Wem die Regulierung im Finanzsektor wirklich nutzt

by Dirk Elsner on 16. Februar 2010

Die neue Finanzordnung sorgt derzeit für viel Diskussionsstoff (siehe Überblick hier). Besonders angesagt ist das Bankingbashing, insbesondere wenn sich die Banken gegen zu viel Regulierung wehren. Dem Blick Log geht die Einseitigkeit dieser öffentlichen Diskussion, an der die Banken aber wegen ihrer Untätigkeit eine erhebliche Mitschuld tragen, gehörig auf den Zeiger. Daher hatte ich in einer Mindmap die Großbaustellen der neuen Finanzordnung vorgestellt. Darin enthalten sind die wichtigsten diskutierten Änderungen hin zu einer neuen Finanzarchitektur.

Eine leider sehr selten gestellte Frage ist, wem die neue Finanzordnung eigentlich tatsächlich nützt. Unterstellt wird ja, dass wir alle von einer strengeren Regulierung profitieren sollen. Ich hege da erhebliche Zweifel. Die Regulierung bestimmter Branchen wird offiziell dann als sinnvoll angesehen, wenn der Marktmechanismus nicht die gewünschten Ergebnisse bringt und zu erwarten ist, dass die wie auch immer definierten Ziele durch staatliche Eingriffe besser erreicht werden.

Nun kann insbesondere der Finanzsektor nicht als unreguliert bezeichnet werden. Ob die Regulierung wirklich dazu dient, die Finanzwelt “besser” und sicherer zu machen, darf bezweifelt werden. Schon jetzt gibt es keinen Unternehmenssektor, der so stark beaufsichtigt wird, wie der Finanzsektor (Ausnahme vielleicht die Energiewirtschaft). Und trotz dieser Regulierung, die jährlich Milliarden kostet, sind die Finanzmärkte in einem nie vorstellbaren Maß zusammengebrochen.

In der öffentlichen Debatte über die neue Finanzordnung wird gern ausgeblendet, wer eigentlich noch von der Regulierung profitiert. Das ist bedauerlich, denn erst ein Blick darauf rundet die Diskussion ab. Tatsächlich ist kaum jemand in der Lage, alle Details und Abhängigkeiten nebst den daraus resultierenden Anforderungen an die organisatorische und it-technische Umsetzung zu verstehen. Das erleichtert die offenen und verdeckten Aktivitäten von Interessengruppen. Alexander Fest schreibt (siehe Literaturhinweis) zu den Gruppen, die Interessen an der Regulierung haben:

„Beim Versuch, die eigenen Interessen durchzusetzen, wird häufig vorgeschoben, die Regulierung liege im allgemeinen Interesse. Kane wendet den Ansatz des interest group-Paradigmas auf die Regulierung von Banken an. Aus seiner Sicht fragen Einleger Regulierung nach, um den Grad der eigenen Risikonahme zu verringern, das Management von Banken, um sich Unabhängigkeit vom Eigentümer zu verschaffen, und die Eigentümer, um das Management zusätzlich kontrollieren zu lassen. Die Regulierungsnachfrager, die sich durchsetzen, werden die Gestaltung der konkreten Normen maßgeblich beeinflussen.“

Bei der folgenden Betrachtung lasse ich bewusst die Interessen der Politiker aus, weil die politökonomischen Betrachtungen ausreichende Aufmerksamkeit erfährt. Ich schaue hier auf drei Interessengruppen, bei denen aus verschiedenen Motiven heraus ein hohes Interesse an Regulierung vermutet werden darf:

Große Finanzhäuser

An erster Stelle haben die Banken selbst und zwar besonders die großen Institute einen Nutzen durch Regulierung. Sie erhöht nämlich kräftig die Eintrittsbarrieren für neue Marktteilnehmer. Die mit Regulierung verbundenen organisatorischen Kosten (etwa für die Anpassungen der IT-Systeme) führen dazu, dass kleine Institute diese nicht mehr stemmen können, vom Markt verschwinden oder sich zu größeren Einheiten zusammenschließen müssen.

Diejenigen dagegen, die die Regulierung beherrschen, und das sind in der Regel die großen Institute (allen voran Goldman Sachs oder die Deutsch Bank), haben sich derweil bequem eingerichtet oder treiben in Zusammenarbeit ihrer Lobbyisten mit den Machern der Vorschriften die Änderung des Regelwerks voran. So schrauben sie die Markteintrittsbarrieren immer weiter nach oben und verdrängen kleine und innovative Mitspieler. Im Gegenzug winkt eine Art Regulierungsrente mit hohen Gewinnen. So könnte Goldman etwa die Volcker-Rule dazu nutzen, sich wieder in reine Investmentbank umzuwandeln. Goldman würde dann wieder als „Nicht-Bank“ gelten und den strengen neuen Regeln entgehen und könnte sogar zum “Gewinner” der US-Reform werden, vermutet etwa die FTD.

Die Wissenschaft spricht beim Einfluss der Branche auf die eigene Regulierung übrigens von capture-Theorie. Dazu schreibt Fest:

Sie geht davon aus, “dass sich über kurz oder lang aufgrund der Gruppencharakteristika stets die Interessen der Produzenten durchsetzen werden. Die bestehende Regulierung wird nach und nach mit dem Ziel modifiziert, immer weitreichender die Interessen der Produzenten zu entsprechen, bis die regulierte Branche schließlich die Kontrolle über die Regulierungsbehörde übernimmt. Als Gründe für die Dominanz dieser Produzentenschutzhypothese werden Belohnungen, nachlassendes Interesse der Konsumenten nach einmal initiierter Regulierung oder die Filterung der Informationen durch die zulieferenden Produzenten angeführt.

Aufsichtsbehörden

Der Wettlauf zwischen Regulierern und der gegen sie “ankämpfenden” Produktentwickler in den Finanzinstituten hat mittlerweile eine Komplexität erreicht, die von den Aufsichtsbehörden mit ihrem jetzigen Personal kaum noch beherrscht wird. Dennoch werden die Einflussbereiche der Regulierer ständig erhöht.

Fest schreibt, die Regulierungsbehörde “wird tendenziell danach streben, die Regulierung auszudehnen, um ihren Bestand dauerhaft zu sichern oder ihre Einflussnahmemöglichkeiten zu vergrößern.” In der Praxis ist bereits zu beobachten, dass die Aufgaben der eigentlich nur für die Finanzmarktstabilisierung Finanzmarktstabilisierungsanstalt ausgeweitet werden sollen. “Der staatliche Rettungsfonds Soffin soll bei drohenden Banken-Schieflagen nach Vorstellungen der schwarz-gelben Koalition eine aktivere Rolle spielen. „Der Soffin könnte aus meiner Sicht in Deutschland die Funktion des amerikanischen Einlagensicherungsfonds FDIC (Federal Deposit Insurance Company) übernehmen“, sagte der finanzpolitische Sprecher der Union in einem Zeitungsinterview.

Dienstleister der Banken

Und abschließend sind natürlich auch die Dienstleister zu nennen, die von der Bankenregulierung bzw. den vielen Änderungen leben. In den letzten 20 Jahren hat sich eine große Industrie rund um die Bankenwelt entwickelt. Ob Unternehmensberatungen, Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, Anwaltskanzleien, Datenlieferanten, IT-Industrie, Fachmedien oder Hochschulen. Jeder Komplexitätssteigerung in der Regulierung erhöht die Nachfrage nach weiteren Leistungen dieser Unternehmen.

Regulierung und Komplexität Mitschuld an der Finanzkrise

Einige Fachleute geben den komplexen Vorschriften für die Finanzmärkte eine Mitschuld an der Finanzkrise. So haben etwa die Eigenkapitalvorschriften Basel II erst dazu geführt, den Markt für verbriefte Forderungspakete und Credit Default Swaps (CDS) stark zu machen und Kreditrisiken verstärkt auf unregulierte Nichtbanken auszulagern.

Die Summe der bisherigen Regulierungen hat schon jetzt zu einer Komplexität in der Bankensteuerung und einem Kostenapparat geführt, der kaum noch beherrschbar ist. Die Ertragsspanne pro Geschäft muss deutlich höher liegen als noch vor 10 Jahren, um die mit den Regulierungsvorschriften verbundenen Kosten abzudecken.

Die Regulierung hat außerdem zu einer erheblichen Fragmentierung von Entscheidungen in Front-, Middle- und Backoffice sowie zentraler Risikosteuerung geführt. Verantwortliche für “schlechte Geschäfte” sind so kaum noch persönlich auszumachen.

Fazit

Trotz aller Kritik am Bankensektor darf nicht übersehen werden, dass die schon bisher sehr strenge Regulierung nicht erfolgreich war. Aus der Debatte habe ich noch keine Argumente gehört, die erwarten lassen, dass sich dies künftig ändert. Gerade die Einführung von Basel II wurde damit begründet, die Stabilität des Finanzsektors noch einmal deutlich zu erhöhen. Im Vorfeld wurde das nie in Frage gestellt. Genauso sollten die Einführung der IFRS für die Bilanzierung die Transparenz erhöhen. Auch hier wurde vor der Einführung leidenschaftlich für den Nutzen dieser Vorschriften argumentiert. Es sei dahingestellt, ob die vor allem von Wirtschaftsprüfungsgesellschaften gestalteten IFRS die Krise mit verursacht haben, verhindert jedenfalls haben sie diese nicht.

Umfangreiche Regulierung führt tendenziell zu einer stärkeren Konzentration im Finanzsektor und damit zu größeren Einheiten. Größere Einheiten wiederum sind vielfach unerwünscht. Sie führen bekanntlich zum Entstehen systemrelevanter Risiken (was auch immer man darunter konkret verstehen mag), die wiederum durch zusätzliche Regulierung verhindert werden sollen. Freiräume für frische Anbieter mit neuen Ideen können so gar nicht erst entstehen.

Dies jedenfalls sollten wir im Hinterkopf behalten, wenn jetzt leidenschaftlich für eine neue Finanzordnung gekämpft wird, die diesmal „ganz bestimmt besser wird“ und uns selbstverständlich künftig vor Finanzkrisen bewahrt. Ich jedenfalls traue diesen Versprechungen nicht und halte insgesamt ein System für besser geeigneter, dass mit Finanzkrisen rechnet und Banken im Zweifel in die Insolvenz gehen lässt und sich mit entsprechendem Risikomanagement dagegen vorbereitet.

Lesetipp

Klar, dass ein Blogbeitrag das Thema nur oberflächlich anreißt. Wer sich tiefer über “Zwecke, Ansätze und Effizienz der Regulierung von Banken” informieren will, dem empfehle ich das gleichnamige Buch von Alexander Fest. Mann kann in ihm bei Paper C nach Registrierung kostenlos blättern und lesen. Jede weitere Nutzung kostet dann 10 Cent pro Seite. Eine Sammlung ausgewählter Berichte, Beiträge und Dokumente zur Debatte über eine neue Finanzordnung ist auf dieser Seite zusammengestellt.

enigma Februar 17, 2010 um 16:44 Uhr

Eine Ergänzung von Rodrik:

„In einer Welt getrennter politischer Souveränität und unterschiedlicher nationaler Präferenzen ist die Bemühung um internationale Harmonisierung ein Rezept für schwache und ineffektive Regeln. Das ist ein Grund, warum internationale Banker internationale Koordination lieben.“

http://www.project-syndicate.org/commentary/rodrik40/German

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