Reaktionen auf WikiLeaks und Facebook unterstreichen die digitale Kluft zwischen Wirtschaft und Web 2.0

by Dirk Elsner on 17. Februar 2011

Der zum Cyber-Krieg (Spiegel) hochgejazzte Kampf um WikiLeaks bewegt weiter Politik, Wirtschaft und Medien. Unternehmen sind erstaunt über die Aktivitäten, einige fürchten Informationsangriffe gegen die Wirtschaft, andere verstehen es clever, ihrer Dienstleistungen anzubieten, um dies zu verhindern. Facebook drängt mit der Engagement von Goldman Sachs auf einmal in den Fokus der Wirtschaft und der Finanzmärkte. Viele fragen sich, was hier eigentlich passiert und ob sie etwas verpasst haben.

Die Auseinandersetzung um WikiLeaks und die Fragezeichen bei Facebook unterstreichen einmal mehr sehr eindrucksvoll die “digitale Kluft” in der Wirtschaft.

Digitale Graben im Management

Und diese digitale Kluft existiert. Etwa zwei Drittel der Bundesbürger sollen noch nicht “geübt” im Umgang mit den neuen Medien sein. Diese Zahl muss nicht exakt stimmen, wird aber in einer Studie der Initiative D21 zur digitalen Gesellschaft herausgearbeitet. Nach einer Analyse der Deutschen Bank halten sich viele Unternehmen beim Einsatz moderner Kommunikationsmöglichkeiten immer noch zurück.

Der digitale Graben fällt insbesondere im Management auf. In vielen Gesprächen mit Unternehmen und Banken spürt man die große Distanz der Unternehmenspraktiker zum so genannten Web 2.0. Nur sehr wenige Unternehmen setzen aktiv auf das Web 2.0 oder bauen sogar Geschäftsmodelle darauf auf. Die meisten verzichten zumindest nach außen auf 2.0-Elemente oder setzen Social Media nur intern im Unternehmen ein, wie etwa Wikis für Projekte oder Prognosemärkte.

Vergangene Woche schrieb Michael Hengl im Blog des Harvard Business Managers über “Die Angst der Manager vor Social Media”. Auch nach seiner Beobachtung scheuen sich viele Führungskräfte davor, ihre Unternehmen für die modernen Kommunikationsformen des Web 2.0 zu öffnen.

Merkmale von Web 2.0 oder Social-Media

Ein besonderes Merkmale der Nutzung der Web 2.0 oder Social-Media-Technologien ist neben der Nutzung neuer Webtechnologien vor allem eine erweiterte Philosophie im Umgang mit Kunden. Diese zeichnet sich durch offene und gleichberechtigte Kommunikation, hohe Transparenz über Leistungen und Gegenleistungen sowie Einbeziehung der Kunden in den Leistungsprozess aus.

Vieler altgediente Wirtschaftspraktiker sehen das “Social” in “Social Media” dabei immer noch als „sozial” im Sinne von gut an. Tatsächlich wird das social aber weniger im Sinne von “sozial” und damit “moralisch gut” interpretiert, sondern im Sinne eines gemeinsamen Handelns. Social Media lässt sich daher eher als eine Philosophie verstehen, die Menschen mit ihren Bedürfnissen in den Mittelpunkt stellt, ohne dabei die legitimen Eigeninteressen zu verdecken.

Top-Entscheider ab 40+ sind interessiert und dennoch distanziert

Ein Problem liegt im Unbehagen vieler Unternehmensmanager, die eine zu große Distanz zu den gar nicht mehr so neuen Entwicklungen haben. Sie unterschätzen die Entwicklungen. Die meisten Top-Entscheider in Unternehmen gehören der Generation 40+ an und stehen den neuen Instrumenten skeptisch bis ablehnend gegenüber. Sie übersehen dabei, dass die stark wachsende Gruppe der «Digital Natives» zunehmend selbst in Entscheiderpositionen Platz nimmt.

Hier ein paar Klischees: Der typische Manager ab etwa Mitte 40 hält sich für internet-affin und offen gegenüber neuen Techniken. Er bestellt Bahn- oder Flugtickets online, kauft bei Amazon, beteiligt sich aber nicht an den Rezensionen. Er liest neben der Tageszeitung in Papierform Nachrichten online, nutzt aber selten Weblogs, Twitter oder Facebook. Er kommuniziert per Mail und nutzt Xing nur als erweitertes Adressbuch.

Natürlich weiß er etwas mit der Wikipedia anzufangen, beteiligt sich aber nicht an ihrer Aktualisierung. Die Nutzung von SchülerVZ und Facebook durch die eigenen Kinder begleitet er mit einer Skepsis, weiß aber, dass Verbote zwecklos sind. Er hat seinen Kindern die Nutzung von Tauschbörsen untersagt, ahnt aber nicht, dass sie sich für ihr Alter nicht geeignete Filme über Streamingangebote ansehen. Das Teilen von Informationen im Netz ist ihm suspekt und eigentlich überhaupt nicht notwendig, denn man wisse ja, was man wissen muss und gebe diese Informationen an die Personen weiter, für die es notwendig ist.

Eine weitere Ursache für die Skepsis macht Hengl darin aus, dass Manager fürchten, Macht und Einfluss zu verlieren.

Nicht überzeugt von Social Media

Viele Unternehmensleitungen sind außerdem längst noch nicht überzeugt von der Errungenschaften des Social Webs. Der Grund ist klar. 95% der Unternehmen funktionieren einwandfrei und erfolgreich ohne auf das Web 2.0 zu setzen. Behauptungen der Netzavangarde, Unternehmen könnten besser oder wettbewerbsfähiger laufen, wenn sie Social Media-Instrumente einsetzen, bleiben Behauptungen, die allenfalls durch Einzelbeispiele belegt werden können. Die meisten Unternehmen wiederum, die ihre Geschäftsmodelle komplett auf 2.0-Techniken ausgerichtet haben, sind den Nachweis ihres ökonomischen Erfolgs weiterhin schuldig.

Klar, viele Unternehmen der 1.0-Welt haben mit eigenen Blogs experimentiert oder probieren mit Twitter oder Facebook ihre Kunden zu erreichen. Der Erfolg dieser Versuche ist kaum messbar. Akzeptiert werden die wenigsten dieser Angebote, weil die Netzleser kaum etwas mehr hassen als gesteuerte und von Kommunikationsexperten gedrechselte PR-Schreibe. Nebenbei bemerkt hat es rein gar nichts mit einer Social-Media-Philosophie zu tun, wenn Unternehmen Informationen per Twitter versenden oder eine Facebook-Seite betreiben, wenn diese Kanäle nur als einseitiges Instrument eingesetzt werden, um typische Werbebotschaften Botschaften bei ihren Zielgruppen zu platzieren.

Kommunikationsphilosophie der Generation 1.0

Diese Gedanken führen zu der grundlegenden Kommunikationsphilosophie der Generation 1.0. Für das typische 1.0-Unternehmen existieren im Prinzip nur zwei Formen der allgemeinen Außenkommunikation. Sie kommunizieren

  1. entweder nur die Botschaften, die sie platziert wissen wollen, um direkt oder indirekt Geschäfte anzubahnen und abzuwickeln oder
  2. gar nicht.

Kommuniziert wird, wenn daraus ein messbarer Nutzen erwartet wird, etwa durch ein verbessertes Image, höhere Umsätze oder Mitarbeiterzufriedenheit. Dies ist ökonomische rational. Die Kommunikation des “Social Webs” zeichnet sich dagegen dadurch aus, dass der unmittelbar messbare Nutzen der Informationsweitergabe nicht die Hauptmotivation ist, andernfalls hätten Projekte wie Wikipedia, Firefox oder WikiLeaks nie entstehen können.

Bleibt der digitale Graben?

Bedeutet dies nun, der digitale Graben bleibt und wir können den 2.0-Hype vergessen und zur Tagesordnung übergehen? Unternehmen müssen nicht, wie das einige Gurus gern beschwören, heute ihre gesamte Strategie über den Haufen werfen und ihre Unternehmen konsequent auf Social Media trimmen. Durch das Aufwachsen mit dem «Netz» erwartet aber die junge Generation eine ganz andere Form der Information und Kommunikation. Verschlossenheit, Intransparenz und mangelnde Einbeziehung werden immer stärker zu einem Ausschlusskriterium  für Geschäftskontakte und zunehmend als Schwäche gewertet. Dies gilt übrigens auch für Bewerber, die verstärkt auf die Art der Webpräsenz eines Unternehmens achten.

Aber nicht nur für die Außendarstellung bieten Social-Media-Instrumente deutlich mehr Chancen als Risiken. Richtig eingesetzt, eignet sich die Philosophie mit den entsprechenden Tools zur Aufspürung neuer Trends und der Früherkennung von Risiken. Unternehmen tun daher gut daran, sich wesentlich aktiver mit den neuen Möglichkeiten auseinander zu setzen. Dabei gibt es nicht den Königsweg in die neue Welt. Nur eines dürfen Unternehmen nicht tun: Die Entwicklung ignorieren.

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