggf. externer Unterstützung die relevanten Kennzahlen identifizieren. Bei diesen Kennzahlen handelt es sich im Prinzip nicht um spezifische Krisenkennzahlen, sondern um grundsätzliche Steuerungskennzahlen eines Unternehmens, die idR. auch aus Buchhaltungs- und Controllingsystemen gewonnen werden.

Mit gesunden Misstrauen an die Selbstdiagnose

Für die Krisendiagnose sollte man den Ratschlag berücksichtigen, sich die eigenen Zahlen mit prinzipiellen Misstrauen anzusehen und dabei tendenziell bösgläubig sein. Sprich man sollte bei der Untersuchung unterstellen, dass die eigenen Zahlen tendenziell geschönt sein könnten[2].

Mit dieser Annahme ist kein Misstrauen gegenüber den Führungskräften und Mitarbeitern verbunden. Vielmehr wird damit schon frühzeitig die Grundlage gelegt, um sich für kritische Fragen, die ggf. später von Banken oder anderen unternehmensfremden Geldgebern gestellt werden, optimal vorzubereiten. Geldgeber werden sich ebenfalls die Zahlen sehr genau ansehen und machen dies im Zweifel eher unter der Misstrauensannahme.

Konkret bedeutet die Misstrauensannahme z.B. nach überbewerteten Aktiva, unterbewerteten Passiva, zu hoch ausgewiesenen Erträgen bzw. zu niedrig ausgewiesenen Kosten usw. zu suchen. Diese Bewertungsdifferenzen müssen dabei nicht gleich in großem Aktionismus bereinigt werden. Aber man sollte sie kennen und besser noch eine plausible Erklärung dafür haben, wenn Kapitalgeber danach fragen.

Diagnosekennzahlen

Traditionell wird die Diagnose primär auf Kennzahlen gestützt, die aus Bilanzen sowie den Gewinn- und Verlustrechnungen abgeleitet werden, wie etwa Renditen, Liquiditätskennzahlen, Umschlagskennziffern, Deckungsrelationen, die im Zeit-, Betriebs- und Branchenvergleich an Aussagekraft gewinnen. Die in die Kennzahlen eingehenden Primärdaten werden dabei vielfältig verdichtet, am umfangreichsten sicherlich bei der Bestimmung von Varianten des Cash-flow[2].

Nun will ich nicht diesem Beitrag nicht mit einer umfangreichen Einführung in die Kennzahlenanalyse in die Länge ziehen und auch nicht seitenlang über Analysetools referieren. Die aus meiner Sicht wichtigsten Kennzahlen habe ich in entsprechenden Mindmaps zusammengetragen.

Für die Schnelldiagnose ist in jedem Fall ein Blick auf die Liquiditätskennziffern wichtig. Diese sollten nicht aus der letzten Bilanz bestimmt werden, sondern möglichst aus tagesaktuellen Zahlen des Rechnungswesens.

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Abb: Krisendiagnose – Bilanz (aktuelle und umfangreichere Version der Mindmap hier abrufbar)

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Abb: Krisendiagnose – Erfolgskennzahlen (aktuelle und umfangreichere Version der Mindmap hier abrufbar)


Liquiditätsprognose

Wichtiger aber noch als die Berechnung von statischen Liquiditätskennziffern ist die Liquiditätsprognose, die durch einen Finanzplan (oft auch als Liquiditätsvorschau bezeichnet) abgebildet wird. Der Finanzplan dient der Klarheit über die Erhaltung der Zahlungsfähigkeit des Unternehmens und sollte ohnehin ständig verfügbar sein. Er stellt dar, welche Finanzmittel zu welchen Terminen im Planungszeitraum benötigt werden und woher diese bezogen werden sollen. Bestehende oder zu erwartende Finanzierungslücken werden durch einen Finanzplan aufgedeckt. Er ist also auch wichtig zur Vermeidung oder Erkennung einer Insolvenz.

Im Finanzplan werden die Einzahlungen und Auszahlungen des Unternehmens erfasst und mit dem Banksaldo verrechnet. Das Unternehmen erhält so die Information, wann und in welcher Höhe es zusätzliche Mittel benötigt.

Die Grundstruktur ist dabei recht simple

Anfangsbestand an Zahlungskraft zu Beginn der Planperiode

+ Planeinzahlungen der Planperiode

− Planauszahlungen der Planperiode

= Endbestand an Zahlungskraft am Ende der Planperiode

Der Finanzplan ist in die Zukunft gerichtet. Daher lassen sich allein aus der Finanzbuchhaltung nicht alle benötigten Informationen nicht entnehmen[4]. Die Probleme, einen vernünftigen Finanzplan aufzustellen, entstehen in der Praxis, weil Unternehmen hier zahlreiche Prognosewerte in die Planung einfließen lassen müssen, insbesondere aber im Mittelstand die Systeme nicht immer entsprechend ausgestattet sind, um sachgerechte Prognosedaten z.B. aus Auftragsbeständen zu generieren.

Nur hilfsweise sollte man hier die zukunftsgerichteten Zahlen aus der Unternehmensplanung verwenden, wobei diese dann hinreichend genau bezogen auf die Zahlungszeitpunkte sein müssen.

Ein Schema zur Aufstellung eines Finanzplans gibt es z.B. vom Institut der Wirtschaftsprüfer, nämlich im Anhang der IDW EPS 800in der neuen Fassung. Empfehlenswert für die Diagnose ist in die Hinzuziehung eines Fachmanns, etwa eines Wirtschaftsprüfers.

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Abb: Krisendiagnose – Liquidität (aktuelle und umfangreichere Version der Mindmap hier abrufbar)

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* Die Beweggründe für diese serviceorientierte Serie sind in diesem Beitrag dargelegt. Der Autor, Dirk Elsner, lebt in Bielefeld und ist Senior Berater der INNOVECS GmbH und berät und unterstützt Unternehmen deutschlandweit. Er hat als Bereichsleiter in Banken und Geschäftsführer in mittelständischen Unternehmen gearbeitet und kennt die Praxis kritischer Unternehmenssituationen und die Anforderungen von Banken und Investoren aus erster Hand. Sie erreichen ihn unter dirk.elsner[at]innovecs.de.


[1] Vgl. Gesellschaft für innovative Beschäftigungsförderung, Die Sanierung von Unternehmen in der Krise, Arbeitspapier 25, November 2008, S. 10.

[2] Vgl. J. Hauschild, Bilanzanalyse im Dienste der Krisendiagnose, in: Thomas Hutzschenreuter et al., Krisenmanagement: Grundlagen, Strategien, Instrumente, Wiesbaden 2006, S. 97.

[3] J. Hauschildt, Krise, Krisendiagnose und Krisenmanagement, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 100, 30.04.2001, S. 31.

[4] Zum einen werden in der Finanzbuchhaltung vornehmlich vergangenheitsbezogene Daten erfasst (Dokumentation von Geschäftsfällen). Zum anderen finden in die Finanzbuchhaltung sowohl zahlungswirksame, als auch zahlungsunwirksame Vorgänge gleichermaßen Eingang. Zu den zahlungsunwirksamen Vorgängen zählen beispielsweise die betrieblichen Abschreibungen auf Sachanlagen, die Bestandsveränderungen auf den verschiedenen Konten für Vorräte und Waren aber auch die Zu- oder Abnahme von Forderungen und Verbindlichkeiten.

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