Krisenmanagement: Managementmoden, Umsetzung und Umstrukturierungen

by Dirk Elsner on 20. Mai 2009

Dieser zehnte Beitrag der Serviceserie* zum Krisenmanagement (Übersicht hier) fragt, ob man sich bestimmter Managementmethoden für das Krisenmanagement bedienen soll und welche Voraussetzungen eine erfolgreiche Umsetzung stattfinden kann. Darüber hinaus wird an einem Beispiel dargestellt, an was man in der Praxis denken sollte, wenn man sein Unternehmen umstrukturieren will, z.B. durch Verkauf oder Outsourcing von Betriebsteilen.

Dieser Teil der Serie zielt nicht speziell auf den Mittelstand oder ausschließlich auf das Krisenmanagement, sondern gilt generell für die praktische Unternehmensführung. Ob und in welchem Umfang ein Unternehmen aus diesem Abschnitt Anregungen ziehen kann, hängt letztlich davon ab, in welcher Krisenphase (hier eine Übersicht über die Phasen) es sich befindet.

Managementmoden hinterherlaufen?

Managementmoden-, -theorien und -philosophien haben ständig Hochkonjunktur[1]. Eine Flut von Fachpublikationen überrollt den Markt, in denen unzählige Ansätze zur Neu- oder Umorganisation von Unternehmen diskutiert werden. Schaut man sich die Flut von Konzepten und Ratgeberbüchern an, dürfte es heute eigentlich keine einzige Firma mehr geben, die in die Pleite geht[2].

In einem Interview mit dem Harvard Business Manager sagte der schwedische Organisationsforscher Nils Brunsson: „Veränderungsprogramme lassen sich leicht ins Leben rufen, aber nur schwer umsetzen. Es ist daher kaum erstaunlich, dass die meisten scheitern.“ Auch in der Folge kritisiert Brunsson moderne Managementkonzept wie Process Reengineering, Balanced Scorecard oder Qualitätssysteme. Dies seien Ideale in dem Sinne, dass sie vernünftig, konsistent und geordnet erscheinen, solange sie Ideen bleiben. Ideal bleiben sie meist, bis Manager versuchen, sie umzusetzen[3].

Wer sich für eine Übersicht der Methoden interessiert, den verweise ich auf die Studie Management Tools 2009, An Executive’s Guide von Bain& Company. Dort gibt es eine Übersicht verschiedenster Methoden.

Die Wissenschaft steht vielen dieser Konzepte skeptisch gegenüber. So lautet ein Vorwurf, häufig handele es sich bei neuen Methoden um pauschalisierende Ansätze, die ihre Vorzüge lediglich mit Hinweisen auf andere Schlagworte wie Verschlankung, Konzentration auf die Kernkompetenzen, Marktdruck, Globalisierung etc. begründen. Besonders bedenklich sind Darstellungen über Erfolgsbeispiele aus laufenden oder gerade erst abgeschlossenen Reorganisationen, die eine kritische Bewertung bereits aus zeitlichen Gründen verbieten. Insbesondere die praktische Literatur arbeitet gern mit „erfolgreichen“ Fallbeispielen. Die intersubjektive Nachvollziehbarkeit bleibt aber so häufig ausgeschlossen und der Methodenerfinder kann sich einer kritischen Betrachtung entziehen[4].

Zu wenig moderne Managementkonzepte berücksichtigen, dass Organisationen nicht nur nach rationalen Prinzipien gestaltet sind und sich entsprechend kontrollieren lassen. Stattdessen werden häufig Veränderungsprogramme mit neuen Namen eingesetzt, deren Inhalte aber die gleichen sind wie zuvor gescheiterte Initiativen.

Und was macht man jetzt in der Praxis?

Nach diesen Ausführungen stellt sich die Frage, ob man für die Umsetzung von Restrukturierung-Maßnahmen tatsächlich einer bestimmten Methode hinterherlaufen sollte und wenn ja welcher?

Der Managementforscher Müller-Stewens stellte dazu vor einigen Jahren fest, dass sich gerade die einfachen Methoden am Markt durchgesetzt haben, weil sie helfen, die interne Diskussion über die Strategie zu systematisieren und vor allem zu disziplinieren. Sie haben sich nicht deswegen durchgesetzt, weil die Wissenschaft ihnen eine empirische Erfolgsrelevanz bescheinigt, sondern weil sie beitragen, ein häufig in der Praxis anzutreffendes „management by muddling through“ bzw. „management by personal interest“ zu strukturieren[5].

Für die Praxis bedeutet dies, dass man die dogmatische und „maschinelle“ Implementierung welcher Management-Methode auch immer vergessen sollte. Nach meiner Erfahrung ist es sinnvoller, eine von den Stakeholdern akzeptierte Strategie zu entwickeln und diese mit den Führungskräften, Mitarbeitern und ggf. mit Unterstützung einer Unternehmensberatung umzusetzen. Dabei darf man sich natürlich der Toolbaukästen der Managementmethoden bedienen, sollte sie dann aber operativ auf das eigene Unternehmen anpassen.

Bausteine erfolgreicher Umsetzung

Ist die strategische Entscheidung gefallen, die betrieblichen Abläufe zu restrukturieren, ergeben sich fast automatisch Hindernisse und zahlreiche Detailfragen, die es zu beachten gilt und zwar unabhängig von der jeweiligen Methode. Daher ist es wichtig, auf die Bausteine einer erfolgreichen Umsetzung zu schauen.

Eine recht lesenswerte Untersuchung dazu, die sich gut mit meinen eigenen Erfahrungen deckt, wurde im vergangenen Jahr im Harvard Business Manager vorgestellt[6]. Die Autoren, alle angestellt bei der Unternehmensberatung Booz & Company, haben eine Datenbank mit 125 000 Profilen erstellt, die mehr als 1000 Unternehmen, staatliche und gemeinnützige Or­ganisationen aus über 50 Ländern repräsentieren. Auf der Basis von Befragungen haben sie ermittelt, welche praxisrelevanten Faktoren für eine erfolgreiche Umsetzung notwendig sind[7].

Ohne jetzt auf die Details der Untersuchung einzugehen, ergeben sich aus ihr Bausteine, die für die erfolgreiche Umsetzung relevant sind. Ich erlaube mir diese Aufstellung etwas einzugrenzen und modifiziert hier darzustellen.

  1. Klare Entscheidungsbefugnisse[8] und Struktur
  • Jeder weiß genau, für welche Entscheidungen er verantwortlich ist.
  • Funktionsabteilungen im Konzern den klaren Auftrag geben, die Geschäftsbereiche zu unterstützen und sich nicht auf ihre Kosten zu profilieren.
  • Die Entscheidungsprozesse auf allen Ebenen klar strukturieren und besser aufeinander abstimmen.
  • Das Hauptaugenmerk der Zentrale auf wichtige strategische Fragen legen.
  • Einmal getroffene Entscheidungen werden akzeptiert und im Nachhinein nicht unterlaufen. Widerstände sollten vorher offfen ausgeräumt werden[9].
  • Kompetenzbereiche erweitern und Zahl der Managementebenen reduzieren.
  • Prozessverantwortliche damit beauftragen, funktionsübergreifende Maßnahmen zu koordinieren und dafür sorgen, dass die Prozessverantwortlichen auch unterstützt werden.

2. Ungehinderter Informationsfluss

  • Wichtige Informationen über das Wettbewerbs­umfeld erreichen die Firmenzentrale schnell.
  • Informationen fließen ungehindert über Abteilungs- und Fachbereichsgrenzen hinweg. Die durch persönliche Interessen gefilterte Weitergabe von Unternehmen wird unterbunden.
  • Mitarbeiter verfügen meist über die nötigen Infor­mationen, um zu verstehen, wie ihre Entschei­dungen das Geschäftsergebnis beeinflussen.
  • Das Linienmanagement hat Zugang zu den Zahlen, die es für das Tagesgeschäft benötigt
  • Die Organisation sendet nur selten wider­sprüchliche Botschaften an den Markt.

3. Richtige Anreize und Motivation

  • Anerkennung von Zusammenarbeit und Teamarbeit.
  • Förderung leistungsfähiger Mitarbeiter z.B. durch Gestaltung der Stellen so, dass sie unterscheidbare und wichtige Rollen im Unternehmen spielen und das Gefühl vermitteln, einen Beitrag für das Unternehmen zu leisten.
  • Der individuelle Leistungsbewertungsprozess unterscheidet zwischen guten, durchschnitt­lichen und unterdurchschnittlichen Mitarbeitern und Führungskräften
  • Die Fähigkeit, Zielvereinbarungen einzuhalten, beeinflusst Karriere und Vergütung

Denkanstöße für Umsetzung betrieblicher Umstrukturierung

Für die Umsetzung betrieblicher Umstrukturierungen ist eine Fülle von Details zu bedenken. Diese sind natürlich in Abhängigkeit von der speziellen Unternehmenssituation, der Branche, der Wettbewerbssituation etc. zu ermitteln.

Für die Umsetzung sind entsprechende To-Do´s zu erarbeiten und im Sinne des vorhergehenden Abschnitts eindeutig Verantwortlichen zuzuordnen.

Für Punkte, an die ein Unternehmen denken sollte, habe ich eine beispielhafte Mindmap erstellt. Die für diesen Abschnitt verwendete Mindmap geht davon aus, dass die betrieblichen Abläufe so geändert werden, dass bestimmte betriebliche Leistungsbereiche entweder an Dritte verkauft, ausgelagert oder eingestellt werden. Die Mindmap kann dabei natürlich keine generelle Gültigkeit beanspruchen, sondern ist auf den speziellen Einzelfall zu spezifizieren.

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Abbildung: Leitfaden für Umstrukturierungen (aktuelle und umfangreichere Version der Mindmap hier abrufbar)

Taktische Verhalten von Projektmanagern und Führungskräften nicht unterschätzen

Nach der Formulierung der Strategien und Konzepte müssen sich alle Bemühungen darauf richten, diese in Aktionspläne zu transformieren. Während die Formulierung der Strategie mehr eine unternehmerische Aufgabe darstellt, stellt die Implementierung eher eine administrative Aufgabe mit der Fähigkeit dar, zu organisieren, zu motivieren und sich durchzusetzen[10].

Manager in größeren Unternehmen werden dieses Verhalten kennen, wenn es um Kostenkürzungen geht. Statt im Sinne des Unternehmens betriebsoptimale Kostensenkungsmaßnahmen zu verabschieden werden gerade Krisenzeiten zum intensiven Taktieren genutzt.

Zahlreiche Probleme der Praxis hängen mit „Fehlverhalten“ von Managern zusammen, die über Opportunismusprobleme hinausgehen[11]. Die Führungspraxis ist in aller Regel durch Interessenkonflikte sowie unterschiedliche Informationsstände der Entscheidungsträger gekennzeichnet. Bereichsegoismen sind ein prominentes Beispiel dieser Problematik.

Manche der Interessendivergenzen sind organisationsbedingt, wie z.B. bei einer Profit-Center-Organisation. Die Verantwortlichen, die das Ergebnis ihres Profit- oder Cost-Centers optimieren wollen, haben idR. große Anreize, ihren Bereichsgewinn zu erhöhen bzw. die Bereichskosten zu senken. Sie haben aber je nach Zielsystem weniger Anreize negative Auswirkungen auf andere Bereiche eines Unternehmens zu berücksichtigen. Gerade in kritischen Situationen, in denen meist nicht genügend Zeit zur Prüfung bleibt, kann es daher dazu kommen, dass Bereichsmanager versuchen, sich zu Lasten andere Bereiche profilieren.

Die Top-Manager stehen hier in der Regel vor einem Dilemma, weil sie allein aus Zeitgründen nicht jede einzelne Bereichsentscheidung auf alle direkten und indirekten Konsequenzen hin überprüfen können. Es gibt Autoren, die die Opportunismusgefahr reduziert sehen, „wenn der betrachtete einzelne Akteur – also z.B. ein ergebnisverantwortlicher Manager

  • eine hohe Verpflichtung für das Unternehmen aufweist,
  • es durch Anreizsysteme gelingt, dessen Verhalten auf die Ziele des Unternehmens auszurichten oder/und
  • eine spezifische Unternehmenskultur ein weitgehendes Fehlen von Opportunismus erwarten lässt.“ [12]

An dieser Stelle muss ich jetzt dahingestellt sein lassen, ob diese Maßnahmen ausreichend sind oder nicht[13]. In der Praxis bedarf es jedenfalls eines hohen Fingerspitzengefühls der verantwortlichen Top-Manager, um die Verhaltensweisen der eigenen Führungskräfte richtig einzuschätzen. Und in der Regel wissen sie, dass Organisationen im Prinzip als eine Ansammlung verschiedenster Koalitionen anzusehen sind, die wiederum aus Individuen mit teilweise sehr unterschiedlichen Zielen bestehen.


*Die Beweggründe für diese serviceorientierte Serie sind in diesem Beitrag dargelegt. Der Autor Dirk Elsner, 45 J., ist Diplom Kaufmann und Unternehmensberater, lebt in Bielefeld und hat in der Geschäftsführung mittelständischer Unternehmen und als Bereichsleiter in Banken umfangreiche Erfahrungen mit Umstrukturierungen sowie Krisen- und Turnaroundsituationen gesammelt. Er hat die DE Wirtschaftsberatung, Bielefeld gegründet, eine Unternehmensberatung, die mittelständische Unternehmen in Bielefeld, Ostwestfalen und Deutschland natürlich auch zu anderen Themen berät.


[1] Das liegt nicht zuletzt daran, dass eine Reihe von Buchautoren, Wissenschaftlern und Beratungsgesellschaftern viel Geld damit verdienen.

[2] O. V., Manager und Leader: Alte Fragen – neue Antworten, in: Wisu, 4/2005, S. 396.

[3] Gespräch Mythos Change-Management, in. Harvard Business Manager 5/2009, S. 104.

[4] Dies wird auch deutlich, wenn man sich einmal anschaut, von wievielen Faktoren eigentlich der Unternehmenserfolg abhängig ist. In diesem Beitrag biete ich eine formale Darstellung der Erfolgsfunktion eines Unternehmens, die zeigt, welche relevanten Faktoren die Unternehmensziele beeinflussen: Wie Volkswirte und Analysten mit Vorhersage die Entscheidungen in Unternehmen beeinflussen

[5] Vgl. Günter Müller-Stewens, Auf die Prozesse kommt es an, in Harvard Business Manager 10/2004. Siehe dazu auch Dirk Elsner, Interne Diskussion disziplinieren, in: Harvard Business Manager 12/2004, S. 110.

[6] Gary L. Neilson, Karla L. Martin und Elizabeth Powers, Die vier Bausteine erfolgreicher Umsetzung, in: Harvard Business Manager 9/2008, S. 59-73.

[7] Natürlich kann man jetzt über die wissenschaftliche Methodik solcher Untersuchungen genauso streiten, wie über die Unabhängigkeit der Autoren. Für mich ist hier nur relevant, dass die Untersuchung sich in hohem Maß mit meinen eigenen Erfahrungen deckt.

[8] „Unklare Entscheidungsbefugnisse sind in der Regel ein Problem älterer Organisationen. Wäh­rend und unmittelbar nach der Gründung sind die meisten so sehr damit beschäftigt, das Geschäft anzukurbeln, dass sie keine Zeit haben, Rollen und Verantwortungsbereiche klar zu definieren. Warum sollten sie auch? In einer kleinen Firma ist es nicht sonderlich schwierig herauszufinden, wer wofür zuständig ist. Doch je größer ein Unter­nehmen wird, desto mehr Manager gibt es, und mit der Zeit wird der Genehmigungsprozess immer unübersichtlicher. Es wird zunehmend unklarer, wo die Verantwortung eines Managers aufhört und die eines anderen anfängt.“ Vgl. Gary L. Neilson, Karla L. Martin und Elizabeth Powers, Die vier Bausteine erfolgreicher Umsetzung, in: Harvard Business Manager 9/2008, S. 62.

[9] Dies setzt eine entsprechende Kommunikationskultur voraus, die abweichende Positionen nicht sanktioniert, sondern fördert.

[10] C. Notger u. M. Kiesel, Unternehmensführung: Methoden, Instrumente, Managementkonzepte, Landsberg/Lech 2000, S. 128.

[11] B. Hirsch et al., Zur Grundkonzeption eines verhaltensorientierten Controllings. In: Zeitschrift für Controlling und Management, Sonderheft 1/2008, S. 10.

[12] B. Hirsch et al., Zur Grundkonzeption eines verhaltensorientierten Controllings. In: Zeitschrift für Controlling und Management, Sonderheft 1/2008, S. 8.

[13] Wir würden bewegen uns hier in die Tiefen der Prinzipal-Agent-Theorie und in das Risikoentscheidungsverhalten von Führungskräften bewegen. Wer da tiefer einsteigen möchte, dem empfehle ich die Lektüre dieses Werks von Klaus-Jürgen Jeske.

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