Seid Ihr die Bank? Stärkste Industrie aber das schwächste Bankensystem

by Dirk Elsner on 7. Juli 2010

Das Handelsblatt hat vor einigen Wochen der deutschen Bankenlandschaft das testiert, was viele Beobachter schon lange wissen: „Dem deutschen System wird viel Beharrungsvermögen zugetraut und wenig Reformbereitschaft.“ Aber nicht nur Beobachter außerhalb der Banking Community sehen, wie schwer sich die etablierten Finanzhäuser mit Veränderungen tun. Selbst der Präsident des deutschen Bankverbandes, Andreas Schmitz, wird im Handelsblatt zitiert mit “„Wir haben die stärkste Industrie in Europa, aber eines der schwächsten Bankensysteme.“

Offiziell mag man solche Aussagen natürlich nicht hören. Aber selbst in den Banken bedauern viele Führungskräfte und Mitarbeiter, dass starre Strukturen, komplizierte Vorschriften, komplexe Systeme und mattes Management jede Kreativität im Keim ersticken.

Wirklich substantielle Produktneuerung sind bei den „Traditionsbanken“ in der Tat nicht auszumachen. Natürlich, die Institute in diesem Land haben weiter viele Hausaufgaben aus der Finanzkrise zu erledigen und ersticken in Bürokratie und Komplexität ihrer Organisationsstrukturen und zum Teil jahrzehntealten IT-Landschaften. Und wer mit fach- und it-Verantwortlichen spricht, der hat den Eindruck, es gehe vorwiegend um die Verwaltung der Ressourcenengpässe im Rahmen gegebener Strukturen. Kreativer Spielraum für neue Geschäftsmodelle? Fehlanzeige. Ideen zu Banking 2.0? Nicht zu erkennen, nicht gewünscht, unbekannt. Was soll das überhaupt sein?

Regelmäßige Leser des Blick Logs wissen, dass dieser Blog einen intensiven Blick auf neue Entwicklungen im Banking wirft und auch nach Brücken sucht zu Unternehmen und Retailkunden. Die aktuellen und häufig synonym verwendeten Schlagworte lauten Banking 2.0, Social Banking, Community Banking oder New Business Solutions. Sie sind für Banken Fluch und Segen zugleich.

Hinter diesen Buzzworten versteckt sich eine nicht mehr ganz brandneue Philosophie im Banking, deren Merkmale etwa offene und gleichberechtigte Kommunikation, hohe Transparenz über Leistungen und Gegenleistungen und vor allem kooperative Informations- und Leistungsergänzung auszeichnen. Nichts mit Banking 2.0 hat es zu tun, wenn eine Bank per Twitter oder Facebook lediglich ihre Kommunikationskanäle erweitert. Immerhin könnte der Versuch schon als Fortschritt bewertet werden (siehe dazu aber auch den Text von Lothar Lochmaier: Schweigen ist Gold? Banken verschlafen das virale Netz und vernachlässigen Social Media)

Den Protagoisten der neuen Szene, die wie Smava, Fidor, Noa, Sharewise, Investor oder Seedmatch die Landschaft mit neuen Produkten bereichern, wird unterschwellig nachgesagt, ihren materiellen Umsetzungen des Banking 2.0 mangele es noch an ökonomischer Durchschlagskraft. Daher werden diese Entwicklungen, wie alle Technologie getriebenen Neuentwicklungen, mit Skepsis und Vorurteilen begleitet. So bewertete jüngst ein Unternehmensberater die „Geschäftsmodelle als lediglich vom Zeitgeist getrieben“.

Solche Sätze erinnern freilich an die Zeit, als das Internet-Banking Anfang der 90er Jahre in den USA startete und man in Deutschland den Kontoauszugsdrucker als bahnbrechende Innovation feierte. Onlinebanking per Internet dagegen sei viel zu unsicher und würde sich nicht durchsetzen, hieß es damals in vielen Fachbeiträgen und Gesprächen.

Einige Vertreter des klassischen Bankings mögen gern der Aussage des oben zitierten Unternehmensberaters folgen. Sie liefert nämlich eine ausgezeichnete Rechtfertigung, sich nicht mit neuen Entwicklungen im Finanzwesen und den stark sich ändernden Kundenbedürfnissen befassen zu müssen. Banking 2.0 packt man in eine Nerd-Ecke und hofft auf die Bewahrung bestehender Geschäftsmodelle. Wenn man könnte, würde man wohl auch noch Briefe auf einer mechanischen Schreibmaschine tippen und mit Lochkarten buchen, weil die nicht „abstürzen“ und Daten nicht versehentlich gelöscht und gehackt werden können.

Wem diese zu kurz gesprungen ist, dem bieten sich unterschiedlichste Wege der Kenntnisanreichung an. Für einen gut strukturierten Überblick neuer Entwicklungen sorgt Lothar Lochmaier mit seinem hier schon häufiger erwähnten Buch: Die Bank sind wir: Chancen und Perspektiven von Social Banking. Es liefert einen fundierten Überblick der neuen Entwicklungslinien vor allem im Retailgeschäft. Dabei unterliegt er übrigens im Gegensatz zu manchem Web 2.0-Guru nicht der Versuchung, Hype-2.0 zum neuen, allein glücklich machenden Evangelium der Finanzwelt auszurufen. Lochmaier durchleuchtet zahlreiche Ansätze vieler bis Ende 2009 entstandener Konzepte. Wer sich aktueller halten will, der wird in seinem Blog Social Banking 2.0 fündig (weitere lesenswerte deutschsprachige Quellen Finance 2.0 und Peer-to-Peer-Kredite.

Noch spannender als die Lektüre von Buch- und Blogbeiträge, finde ich den Denkansatz des für das Privatkundengeschäfts zuständigen Vorstandsmitglieds der Kreissparkasse Hannover, Axel Dankert. Dankert hat auf einem Diskussionsrunde auf der Cebit den anwesenden Vertretern der Sparkassen einen Tipp gegeben: “Gehen Sie hier einmal durch die Hallen der CeBIT und lassen sich ein wenig treiben. Bleiben Sie dann dort stehen, wo es voll ist und sich viele junge Leute aufhalten. Schauen Sie, wofür die sich interessieren und überlegen dann, was das für Ihr Geschäft bedeutet.”

Ich weiß nicht, ob und in welchem Umfang die Sparkasse Hannover diese Entwicklung tatsächlich umsetzt (sende vielleicht mal eine Anfrage), aber Herr Dankert hat Recht, denn mit der digitalen Generation wachsen ganz andere Erwartungen an die Geschäftsmodelle der Banken heran.

Mit Mr. Fidor, Matthias Kröner, philosophierte ich übrigens am Montag in der Mittagspause darüber, dass viele Banker, wenn sie Banking 2.0 hören, gern eine Definition wünschen und ein abgeschlossenes Geschäftsmodell mit konkreten Produkten  sehen wollen. Wir waren uns darüber einig, dass es so etwas nicht geben kann und auch der 2.0-Philosophie selbst widerspricht. Banking 2.0 ist ein permantes Work in Progress und entzieht sich mindestens den klassischen Produktdefinitionen im Bankgeschäft. Aber Herrn Dankerts Vorschlag enthält mehr 2.0-Philosophie, als er möglicherweise ahnt.

PS

Ursprünglich sollte dieser Beitrag einmal eine Besprechung des im Mai erschienen Buches “Die Bank sind wir” werden. Mittlerweile habe ich allerdings die Besprechung des Buches von Eric Schreyer im Blog Valuation in Germany gelesen habe, die sich kaum toppen lässt. In „Die Bank sind wir“ hat Schreyer nicht nur eine gute Rezension abgeliefert, sondern gleich das Buch ergänzt um einen theoretisches und vom Blick Log geteiltes Fundament. Ich kann die Lektüre von Blogbeitrag und Buch jedem empfehlen, der an transaktionsbezogenen Banking 2.0 interessiert ist und Community Banking nicht gleichsetzt mit der Eröffnung einer Facebookseite und eines Twitteraccount.

Nach der Lektüre wird vielleicht manch einem Leser beim Gedanken an seine Hausbank die Frage durch den Kopf gehen „Seid Ihr die Bank?“. Ich wäre auf die Antworten gespannt.

Eine Zusammenstellung weiterer Texte zum Banking 2.0 findet sich auf dieser Seite. Hier einige ausgewählte Beiträge aus den letzten Monaten:

BL: Web 2.0 für die Finanzbranche (Teil 1): Perspektiven und Potenziale (23.3.10): Ein praxisorientierte Motivation für Banken, sich konkret mit dem Web 2.0 zu befassen.

BL: Web 2.0 für die Finanzbranche (Teil 2): Konkrete Schritte (24.3.10)

BL: CeBIT-Webciety: Der schwerfällige Weg der Banken in das 2.0-Zeitalter (Teil 1) (Teil 2) (1./2.3.10)

Previous post:

Next post: