Denkfehler im Risikomanagement und Konsequenzen für die Unternehmensplanung

by Dirk Elsner on 21. August 2009

Risikomanagement ist das Thema der Stunde. Dies gilt übrigens nicht nur für Banken, sondern auch für Unternehmen, wie wir am Ende dieses Artikels noch sehen werden. Aufhänger dieses Blogbeitrags war ein auf Risknet veröffentlichter sehr lesenswerter Beitrag von Volker Bieta und Hellmuth Milde über die Denkfehler im Risikomanagement. In der Einleitung schrieben sie:

“In dem Beitrag „6 Ways Companies Mismanage Risk“ (Harvard Business Review, March 2009] wird erklärt, was die Risikomanager in jüngerer Zeit falsch gemacht haben. Insgesamt werden sechs typische Fehler diskutiert. Dem Autor geht es aber eindeutig „nur“ um praktische Umsetzungsfehler. Die implizite Annahme bei seiner Diskussion lautet: Im „Prinzip“ ist die Grundstruktur der heutigen Risikomodelle richtig; es geht also lediglich um fehlerhafte Anwendungen. Im vorliegenden Beitrag wird diese Sichtweise bestritten. Wir behaupten: Das Grundmodell hat eine falsche Struktur. Wenn das Grundmodell falsch ist, warum ging es bis zum Sommer 2007 dann gut? Warum funktionierte das Grundmodell danach nicht mehr? Die Antwort ist einfach: Selbst eine Fehlkonstruktion kann funktionieren, wenn sie nicht extremen Belastungen ausgesetzt ist. Die extreme Belastung setzte im Jahr 2007 mit dem Zusammenbruch des Subprime-Marktes ein. Erst zu diesem Zeitpunkt wurden die konzeptionellen Fehler im Risikomanagement offensichtlich.”

In der Folge tragen Bieta und Milde eine wohldurchdachte Argumentation vor, die im Kern darauf basieren, dass die Risikomanagementmodelle vor allem statistische Daten der Vergangenheit verwenden:

“Für jede Anlageentscheidung benötigt man Informationen über die zukünftigen Renditeentwicklungen. Die Zukunft ist unbekannt. Anhaltspunkte für die zukünftige Entwicklung basieren auf Erfahrungen aus der Vergangenheit. In den von uns kritisierten stochastischen Modellen begeht man einen entscheidenden Fehler. Man verwendet nicht die Vergangenheitsdaten über die wirklich wichtigen Einflussfaktoren. Stattdessen werden Vergangenheitsdaten über die Gesamtergebnisse aus historischen Zeitperioden verwendet. Man verwendet Zeitreihen für vergangene Wertpapierrenditen. Aus den Zeitreihen berechnet man empirische Häufigkeitsverteilungen. Aus den Verteilungen werden statistische Kennzahlen kalkuliert. Dazu gehören das arithmetische Mittel bzw. der Erwartungswert, die Standardabweichung bzw. die Varianz; bei mehrdimensionalen Verteilungen kommen Kovarianzen hinzu. Die errechneten Kennzahlen charakterisieren die gesuchten Renditeverteilungen eindeutig und endgültig.”

Ohne jetzt die gesamte gut formulierte Argumentation von Bieta und Milde hier nachzuzeichnen, bin ich bei den Autoren. Eine Schlussfolgerung aus ihren Ausführungen ist die, sich nicht mit der Vergangenheit zu befassen, sondern mehr mit der unsicheren Zukunft. Das ist tatsächlich wesentlich anspruchsvoller als “nur” statistische Daten auszuwerten.

Diese Brücke führt zu Nassim Nicholas Talebs “Schwarzen Schwänen”. Taleb schreibt bekanntlich darüber, wie wir immer wieder von Ereignissen überrascht werden, mit denen kaum jemand gerechnet hat. Er nennt die Ereignisse einen Schwarzen Schwan. Ein „Schwarze Schwan“ beschreibt ein Ereignis, das es eigentlich nicht geben sollte, aber umso häufiger Auftritt, je größer die Komplexität ist (eine knappe Zusammenfassung dazu war von ihm selbst jüngst im Guardian zu lesen).

Ein beliebtes Beispiel von Taleb über die Fehleinschätzung von Statistiken ist die des Truthans. Man versetze sich in die Rolle eines Truthans, der jeden Tag ordentlich gefüttert wird. Dies geschieht an hundert aufeinanderfolgenden Tagen. Was ist Erwartung des Truthans für den 101. Tag? … Falsch. Er wird geschlachtet, weil Thanksgiving Day ist.

Auf Beobachtungen der Vergangenheit beruhende Statistik hilft bei Ereignissen vom Typs „Extremistan“ nicht (mehr dazu hier). Und in der Wirtschaftswelt sind fast alle Ereignisse von diesem Typ, außer bei von Casinos organisierten Glückspielen.

Taleb ist der Auffassung, dass sich ein Schwarzer Schwan im Prinzip nicht verhindern lässt. Er schlägt vor, dass wir unser Wirtschaftssystem und unsere Unternehmen so einrichten, dass ein Schwarzer Schwan nicht existenzbedrohend wird und versucht werden sollte, positive Schwarze Schwäne zu entdecken. Solche Aussagen klingen, ähnlich wie die Ex-Post-Kritik an Wirtschaftswissenschaftlern, Regulierern, Politikern und Managern wunderbar plausibel. Man will sich auf die Stirn klatschen und rufen: „Genau.“ Die praktischen Schlussfolgerungen daraus bleiben indes nebulös.

Ich persönlich mag Talebs Black-Swan-Paradigma, zumindest was die Analyse auch zum Verhalten der Wirtschaftsakteure betrifft. Über die praktischen Vorschläge (siehe z.B. hier „Talebs zehn Prinzipien zur Wirtschaftskrise“) kann man sich unterdessen vortrefflich streiten.

So nett solche Diskussionen für die Lunchpause sein mögen, mich interessieren derzeit mehr die praktischen Konsequenzen daraus für die Unternehmensführung und -planung. Kann man überhaupt Schwarze Schwäne planen?

Gerade die aktuellen Entwicklungen zeigen, dass dem Mittelstand die Puste ausgeht. Über die Finanzierungsklemme in Form schleppender Kreditvergabe, eines stockenden und bürokratischen Bürgeschaftsprogramms und großer Zurückhaltung von Beteiligungsgesellschafte, habe ich in diesem Blog bereits viel geschrieben.

Gerade jetzt verlangen nämlich Banken und andere Kapitalgeber deutlich mehr Informationen als in der Vergangenheit. Und hier herrscht immer noch ein deutliches Defizit. Reichten bisher Jahresabschluss, betriebswirtschaftliche Auswertungen und eine Aufstellung der offenen Posten, verlangen Kapitalgeber vor einer Finanzierung vor allem solide Planungsunterlagen und Risikodarstellung mit Alternativplänen für den Fall negativer Planabweichungen. Andernfalls verweigern sie Mittel oder holen sich über einen vergleichsweise umständlichen Prozess eine Rückbürgschaft der KfW, die wiederum viel Zeit in Anspruch nimmt und Bürokratie erfordert.

Banken reicht also nicht mehr eine einfach Punktplanung. Im Zweifel wollen sie sogar eine Szenarioanalyse. Daher ist es für kapitalsuchende Unternehmen angezeigt, hier vorausschauend zu denken und sich mit entsprechenden Unterlagen zu präparieren. Da ich dazu gerade ein entsprechendes Tool für meinen Arbeitgeber im Praxiseinsatz erfolgreich einsetze, kann ich dazu vielleicht auch an dieser Stelle in den nächsten Wochen etwas zu mehr mehr verraten. Theoretisch ließe sich damit auch ein Schwarzer Schwan simulieren.

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