Die japanische Katastrophe und die widersprüchlichen Aussagen der Ökonomen

by Dirk Elsner on 25. März 2011

Heute vor zwei Wochen begann in Japan die Zeitwende durch das Erdbeben, den Tsunami und die die ganze Welt (und vor allem Deutschland) in Unruhe versetzende Katastrophe im Kernkraftwerk Fukushima. In diesen zwei Wochen haben, wie so oft bei solchen Großereignissen, unzählige Ökonomen munter über die Wirkungen auf die Weltwirtschaft spekuliert.

Da wird auf der einen Seite über eine Kettenreaktion für die Konjunktur und einen wirtschaftliche Schock für die Weltwirtschaft:geschrieben. Dann heißt es, es gäbe keine Weltrezession wegen Japan und der Wiederaufbau sei ein gigantisches Wachstumsprogramm.

Wird man dadurch schlauer? Nein, denn die Aussagen sind so widersprüchlich, wie stets nach solchen Ereignissen, über dessen Wirkungen sich eigentlich keine Einschätzungen abgeben lassen.

OK, ein abschließendes Urteil kann ich mir nicht bilden. Ich habe es mir abgewöhnt, diese Schnelldiagnosen und -prognosen zu lesen. Ich halte sie nicht relevant und packe sie eher in das Fach für Anekdoten, die ich lese, wenn ich Unterhaltung suche. Aber nach putzigen Geschichten war mir nicht nach den Bildern, die uns erreichten.

Immerhin bringen einige Autoren ihre Skepsis gegenüber ökonomischen Analysen bzw. Prognosen zu Papier. So hat es Thomas Fricke in seiner Kolumne in der FTD vergangene Woche gut auf den Punkt gebracht:

 

“Experten sind am meisten gefragt, wenn sie am wenigsten wissen. Zumindest nach Katastrophen wie der, die seit einer Woche Japan und die Welt schockiert – und bei der niemand recht weiß, was noch passiert, weder Physiker noch Ökonomen. Das Reaktionsmuster ist trotzdem immer ähnlich, ob nach Erdbeben, Wirbelstürmen oder Terroranschlägen wie 2001: Früher oder später kursieren Szenarien darüber, was die menschliche Tragödie wirtschaftlich bedeutet. Für die betroffene Region. Und für die Weltwirtschaft. Da findet sich meist dann auch ein Experte, der die globale Rezession "nicht ausschließt". Wegen der Verflechtung.

Solche Szenarien wirken im ersten Moment plausibel, stehen allerdings in Widerspruch dazu, was in aller Regel folgt, so zynisch das wirkt: Es gab in den vergangenen Jahrzehnten so gut wie keine noch so schlimme Natur- oder Menschenkatastrophe, die das Wirtschaftsleben mehr als ein paar Wochen beeinträchtigt hat – erst recht nicht auf globaler Ebene. Fragt sich eher, warum – und ob – es Ausnahmen gibt, die auf Japans Atombeben diesmal doch zutreffen könnten.”

Passend präsentiert die FTD in ihrer Serie “Neue Denker” den Ökonomen und Prognosekritiker Roman Frydman. Er forscht, so die FTD, “ seit Jahren auf dem Gebiet der Unsicherheit und kommt zu dem Schluss: "Die gängigen Modelle der Volkswirte berücksichtigen überhaupt nicht, dass ungewöhnliche Ereignisse auftreten können." Frydman kritisiert die Rationalitätsannahmen der herrschenden Finanzmarkttheorie, verschont aber auch die Behavioral Finance nicht, weil “diese Schule den Menschen zu häufig ein irrationales Verhalten nachsagt. Sie fällt gegenüber der These effizienter Märkte mit ihren extrem rationalen Menschen in das andere Extrem”, erklärt er in einem Interview mit der FAZ.

Übrigens trifft die Skepsis gegenüber “Experten” nicht nur Ökonomen. Fukushima hat deutlich die Skepsis gegenüber anderen “Experten”, die für Unternehmen oder Lobbyverbände arbeiten bestärkt. Die FAZ weist darauf hin, “dass ihnen kaum jemand über den Weg traut. Denn auch die Vorgänge in Fukushima waren nach menschlichem Ermessen ausgeschlossen worden.”

Tatsächlich helfen die widersprüchlichen Einschätzungen nicht weiter und dienen wohl in erster Linie der Eigen-PR der “Experten” und der Steigerung der Klickraten. Unternehmen verlassen sich schon lange nicht mehr auf solche Schnelldiagnosen. Sie schauen sich die konkreten Wirkungen von Katastrophen oder politischen Umbrüchen, wie in den arabischen Staaten, unter dem Aspekt der Wirkung auf ihr Unternehmen an.

Und hier gibt es eine große Bandbreite von Wirkungen, die von zusätzlichem Auftragsvolumen (Bauindustrie, Sicherheitstechnik) bis hin zu massiven Einschränkungen (Tourismus, Versicherungen) reichen. Dazwischen gibt es viele Unternehmen, die durch Unterbrechungen ihrer Lieferketten möglicherweise betroffen sein können, wenn sie nicht durch entsprechendes Risikomanagement solchen Unterbrechungen vorgebeugt haben. Die Wirkungen in der Summe lassen sich nicht seriös beziffern, zumal die Unternehmen selbst diese für ihren eigenen Betrieb nicht einmal sicher taxieren können.

Abschließen kann ich nur wieder einmal Nassim Nicolas Taleb zitieren, der fast zynisch in seinem Buch “Der Schwarze Schwan – Konsequenzen aus der Krise” schreibt (Seite 24):

Ich ziehe “es vor, über Ereignisse zu sprechen, bevor sie eintreten, nicht hinterher. Die Allgemeinheit bringt die Vorausschau jedoch mit der Rückschau durcheinander. Eben die Journalisten, Wirtschaftswissenschaftler und politischen Experten, die die Krise nicht kommen sahen, lieferten im Nachhinein eine Fülle von Analysen im Hinblick auf ihre Unvermeidlichkeit.”

Einige Beiträge zu Wirkungen der Katastrophe

NZZ: Japan droht ein Rückfall in die Rezession: Banken bleiben mittelfristig zuversichtlich für die Entwicklung am weltweiten Aktienmarkt.

Welt: JAPAN-KRISE – Ökonomen fürchten Kettenreaktion für Konjunktur: Unruhen in Arabien, steigende Preise, jetzt die Katastrophe in Japan: Eine explosive Mischung könnte den globalen Aufschwung gefährden.

Deutsche Welle: Keine Weltrezession wegen Japan

Bild: „MISTER DAX“ Wie gefährlich ist der Japan-GAU für die Weltwirtschaft?

HB: Japan-Folgen: Deutsche Wirtschaft dämpft Angst vor Konjunkturabsturz

FTD: Folgen der Katastrophe: Japans Wirtschaft könnte glimpflich davonkommen:

HB: Wirtschaftliche Folgen:Japan-Katastrophe schürt Angst vor Domino-Effekt: Erst dämpften Experten die Angst vor einem weltweiten Konjunkturrückschlag. Doch jetzt, wo die Lage in Japan immer hoffnungsloser wird, wächst die Sorge vor den wirtschaftlichen Folgen der Atom-Katastrophe. Ein Hafen in Tokio: Angst vor dem Crash

SZ: Erdbeben in Japan: Wirtschaftliche Folgen Schock für die Weltwirtschaft: Die Folgen des Bebens sind nicht nur für die Menschen in Japan eine Katastrophe. Sie könnten auch neue Schockwellen auslösen, die die Weltwirtschaft treffen: Die Industrie ist fast vollständig lahmgelegt, viele Transportwege sind blockiert

NYT: Crises in Japan Ripple Across the Global Economy: Tsunamis, radioactive plumes, Middle Eastern revolutions and a new round of the European debt crisis could derail a tenuous bounceback.   

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