Heute findet auf der CeBIT zwischen 15.00 und 15.50 Uhr die Veranstaltung Finanzsektor & das Web 2.0 statt: (der Blick Log wird von dort twittern). Zu diesem Anlass heute der zweite Teil des Beitrages zum Weg der Banken in das neue Zeitalter (hier geht es zum ersten Teil).
Generation 2.0 unterschätzt
Irgendwie taugt Banking 2.0 offenbar noch nicht als Philosophie für die Mehrheit der Banken und ihrer Kunden. Hier positioniert man sich als traditionelle Bank nach außen lieber geheimnisvoll, verschwiegen, intransparent und allmächtig. Ein eigentlich sehr simples Geschäftsmodell wird hinter einem Wald komplizierter Begriffe, Verträge und Vorschriften versteckt. Dieser Wald schaut von außen so dunkel aus, dass sich kaum jemand hinein traut. Dabei modert es in dem Gestrüpp immer heftiger und dieser Wald wird durchsichtiger.
Den Instituten ist dabei sehr bewusst, dass sie nicht mit der Avantgarde der Web 2.0-Entrepreneure ihr Geld verdienen, sondern mit einer älteren aber vermögende Kundengruppe, die ebenfalls mit der 2.0-Welt fremdelt. Diese traditionelle Kundschaft könnte auf eine neue Form der Offenheit und Kommunikation eher zurückhaltend oder gar verschreckt reagieren.
Aber genau an dieser Stelle liegt der Denkfehler in den Häusern. Zunehmend drängt nämlich die Generation 2.0 in die Wirtschaftpraxis und besetzt immer mehr Entscheidungspositionen. Sie sind mit dem Web aufgewachsen und nutzen die Instrumente, wie man früher Taschenrechner und Filofax (dies ist quasi doodle auf Papier und erläutert die Wikipedia hier) genutzt hat. Sie definieren die informationelle Selbstbestimmung anders und haben nicht die Berührungsängste vor Datenschutz und Transparenz. Sie stört die für Jedermann einsehbare Privatsphäre nicht. Der schnelle Informationszugriff, die jederzeitige Erreichbarkeit und die authentische Reaktion sind wichtiger als der Schutz der Persönlichkeitsrechte und Datensicherheit.
Warum tun sich die Banken so schwer mit neuen Entwicklungen?
Für die Umsetzung neuer Ideen könnte es daher einfacher sein, auf einer baumfreien Wiese ein neues Institut zu gründen, wie es etwas Smava, Fidor oder die Noa Bank dies getan haben. Das hat auch ganz praktische Vorteile haben, weil schwerfällige Organisationsstrukturen und komplexe IT-Prozesse eines etablierten Instituts nicht angepasst werden brauchen. Freilich gilt auch für neue Institute die Gravitationstheorie der Finanzmärkte und dazu gehören hohe Regulierungsanforderungen und besondere Sicherheitsstandards.
Die meisten Institute tun sich unterdessen sehr schwer mit der neuen Form der Kommunikation. Thomas Bahlinger, Professor für Organisation und Wirtschaftsinformatik an der Hochschule Nürnberg mit dem Spezialgebiet E-Finance, hat bereits Anfang 2008 in einem Beitrag für die Bank eine Erklärung gesucht:
“Der derzeitige Hype um Web 2.0 verstellt den Blick auf den eigentlichen Kern, der darin steckt. Dieser Kern ist weniger technologischer, sondern vielmehr kultureller Natur. Die neuen Technologien können die Beziehungen zwischen Anbietern und Abnehmern, Banken und Kunden dauerhaft verändern. Aber Web 2.0 als “Architektur der Mitwirkung aller” ist diametral zum heutigen Ansatz von Banken-Websites.
Ein demokratisch geprägter Wissensaustausch gerät schnell in einen Konflikt mit hierarchischen Unternehmenskulturen. Daher ist Web 2.0 bei Banken derzeit so selten zu finden. Will die Bank das ändern, muss sie zunächst prüfen, welche Teile der “Architektur” zum eigenen Hause passen – die eigentliche Umsetzung von Web 2.0-Technik kommt dabei zuletzt. Vorher muss die Bank eine Benutzerbeteiligung wirklich wollen. Dies ist eine Kulturfrage, mindestens aber eine Strategiefrage und hat mit Software-Programmierung wenig bis nichts zu tun.”
Fehlender Veränderungsdruck durch Kunden
Vermutlich fehlt aber vor allem (noch) der Veränderungsdruck. Die Behäbigkeit im Veränderungswillen der Banken hat ihre Ursachen auch im Verhalten der Kunden. Durch den kollektiven Vertrauensverlust stellt sich aktuell kaum eine Bank schlechter dar, weil Kunden bisher noch zu wenig Alternativen Vertrauen haben und sie erst einmal die Erfahrungen der early adopters abwarten wollen.
Und vielleicht kann man das Verhältnis zwischen Banken und Kunden mit einer angeschlagenen Ehe vergleichen. Es wird ja längst nicht jede zerrüttete Ehe sofort geschieden. Man hat sich auf bestimmte Art und Weise bequem eingerichtet in seinem Leben und mit seiner “ungeliebten” Bank. Da wechselt man nicht sofort wegen eines Ausraster und ein paar Marotten den Partner. Dieses Trägheit gepaart mit einer Mentalität, die alles billig und möglichst hohe Rendite bei geringem Risiko will, macht es den Banken einfacher, nicht zu reagieren.
Neue Wege mit spannenden Geschäftsmodellen
Neben der Fidor Bank AG gibt es weitere spannende neue Geschäftsmodelle. Dies zeigt z.B. das Börsenportal Sharewise, dessen Service eine neue Dimension der Transparenz und mit OpenIR auch eine neue Qualität der Kommunikation zwischen Unternehmen und Anlegern/Investoren eingeleitet hat. Smava revolutioniert die Kreditvergabe durch die Delegation der Kreditvergabeentscheidung an die Einleger (Fachwort peer-to-peer lending). Freilich adressiert Smava bisher nur Small Business und Privatkunden.
Dies sind freilich nur erste Schritt hin zu grundlegenden Veränderungen im Finanzierungsbereich. Der große Veränderungsdruck etwa im Finanzierungsgeschäft liegt im Businessbereich. Hier werden wir allein aufgrund der Eigenkapitalrestriktionen in den nächsten Jahren erleben, wie die klassischen Intermediationsfunktionen von Banken ausgehebelt werden. 2.0-Techniken werden hier eine große Rolle spielen (siehe dazu vom Neustart des Finanzsystems). Solche Ansätze lassen sich außerdem leicht ausweiten auf die Bereitstellung von Eigenkapital für kleinere und mittlere Unternehmen. Im StartUp-Bereich wird bereits mit Methoden des sogenannten Crowdfunding als alternative Venture-Finanzierung experimentiert.
Weitere spannende Geschäftsmöglichkeiten liegen in neuen Instrumenten zum Risikomanagement, wie sie z.B. Robert Shiller beschreibt. Über die Notwendigkeit zu mehr Transparenz im Finanzsektor hat Dr. Lerdo im Sommer einen interessanten Beitrag für diesen Blog verfasst unter dem Titel: Finanzen & Web 2.0 - Mehr Transparenz für die Finanzmärkte? Über die Lehren aus dem dem Fall Madoff für die Vermögensverwaltung hatte ich bereits Anfang letzten Jahres geschrieben.
Partizipation nicht kopieren, sondern neu denken
Ein viele etablierte Institute abschreckendes Stichwort des 2.0-Hypes ist Partizipation ihrer (potentiellen) Kunden in welcher Form auch immer. Hier empfehle ich eine vorurteilsfreie Herangehensweise, schließlich geht es nicht um die sofortige Umsetzung, sondern zunächst um neues Denken. Um das Bedürfnis der Partizipation im Bankbereich zu verstehen, ist es hilfreich auf einige Aussagen von Prof. Peter Kruse, Leiter des Bremer Unternehmens Nextpractice zu schauen. Er sieht den Veränderungsbedarf durch die Banken selbst bestärkt und durch den bei den Zielgruppen verursachten Ärger: “Hinter dem ganzen Frust wächst eine extreme Bereitschaft, sich zu beteiligen, aber nicht mehr auf den klassischen Wegen in den Parteien”, folgerte Prof. Kruse. Die Menschen suchten nach neuen Formen des Mitmachens. “Partizipation ist das große Thema der nächsten Jahre.” Dies betrifft nicht nur die Privatkunden, sondern sicher auch die Firmenkunden, wie etwa den klassischen Mittelständler.
Dabei sollten Geschäftsmodelle wie die von Fidor, Smava und Co. nicht einfach kopiert werden. Kein Mensch weiß heute wirklich, ob diese nachhaltig genug sind. Viel entscheidender ist es für die Häuser, sich intensiv mit dem 2.0-Verhalten auseinanderzusetzen und dies nicht als Aktionismus einiger Techfreaks abzutun. Die Entwicklung ist ohnehin nicht aufzuhalten und kommt so oder so. Je früher sich ein Haus damit befasst, desto früher lassen sich daraus Wettbewerbsvorteile generieren.
Die Banken brauchen ein Web 2.0-Coaching
Sascha Lobo schrieb vor einigen Wochen in seinem Blog: “Unternehmen dürfen sich einerseits nicht von “Social Media Consultants” verrückt machen lassen, die behaupten, dass DAX-Konzerne ohne Twitter-Account bereits unmittelbar vor der Insolvenz stehen würden.” Dies gilt natürlich ebenfalls für Banken.
Nach meiner Auffassung muss sich die Finanzbranche tiefgreifender auf den Wandel vorbereiten, als sie dies bisher tut. Dies beginnt beim Selbstverständnis der Unternehmensphilosophie, der Unternehmenskultur und der Marktstrategie. Die Wirkungen des sich derzeit vollziehende Wandel auf diese Bereiche muss zunächst einmal begriffen werden. Erst danach kann man fragen, wie man Produkte, Kommunikation und in der Folge Organisation und Technik ausrichten will.
Die Web-Avantgarde der Entwickler und Dienstleister des Web 2.0 sind möglicherweise ebenfalls noch nicht so weit, den Banken wirklich zu helfen. Sie sind sehr verliebt in die neue Technik und beschäftigt mit der Suche nach dem nächsten Google, Twitter oder Facebook, vergessen dabei aber, das Establishment dort abzuholen, wo es steht (siehe dazu auch Die digitale Kluft: Scheuklappen der Netzgemeinde).
Zum Herantasten brauchen viele Banken wohl zunächst ein Web 2.0-Coaching. Dieses sollte auf der Ebene der Geschäftsleitung beginnen und auf Basis der gegenwärtigen Geschäftsmodelle die Möglichkeiten des 2.0-Banking herausarbeiten. Wie ein solcher Prozess aussehen könnte will ich zusammen mit Florian Semle, eine Fachmann für 2.0-Kommunikation in einem Folgebeitrag exemplarisch herausarbeiten. Wir haben in einigen Gesprächen festgestellt, dass es Zeit ist, die Erfahrung beider Welten einmal in eine konkrete Herangehensweise zu gießen. Um ein wenig Geduld müssen wir dabei allerdings noch bitten.
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