Als 2008/09 das weltweite Finanzsystem vor dem Abgrund stand, forderten viele Wissenschaftler, Volkswirte, Politiker und Banker neue Denkansätze für die Finanzmärkte. Dies gehört zu den üblichen Ritualen der Funktionselite, wenn exogene Schocks bestehende Systeme in ihrem Bestand bedrohen. Die Forderungen nach neuen Denkansätzen versickern in der Praxis dann meist genau so kläglich, wie medienwirksame Hilfszusagen nach Naturkatastrophen nicht eingehalten werden. Überflüssig daher zu schreiben, dass von den rhetorischen Wünschen nach Erneuerung der Finanzmärkte bislang nichts in der Praxis übrig geblieben ist. Mit Ausnahme des zarten Pflänzchens, das unter dem Stichwort Banking 2.0 heran wächst (siehe dazu diese Mindmap), lassen sich an den Finanzmärkten keine Änderungen ausmachen.
Zu Recht kann man zwar von der “intellektuellen Trägheit” der “Finanzelite” sprechen. Diese darf man aber nicht nur bei den Eigentümern und Managern von Finanzinstitutionen diagnostizieren, man findet sie ebenfalls in der Politik und den aufsichtsrechtlichen Institutionen, wie wir am Ende dieser Beitragsreihe lesen werden.
Die Aktivitäten der Mitglieder eines sozialen Systems zielen bei einer Krise darauf ab, in erster Priorität das bestehende System mit den bisherigen Mitgliedern zu stabilisieren. Genau dies wird sehr eindrucksvoll belegt durch das Verhalten im Finanzsektor nebst der normsetzenden politischen Organe und der die Finanzindustrie beaufsichtigenden Institutionen. Zu weiteren Gründen für die geringe Veränderungsbereitschaft hat der Blick Log zuletzt in einer eigenen Beitragsreihe 10 Thesen aufgestellt (Thesen 1 bis 5 hier und Thesen 6 bis 10 hier).
Heftige Warnung vom Internationalen Währungsfonds
Gewichtiger als das Wort dieses Blogs sind freilich die in offizielle Arbeitspapiere gegossenen Gedanken des Internationalen Währungsfonds. In der am 9. März veröffentlichten Studie “Crisis Management and Resolution: Early Lessons from the Financial Crisis” wird der Stillstand in der Bekämpfung der Ursachen der Finanzkrise kritisiert.
„Die Reparatur der Finanzinstitutionen und allgemein der Abbau der faulen Wertpapierbestände sind viel weniger fortgeschritten, als sie sein sollten“, zitiert das Handelsblatt die Autoren. Weiter heißt es: „Die Anfälligkeit des globalen Finanzsystems bleibt erheblich und bedroht die wirtschaftliche Erholung.” … Durch die Bankenrettung sei das Problem sogar verschärft worden: „Der Moral Hazard ist größer geworden, die Konzentration im Finanzsystem hat zugenommen.“
In ihrem Blog, so das Handelsblatt abschließend, warnen die Autoren noch eindringlicher als in der gedruckten Fassung vor den katastrophalen Konsequenzen des epochalen Versäumnisses der Politik: „Die Entscheider haben das System mit massiven Finanzhilfen schnell stabilisiert. Aber das hat nur die Symptome der globalen Finanzkrise kuriert – die seltene Gelegenheit, ihre tieferliegenden Ursachen anzugehen, wird jetzt fahrlässig vergeudet.“
Verschwendung der Krise
Auf die Verschwendung der Krise hat der Blick Log bereits Ende 2009 hingewiesen. Angesichts der Neigung von Systemmitgliedern, das eigene System eher zu stabilisieren als zu verändern, überrascht es nicht, dass trotz pr-wirksamer Änderungsschwüre im Finanzsektor (exemplarisch hier Goldman Sachs) kaum etwas passiert.
Selbst die Vorschläge des IWF in dem oben zitierten Diskussionspapier stellen keine grundsätzliche Neuerung dar und werden zum Teil sogar umgesetzt. Der IWF schlägt vor, die Komplexität von Großbanken zu beschneiden, die Kapitalanforderungen weiter zu erhöhen und sogar die Größe und Geschäftmodelle zu beschränken. Wie die Umsetzung konkret erfolgen soll, lässt die internationale Institution freilich offen.
Ob diese Maßnahmen tatsächlich für einen Neustart taugen, lasse ich einmal dahin gestellt. Ich kann die Forderungen zwar nachvollziehen, mir gefallen sie jedoch nicht. Sie sind destruktiv, weil sie keine Impulse geben, den Finanzsektor im Sinne des Bedürfnis der Kunden und der risikotragenden Steuerzahler in eine neue Richtung hin zu entwickeln. Die Ansätze des IWF lassen außerdem unberücksichtigt, dass gerade die Regulierung die Komplexität deutlich erhöht und damit den Trend zu größeren Einheiten gerade fördert und Newcomer vom Markt fernhält (siehe dazu vertiefend “Wem die Regulierung im Finanzsektor wirklich nutzt” und “Wie der Staat die Großbanken subventioniert”).
Eine weitere Konsequenz ist die so genannte Regulierungsarbitrage, also das Abwandern von Geschäften in Schattenbanken und/oder in Staaten, die mit weniger Regulierung locken (hier am Beispiel Indiens).
Markt “zwingt” zur Rückkehr zu alten Mustern
Tatsächlich sind die vom IWF skizzierten Gefahren der Rückkehr zu den üblichen Verhaltensmustern, sehr real. Ein hochrangiger Bankmanager (Ebene unterhalb des Vorstands) bestätigte mir kürzlich bei einem Mittagessen, dass man überall an den Finanzmärkten die Verhaltensmuster aus der Zeit vor der Finanzkrise zurückkehren sieht. Selbst wenn man als Bank dies nicht wolle, zwinge einen der Markt faktisch dazu, diesen Mustern zu folgen.
Solche Aussagen mögen zwar Gesinnungsethikern säuerlich aufstoßen, sie sind aber das Ergebnis des Verhaltens der großen Mehrheit von Marktteilnehmern, zu denen auch die Privatkunden gehören.
Der wieder anziehende Wettbewerb im Kreditgeschäft um die besten Kunden lässt die Margen sinken und den Druck bei den Kreditbedingungen (Covenants) nachgeben (eine Forderung, die der Blick Log übrigens auch aufgestellt hat). Beobachtet wird auch, dass die Risikobereitschaft der Investoren und der Finanzhäuser wieder zunehmen. In den internen Risikomodellen können die Institute zwar weiterhin “Schwarze Schwäne” berücksichtigen und ausgeklügelte Frühwarnsysteme implementieren, als Bank katapultiert man sich jedoch schnell aus dem Markt, wenn man ständig mit dem Schlimmsten rechnet. Kurz- und mittelfristig profitieren nämlich die Institute, die sich weniger risikoavers zeigen.
Die Rückkehr zu alten Mustern der Systemmitglieder ist also nachvollziehbar. Risikovermeidendes Verhalten “bestrafen” letztlich die Märkte in Form geringerer Erlöse mit der Folge niedrigerer Bewertungen und damit teurer Refinanzierungsmöglichkeiten, die dann wieder zu geringerer Wettbewerbsfähigkeit führen.
Zurück zu neuen Vorschlägen
Interessanter als die geschäftsverhindernde Regulierung und damit der Stabilisierung des bestehenden System sind daher Ansätze, die neue Geschäftsmöglichkeiten fördern und neuen Marktteilnehmern Chancen eröffnen, in die alten Systemstrukturen einzudringen und sie aufzubrechen. Im zweiten Teil will ich daher auf einen konkreten Vorschlag blicken, den der Blick Log vor eineinhalb Jahren hier besprochen hat, und im dritten Teil können sie lesen, wie öffentliche Institutionen auf diesen Vorschlag reagiert haben was aus diesem Ansatz bisher geworden ist.
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