Warum geht Frankreichs Vorschlag zur Lösung des Rating-Problems unter?

by Dirk Elsner on 15. Juni 2010

Regelmäßige Besucher des Blick Logs wissen, dass ich die internationale Diskussion über eine neue Finanzordnung (siehe hier die Mindmap dazu) für eine reine Farce halte (siehe zuletzt “Abgewrackte Regulierung: Die Schlaglochpiste der neuen Finanzordnung”). Die Debatte wird seit Herbst 2008 eher von politökonomischen und populistischen Kalkülen beherrscht, als von ernsthaften Bemühungen eine vernünftige Ordnung mit klaren Kriterien aufzustellen. Die internationale Politik, insbesondere die G20, zeichnet sich dabei durch gestelzte Erklärungen, inkonsequentes Handeln und mittlerweile offenen Streitereien aus.

Das inkonsequente Handeln wird beispielsweise deutlich an den wegen ihrer „Fehlurteile“ bei verbrieften US-Hypothekenpapieren gescholtenen Rating-Agenturen. Trotz großer Kritik zieht sich der Regulierungsprozess für die Agenturen in Europa seit sechs (in Zahlen 6) Jahren hin (siehe dazu diese Übersichtsseite der EU-Kommission). Außerdem räumen nationale und internationale Regelwerke, wie die FTD schreibt, “dem Urteil der großen Gesellschaften eine Sonderstellung ein, indem sie sich immer wieder auf sie beziehen. S&P, Moody’s und Fitch entscheiden zum Beispiel, wie viel Eigenkapital Banken für bestimmte Kreditprodukte in ihren Büchern vorhalten müssen. Und auch die Europäische Zentralbank (EZB) akzeptiert als Sicherheiten für ihre Leihgeschäfte mit Banken nur Anleihen mit bestimmten Noten (eine Ausnahme gilt seit Kurzem für Griechenland).”

Der vergangene Woche vorgelegte Vorschlag, die Aufsicht über die Ratingagenturen zu zentralisieren und zugleich zu verschärfen, werden am Zustand des Ratingmarktes nichts ändern, sondern eher neue Wettbewerber abschrecken und das Oligopol von Moody’s, Standard & Poor’s und Fitch verstärken. Daneben wird eine neue Bürokratie geschaffen mit Kontrollmechanismen, die das Geschäft mit der Bonitätsbewertung noch teurer machen wird.

Zu meiner großen Überraschung kam ausgerechnet von Frankreich in der vergangenen Woche ein Vorschlag, den ich für ausgesprochen richtungsweisend halte, um das Ratingwesen zu verändern. Christian Noyer, der Gouverneur der französischen Zentralbank und Mitglied im EZB-Rat treibt die Vision einer europäischen Ratingagentur voran, um unabhängig von den angelsächsischen Marktführern zu werden. Dazu schreibt das Handelsblatt:

“Die Aufgabe einer europäischen Konkurrenzagentur, so Noyer im Handelsblatt-Interview, könnten Kreditversicherer wie die Euler-Hermes-Kreditversicherung übernehmen. „Sie könnten den Ratingmarkt leicht erobern“, sagte Noyer, denn schon heute sichert dieses deutsch-französische Gemeinschaftsunternehmen mit Sitz in Hamburg und Paris Unternehmen gegen das Risiko ab, dass ein Kunde für gelieferte Waren nicht zahlt. Zur Bewertung der Ausfallrisiken erstellt Euler-Hermes ebenso wie die Konkurrenten Coface und Atradius Ratings. „Sie haben das Wissen, eine entsprechende Erfahrung“, sagt Noyer. Der Vorschlag ist der Bundesregierung bekannt – und stößt dort auf Wohlwollen.”

Viele mittelständische Unternehmen kennen die Kreditversicherer, die ausgesprochen akribisch die Bonität von Unternehmen bewerten, aus der Praxis, wenn es um die Versicherung von Kundenforderungen geht. Selbst Unternehmen, die Kreditversicherungen nicht nutzen, kennen sie, weil die Versicherer Kontakt zu den Unternehmen aufnehmen, deren Verbindlichkeiten sie absichern sollen.

Die gewerblichen Kreditversicherungen haben einen großen Vorteil gegenüber den klassischen Ratingagenturen: Sie schauen viel genauer hin, weil sie selbst mit eigenem Kapital das Risiko absichern müssen, das sie durch ihre Bewertung einschätzen. Dadurch haben sie einen handfesten ökonomischen Anreiz, möglichst korrekte Bewertungen vorzunehmen.

Aus Vorsichtsgründen hatten die Kreditversicherer schon lange vor dem Ausbruch der heißen Phase der Finanzkrise im Herbst 2008 die Zügel angezogen und waren sehr vorsichtig geworden. Viele mittelständische Unternehmen haben dies leidlich gespürt, weil plötzlich Absicherungslimite ihrer Verbindlichkeiten gegenüber Lieferanten herabgesetzt wurden und sie deswegen nicht mehr so viel Ware bestellen konnten. Nebenbei bemerkt war dies auch ein Grund für die Verschärfung der Finanzierungsklemme im Herbst 2008 (siehe dazu “Wie weit ist die Kreditklemme im deutschen Mittelstand?”).

Der Vorschlag geht in die richtige Richtung und stützt entsprechende Aktivitäten, die etwa der Kreditversicherer Coface schon eingeleitet hat. Eine Regulierung ist dafür aber im Grunde aber nicht erforderlich. Es steht Unternehmen frei, sich schon jetzt von den Kreditversicherungen bewerten zu lassen (und viele haben vermutlich schon ein Rating ohne davon zu wissen). Die Kreditversicherungen werden bekanntlich nicht vom zu bewertenden Unternehmen beauftragt und sind damit frei, “Gefälligkeitsurteile” (siehe dazu FTD: Moody’s-Analysten zitterten vor Banken) abzugeben.

Die Kreditversicherungen haben bislang nur einen Nachteil. Sie sind auf die freiwillige Mitwirkung der zu beurteilenden Unternehmen (die ich aus eigener Erfahrung jedem Unternehmen empfehlen würde) und Institutionen angewiesen. Sie kalkulieren ihre Risikolimite u.a. auf Basis verfügbarer Informationen und Möglichkeiten zur Portfoliosteuerung der Risiken. Und offenbar gehen sie sehr behutsam mit ihren Risiken um oder ist jemandem bekannt, dass eine gewerbliche Kreditversicherung (ich meine nicht Finanzkreditversicherer wie AIG) während der Finanzkrise vom Staat gerettet werden musste?

Frankreichs Vorschlag geht also absolut in die richtige Richtung und könnte sofort ohne große Abstimmung umgesetzt werden. Zu befürchten ist, dass solcher pragmatischer und marktgerechter Ansatz aber wohl international und erst recht in Deutschland versanden wird. Warum eigentlich?

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