Krise ungleich Krise: Definition und Krisenphasen

by Dirk Elsner on 22. April 2009

Dies ist der zweite Beitrag der Serie zum Krisenmanagement für den Mittelstand. Der Einführungsbeitrag ist hier zu finden (Übersicht hier) . In diesem Beitrag geht es um das Verständnis einer Unternehmenskrise und die verschiedenen Krisenphasen, die wiederum maßgeblich den Handlungsspielraum bestimmen.

Alle reden und schreiben über die Krise, aber jeder meint etwas anderes. Bevor man tiefer einsteigt, sollte man daher klarstellen, was denn unter einer Krise verstanden wird und welche Krisenphasen es gibt, denn wie bei einer ärztlichen Therapie kommt es auch im Krisenmanagement darauf an, die verfügbaren Instrumente auf Basis der richtigen Diagnose einzusetzen.

Bekannt dürfte sein, dass mit Krise eine problematische und einem Wendepunkt verknüpfte Entscheidungssituation bezeichnet wird. Das Wort geht zurück auf das griechische Wort „krisis“, das Wendepunkt bedeutet. Die chinesischen Schriftzeichen für Krise (wie-ji) setzen sich übrigens aus den Symbolen für „Gefahr“ und „gute Gelegenheit“ zusammen.

Zu differenzieren ist zunächst, ob von einer Marktkrise oder einer Unternehmenskrise gesprochen wird. Im Fall eine Marktkrise ist ein Unternehmen zwar ebenfalls betroffen (z.B. durch zurückgehende Nachfrage oder steigende Beschaffungspreise), muss aber nicht zwangsläufig selbst in eine Krise geraten.

Unter einer Unternehmenskrise im engeren Sinne wird häufig die Existenzgefährdung eines Unternehmens verstanden. Von einer solchen Gefährdung kann man sprechen, wenn die Finanz- und Erfolgsplanungen signalisieren, dass das Unternehmen bei unveränderter Fortführung der Tätigkeit in seinem Bestand gefährdet ist oder sogar eine Insolvenz droht [1].

Dieses Verständnis ist aber für die Wirtschaftspraxis zu eng, weil aus Sicht der in einem Unternehmen handelnden Personen häufig auch in weniger dramatischen Situationen von einer Krise gesprochen wird. So kann eine Krise auch dann vorliegen [2], wenn

  • betriebliche Ist-Kennziffern deutlich unter den Erwartungen liegen, also z.B. die Umsatzerlöse stark zurückgehen oder die Kosten stark ansteigen;
  • sich die Finanzierungsbedingungen so ändern, dass die Geschäftsplanungen nicht mehr in der geplanten Form realisiert werden können;
  • sich Marktbedingungen unerwartet so verändern, dass in absehbarer Zeit Auswirkungen auf die vorab genannten Punkte eintreten;
  • unerwartete Störung von der Eigentümerseite die Entscheidungsfähigkeit einschränken, wie eine (feindliche) Übernahme oder ein Streit der Gesellschafter. Auch eine ernste Krankheit oder der Tod eines Gesellschafters kann zu einer Krise führen;
  • Krise im Management des Unternehmens, wenn z.B. „wichtige“ Vorstandsmitglieder wechseln oder sie öffentlich in die Kritik geraten[3]

Um nicht mit den falschen Instrumenten an einer Krise zu arbeiten, schlage ich vor, sie in ihren Abstufungen bzw. Auswirkungen auf den Handlungsspielraum zu differenzieren[4]. Außerdem ist zu beachten, dass eine Krise auch nur einzelne Geschäftsbereiche eines Unternehmens bzw. rechtliche selbstständige Töchter betreffen kann.

Wenig überraschend dürfte sein, dass sowohl in den theoretischen als auch in der praktischen Betriebswirtschaftslehre unterschiedliche Auffassungen über die Krisenphasen existieren. Ich habe mich für folgende grundsätzliche Einteilung entschieden [5]:

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Abbildung 2: Krisenphasen (umfassendere Version der Mindmap hier abrufbar)

Durch einen Klick auf die Mindmap erhält man eine ausführlichere Version dieser Abbildung mit Kriterien der jeweiligen Krisenphase. Auf die konkrete Krisendiagnose geht ein späterer Beitrag ein.

1. Marktkrise

Eine allgemeine Marktkrise braucht zunächst ein Unternehmen nicht unmittelbar zu betreffen. Von einer Marktkrise kann man sprechen, wenn sich die Bedingungen auf einem Markt plötzlich und unerwartet erheblich verschlechtern. Das können z.B. unerwarteter Nachfragerückgänge, starke Preiserhöhungen auf der Beschaffungsseite oder der Zusammenbruch des Finanzsystems sein. Die Handlungsfähigkeit des Managements bleibt in einer Marktkrise komplett erhalten.

Ist ein Unternehmen nicht in seiner Handlungsfähigkeit eingeschränkt und daneben mit ausreichend Liquidität (respektive Kreditlinien) ausgestattet, dann eröffnen sich in dieser Phase viele Chancen. So war z. B. im Handelsblatt zu lesen, dass der MAN-Konzern trotz der weltweiten Absatzkrise bei Lastwagen massive Investitionen in Südamerika plane. Ziel sei es, dem Konkurrenten Daimler die Marktführerschaft in Lateinamerika streitig zu machen[6].

In Krisenzeiten wird außerdem der Widerstand gegen Veränderungen schwächer. Das Management hat plötzlich Freiräume für schmerzhafte Entscheidungen, die in guten Zeiten nur schwer durchsetzbar wären. So lässt sich möglicherweise ein langer fälliger Umbau des Unternehmens beschleunigen[7].

2. Strategische Krise

In einer strategischen Krise werden erfolgswirksame Auswirkungen auf die Unternehmensziele erwartet, die aber nicht zu einer Existenzgefährdung führen müssen. In Abhängigkeit von der Risikoneigung, den finanzielle Reserven und den Handlungsalternativen ergeben sich meist Lösungswege, um die Krise abzuwenden. Zwar steigt durch eine strategische Krise meist der Kapitalbedarf, es drohen aber keine Zahlungsengpässe.

Die Handlungsfähigkeit des Managements bleibt uneingeschränkt und voll bestehen. Die Krise kann mit einem weiten Maßnahmenbündel aktiv bekämpft werden, wenn sie intern als solche erkannt wird[8]. Informationen dringen nur nach außen, sofern Berichtspflichten gegenüber der Öffentlichkeit bestehen.

Wie bei einer Marktkrise eröffnen sich in dieser Phase Möglichkeiten, Kosten einzusparen. In Boomzeiten werden oft Ineffizienzen übersehen oder erst geschaffen. Eine strategische Krise eignet sich somit, die Mittel produktiver einzusetzen, das betriebliche „Unkraut zu jäten“ und effizientere Prozesse einzuführen [9].

3. Operative Krise

In dieser Krise, die häufig auch als Ertragskrise bezeichnet wird, verstärken sich die erfolgs- und finanzwirtschaftlichen Belastungen. Merkmale dafür sind z.B. Verluste im operativen Geschäft, zu niedrige oder sinkende Umsätze und Einzahlungen, zu hohe oder steigenden Aufwendungen/Auszahlungen. Kapital wird aufgezehrt, die Verschuldung steigt, liquide Mittel gehen zurück und Kreditlinien werden stärker ausgenutzt.

Der Handlungsspielraum wird eingeengter. Neue Kredite für Investitionen werden nicht gewährt oder nur gegen zusätzlich Sicherheiten und/oder schlechtere Konditionen. Dem Unternehmen sehr nahestehende Institutionen, wie z.B. Banken, Beratern wird die Situation bewusst und sie reagieren mit ersten Maßnahmen, die den Handlungsspielraum einengen. Es drohen (mittelfristig) Auftragsverluste aufgrund nicht durchgeführter Investitionen.

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Der Autor, Dirk Elsner, lebt in Bielefeld und ist Senior Berater der INNOVECS GmbH und berät und unterstützt Unternehmen deutschlandweit. Er hat als Bereichsleiter in Banken und Geschäftsführer in mittelständischen Unternehmen gearbeitet und kennt die Praxis kritischer Unternehmenssituationen und die Anforderungen von Banken und Investoren aus erster Hand. Sie erreichen ihn unter dirk.elsner[at]innovecs.de.


Anmerkungen und Literatur

[1] Vgl. Thomas Hutzschenreuter, Krisenmanagement: Grundlagen, Strategien, Instrumente, Wiesbaden 2006, S. 21 und J. Hauschildt, Krise, Krisendiagnose und Krisenmanagement, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 100, 30.04.2001, S. 31.

[2] In diesem Text kommt es nicht auf eine exakte wissenschaftliche Krisendefinition an, sondern wichtiger ist, ob die in einem Unternehmen handelnden Personen eine spezifische Unternehmenssituation als Krise wahrnehmen.

[3] Dazu könnten z.B. Strafermittlungen gehören.

[4] Einteilung erfolgt in Anlehnung an Thomas Hutzschenreuter, Krisenmanagement: Grundlagen, Strategien, Instrumente, Wiesbaden 2006, S. 22 f.

[5] Als charakteristische Arten einer Krise lassen sich nach Auffassung des Instituts der Wirtschaftsprüfer die Stakeholder-, Strategie-, Produkt-und Absatzkrise sowie die Erfolgs- und die Liquiditätskrise bis hin zu einer Insolvenzlage unterscheiden. Diese Krisen sind nicht unabhängig voneinander, sondern entwickeln sich in aller Regel als Krisenstadien aufeinander aufbauend. Entwurf IDW Standard: Anforderungen an die Erstellung von Sanierungskonzepten (IDW ES 6) , Stand 1.8.2008, S. 5.

[6] Handelsblatt Online v. 26.3. 2009: MAN greift Daimler in Südamerika an.

[7] D. Sull, Mastering Krisenstrategie, Teil 1: Rezession erkennen, Beilage der FTD am 23.1.09, S. 3.

[8] Dies ist nicht immer der Fall. Verdrängungsmechanismen und Wahrnehmungsverzerrungen können in dieser Phase dazu führen, dass die Krisenursachen ignoriert werden oder auf externe Faktoren verschoben werden.

[9] Vgl. D. Sull, Mastering Krisenstrategie, Teil 1: Rezession erkennen, Beilage der FTD am 23.1.09, S. 3.

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