Gastbeitrag von Nils Simon*
Heute der dritte Teil der Serie zu marktzentrierten Klimaschutzinstrumenten. Teil 1 ist hier und Teil 2 hier zu lesen.
Der Clean Development Mechanism (CDM) ist ein flexibler Mechanismus des Kyoto-Protokolls, der Entwicklungszusammenarbeit und Klimaschutz vereinen will. Im Rahmen des CDM können Investitionen eines Industrielandes in einem Entwicklungsland, die zur Reduktion von Treibhausgasemissionen führen, dem Investor in Form von Emissions-Zertifikaten gutgeschrieben werden, sogenannten Certified Emission Reductions (CER). Die Klimaschutzmaßnahme muss hierbei zusätzlich erfolgen, darf also nicht ohnehin vorgesehen sein. Unter dem Strich ist der CDM damit kein Mechanismus zur Reduktion von Treibhausgasen, sondern zur Stabilisierung: Die Einsparungen im Entwicklungsland dienen dazu, einen entsprechend hohen Ausstoß im investierenden Industrieland abzudecken. Dieses Nullsummenspiel geht aber nur so lange gut, wie die Zusätzlichkeit der Maßnahmen garantiert ist.
Alle CDM-Projekte müssen von einem Executive Board (EB) akkreditiert werden. Für die Akkreditierung ist eine umfangreiche Prüfung erforderlich, die bis zu $250.000 kosten kann. Aus diesem Grund liegt ein Schwerpunkt der genehmigten Projekte auf relativ großvolumigen Maßnahmen, die viele CERs generieren und bei denen hohe Investitionssummen im Spiel sind. Trotz der kostspieligen Prüfung ist ihre Qualität leider bescheiden. Bei einer Bewertung von 900 Projektanträgen, welche die von den Investoren ausgesuchten und bezahlten Prüfer erstellt hatten, erwiesen sich mehr als 50% fehlerhaft. Doch dies ist eigentlich noch die gute Nachricht, denn es heißt, dass die Sichtung der eingereichten Gutachten bei der Rahmenkonvention strenger geworden ist. Um den Markt erst einmal in Gang zu bringen, wurden in den ersten Jahren praktisch ausnahmslos alle eingereichten Anträge durchgewunken. Heute ist klar, dass möglicherweise bis zu 40% und damit ein beträchtlicher Anteil der bislang 1.800 CDM-Projekte nicht das Postulat der Zusätzlichkeit erfüllt. Weil alle beteiligten Akteure das gemeinsame Interesse haben, aus jedem Projekt möglichst viele CERs herauszubekommen, und zumindest am Anfang des Prozesses sogar die letzte Prüfungsinstanz, das EB, dieses Interesse teilte, waren praktisch keinerlei checks and balances vorhanden, die eine Überflutung des Marktes mit „faulen Zertifikaten“ hätten verhindern können.
Die CDM-Projekte sind extrem ungleich regional verteilt. Auf Indien und China entfällt etwa die Hälfte aller Projekte mit einem Großteil der erzeugten CERs. In Afrika findet der Mechanismus bislang fast keine Verwendung. Das heißt, er wirkt vor allem in den Schwellenländern und generiert dort hohe Einnahmen, die aber zu einem erheblichen Teil als Mitnahmeeffekte anzusehen sind.
Eine besonders heikle Kontroverse entwickelte sich um scheinbare „perverse Anreize“ des CDM. Das Gas HFC-23 entsteht als Nebenprodukt bei der Herstellung des Kältemittels HFCKW-22. Es ist 14.800 Mal treibhausaktiver als Kohlendioxid, seine Vernichtung ist deshalb aus Klimaschutzsicht sehr effektiv. Nicht effektiv hingegen ist die Art, in der HFC-23-Projekte durch den CDM finanziert werden. Das Gas kann in einer speziellen Anlage verbrannt und dadurch unschädlich gemacht werden. Die Verbrennung ist jedoch in den Hauptproduzentenländern China und Indien nicht ordnungsrechtlich vorgeschrieben. Deshalb gilt ihre Nachrüstung als „zusätzliche Maßnahme“ getreu den Vorgaben des CDM. Wegen dem immensen Treibhauspotenzial des Gases entstehen dabei jedoch Unmengen an Zertifikaten. Allein die Verbrennung von HFC-23 wird bis 2012 gemeinsam mit der Verbrennung von Lachgas voraussichtlich 30% aller CDM-Credits generieren. Würde der Bau geeigneter Verbrennungsanlagen einfach vorgeschrieben, entstünden Gesamtkosten über ca. $100-200 Millionen. Durch den vermeintlich „effektiven“ flexiblen Mechanismus des CDM kostet die Beseitigung des hoch potenten Klimagases aber stolze $6 Milliarden. Der „perverse Anreiz“, der bislang glücklicherweise nicht zum Tragen kam, besteht darin, dass sich allein durch die enorm hohen Einnahmen, die mit der Verbrennung von HFC-23 aus dem CDM verbunden sind, die Aufbau neuer Kältemittel-Fabriken gelohnt hätte, selbst wenn das HFCKW-22 gleich mit vernichtet worden wäre. HFC-23 ist im Montrealer Protokoll zum Schutz der Ozonschicht reguliert, und Entwicklungsländer müssen die Produktion von HFC-23 bis 2040 auslaufen lassen. Deshalb werden CDM-Zertifikate nur für Produktionsmengen ausgegeben, wie sie vor 2005 erreicht wurden. Das schließt die Aufnahme von gezielt zur Ausnutzung dieses Effektes gebauten Neuanlagen aus, auch wenn auf UNFCCC-Ebene irrsinnigerweise über deren Aufnahme in den CDM diskutiert wird. Sehr wohl aber existieren perverse Anreize dafür, für die 20 Jahre, die HFC-23-Projekte Geld aus dem CDM generieren können, nicht auf klimafreundliche Kältemittel umzusteigen. Der CDM behindert in diesem Fall die Weiterentwicklung des Umweltrechts in den Entwicklungsländern. Und das zu einem hohen Preis: Im günstigsten Fall entstehen bei der Erschließung aller Altanlagen bis 2050 durch diesen perversen Mechanismus bei einem Zertifikatpreis über €5 pro Tonne Gesamtkosten über €10 Milliarden. Nimmt man dagegen einen Preis von €25 pro Zertifikat an, steigt das Volumen bereits auf €52 Milliarden. Wenn dann auch noch Neuanlagen in das System mit einbezogen werden, könnten sich die Buchungen auf sagenhafte €183 Milliarden aufsummieren.
Durch die Einbeziehung von CDM-Zertifikaten in den EU-Emissionshandel (ETS) droht das gesamte System zu scheitern. CDM-Gutschriften dürfen in Phase II des ETS bis zu 22% der Emissionen hiesiger Anlagen abdecken. Für Deutschland entspricht dies 90 Mio. t CO2. Das im NAP festgelegte Einsparziel liegt aber bei nur 30 Mio. t. Wenn also nur ein Drittel der CDM-Projekte nicht wirklich zusätzlich durchgeführt wurde, legitimiert die Verknüpfung von ETS und CDM letztlich einen Nettoanstieg der Treibhausgasemissionen! Bedenkt man, dass dazu noch die HFC-23-Projekte in der Regel zweifellos das Gebot der Zusätzlichkeit erfüllen, wird deutlich wie ineffektiv und teuer der vermeintlich marktnahe und deshalb vorgeblich effiziente CDM in Wirklichkeit ist.
Eine Möglichkeit zur Reform des CDM beinhaltet, dass nicht alle Emissionen, die eingespart werden, auch zertifiziert werden. So wäre der CDM nicht länger ein Nullsummenspiel mit dem Risiko, in Wirklichkeit mehr Emissionen zu legitimieren, sondern könnte zu realen Einsparungen führen.
Literatur:
– Flamos, Alexandros (2009): The clean development mechanism: Catalyst for Wide Spread Deployment of Renewable Energy Technologies? Or Misnomer? In: Environ. Dev. Sustain., Online First.
– Matsuo, Naoki (2003): CDM in the Kyoto Negotiations: How CDM has Worked as a Bridge Between Developed and Developing Worlds. In: Mitigation and Adaptation Strategies for Climate Change, Vol. 8. S. 191-200.
– Narain, Urvashi; Veld, Klaas van’t (2008): The Clean Development Mechanism’s Low-hanging Fruit Problem: When Might it Arise, and How Might it be Solved? In: Environ. Resource Econ., Vol. 40, S. 445-465.
– Paulson, Emma (2009): A review of the CDM literature: From Fine-tuning to Critical Scrutiny? In: International Environmental Agreements, Vol. 9, S. 63-90.
– Repetto, Robert (2001): The Clean Development Mechanism: Institutional Breakthrough or Institutional Nightmare? In: Policy Sciences, Vol. 34, S. 303-327.
– Schneider, Lambert (2009): A Clean Development Mechanism with Global Atmospheric Benefits for a Post-2012 Climate Regime. In: International Environmental Agreements, published online 01 April.
– Schneider, Lambert (2007): Is the CDM Fulfilling its Environmental and Sustainable Development Objectives? An Evaluation of the CDM and Options for Improvement. Report prepared for WWF. Berlin: Öko-Institut.
– Schneider, Lambert (2007): HFKW-23 und N2O-Projekte: Nutzung von CDM und JI im ETS nach 2012. Vortrag beim Fachgespräch „Faule Klimaschutzzertifikate?“ Deutscher Bundestag, Berlin, 4. September 2007.
* Dieser Beitrag von Nils Simon ist ursprünglich erschienen im Blog Die Klimakrise unter dem Titel: Die Dominanz marktzentrierter Instrumente, Teil 3: Clean Development Mechanism. Der Beitrag ist mit Erlaubnis des Verfassers hier leicht redaktionell verändert übernommen.
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