Reicht nicht das EU-Recht, um Subventionen der Kernenergie zu beenden?

by Dirk Elsner on 7. April 2011

Am Freitag hatte ich hier die Gedanken zur Subventionierung der Risikokosten der Kernenergie zusammengefasst. Die Kernaussage war: Dadurch, dass die Kernenergieversorger im Vergleich zu den Risiken deutlich unterversichert sind (max. 2,5 Mrd. + eigenes Vermögen), wird die Kernenergie staatlich subventioniert. Die Energiebetreiber tragen, wie die Banken, nicht die tatsächlichen Risikokosten ihrer Geschäfte.

Eigentlich sollte dies ein Fall für den Wettbewerbskommissar der EU-Kommission sein. De facto wird hier eine Beihilfe gewährt in Form einer Versicherungsprämie. Das Wettbewerbsrecht der EU verbietet es aber den Mitgliedstaaten, in den freien Wettbewerb durch staatliche Beihilfen an die Unternehmen einzugreifen. Dieses Verbot wird in Artikel 107 (ex-Artikel 87 EGV) des EU-Vertrags formuliert, der besagt: „Soweit in diesem Vertrag nicht etwas anderes bestimmt ist, sind staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigungen bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedsstaaten beeinträchtigen.“

Klar, nicht jede staatliche Beihilfe ist europarechtswidrig. Der EU-Vertrag lässt durchaus zu, dass der Staat in den Markt eingreift. Aber gilt dies für die Kernenergie? Ist eine so außergewöhnliche Subvention ordungspolitisch gerechtfertigt und kennt jemand die Begründung?

Unter europarechtlichen Gesichtspunkten sind staatlich Beihilfen und Förderungen sehr wohl möglich aber nur, wenn diese mit bestimmten, von der EU wünschenswerten Ziele, erreicht werden. Ausnahmen legen Art 107 Abs. 2 mit Legalmaßnahmen beziehungsweise Ermessenstatbestände in Art 107 Abs. 3 fest. Die Energieversorgung ist hier aber nicht explizit erwähnt (Hintergrund zum Verbot staatlicher Beihilfen hier bei elearn.at).

Im Energiebereich wird der Wettbewerb verfälscht durch die de-facto-Subventionierung einer staatlichen Risikoabsicherung der Produktion. Vielleicht kennt sich ja einer der Leser mit EU-Recht aus und kennt die Rechtfertigung dafür. Es dürfte ja klar sein, dass die Energiekonzerne kein Wettbewerbsverfahren gegen sich selbst einleiten. Man darf sich aber durchaus fragen, warum wird die Kommission selbst nicht aktiv, wie sie dies etwa im Fall der Beihilfe für Banken macht (siehe beispielsweise HSH Nordbank, Hypo Real Estate oder WestLB)?

In früheren parlamentarischen Anfragen wurde die Subventionierung der Kernenergie von der EU zwar gerechtfertigt, weil sie keine Anhaltspunkte sähe für mit dem Gemeinschaftsrecht nicht zu vereinbarende Beihilfen. Diese Argumentation bezog sich aber nur auf bestimmte steuerliche Privilegien, die nicht als Beihilfe interpretiert wurdeen (siehe dazu Energierecht der Europäischen Gemeinschaften, S 234).

Mit dem EURATOM-Vertrag fördert die Europäische Gemeinschaft Jahrzehnten die Kernenergie. Aber lässt dieser Vertrag, dessen Änderung längst gefordert wird, eine solche Beihilfe zu? Warum wird die Solarenegiebranche eigentlich nicht selbst aktiv und strengt eine Klage an?

Nachtrag vom 14.11.11

Der Pixelökonom weist in einem Tweet auf ein Dokument des Wirtschaftsdienstes zu den wahren Kosten der Kernenergie hin. Hier wird auf eine Berechnung der Versicherungsprämien hingewiesen:

„In Deutschland deckt der Versicherungspool der Betreiberseite Schäden bis zu 256 Mio. Euro ab. Weitere 2,2 Mrd. Euro zahlen die Atomkraftwerksbetreiber, die darüber hinaus mit ihrem Vermögen haften. Um etwa einen Schaden von 5 Billionen Euro zu versichern, wäre nach Berechnungen des Forums ökologisch-soziale Marktwirtschaft eine Haftpfl ichtprämie von 287 Mrd. Euro pro Jahr fällig. Atomkraft wäre unbezahlbar.“

Stefan April 8, 2011 um 19:32 Uhr

Die externen Effekte können ja auch beim Bäcker oder Vermieter auftreten. Wenn bei einer Salmonellenvergiftung Hunderte ins Krankenhaus müssen, trägt die Kosten dann letztendlich auch die Allgemeinheit. Eine Regulierung ist trotzdem nicht nötig. Der Totalverlust des Vermögens sollte Anreiz genug sein, Risiken zu vermeiden.

Der Situation bei den Zertifikaten für Verschmutzungsrechte unterscheidet sich in einem Punkt deutlich von der KKW-Situation. Die Verschmutzung fällt immer an, Kernschmelzen sind dann doch eher die Ausnahme.

Der einzige Grund der mir als Rechtfertigung einfällt, ist die enorme Schadenhöhe im Fall der Fälle, die man der Gesellschaft einfach nicht plötzlich zumuten will. Das wäre auch eine ausreichende Begründung. Eine verdeckte Subvention erkenne ich immer noch nicht.

dels April 9, 2011 um 09:01 Uhr

@Stefan
Eine verdeckte Subvention liegt z.B. dann vor, wenn man einem Unternehmenssektor eine Vergünstigung (Steuererleichterung, Regulierungserleichterung, Übernahme von Risiken) in welcher Form auch immer gewährt. Bei Kernkraftwerksunglücken trägt der Staat bzw. die Bürger das Risiko, dass der Kraftwerksbetreiber für Schäden, die sein Vermögen übersteigen, nicht mehr zahlen kann. Dieses Risiko kann man versicherungsmathematisch bewerten und daraus eine Prämie berechnen. Diese Prämie stellt die Subvention dar.

Ganz offensichtlich ist der Totalverlust des Vermögens nicht genug Anreiz, um Risiken zu vermeiden. Aber einer bestimmten Größenordnung oder volkswirtschaftlichen Bedeutung von Unternehmen können Unternehmen zumindest ins Kalkül ziehen, dass sie ihre Risiken nicht selbst tragen müssen. Damit ist nicht gesagt, dass sie dies vorsätzlich tun.

Stefan April 8, 2011 um 12:19 Uhr

Nicht das mich eine Erhöhung der Haftpflichtsummen für KKW-Betreiber besonders stören würde, aber mir leuchtet nicht ganz ein, warum hier eine verdeckte Subvention vorliegen soll. Die Betreiber haften mit ihrem kompletten Vermögen, so wie jedes andere Unternehmen auch. Eine Haftpflichtversicherung darüber hinaus ist in der Wirtschaftswelt m.W. eher unüblich, mir fallen da lediglich Beispiele wie Ärzte und Rechtsanwälte ein, bei denen das glaube ich aber Vorschriften der Berufskammern sind.

Ein Bäcker, Koch oder Metzger, die jeweils hunderte Menschen schwer vergiften können, müssen sich auch nicht zwangsweise versichern. Wer ein Haus baut und vermietet, braucht auch keine Feuerversicherung abzuschließen. In solchen Fällen spricht auch niemand von einer verdeckten staatlichen Beihilfe von Restaurants oder Vermietern.

Warum soll das bei den Kernkraftwerken anders sein?

dels April 8, 2011 um 12:33 Uhr

@Stefan
Sehr interessante Frage. Ich versuch es einmal mit der Antwort.
Es ist richtig, dass die Kraftwerksbetreiber bis zur Höhe ihres gesamten Vermögens haften. Wenn der durch ihre Tätigkeit erreichbare Schaden aber diesen Betrag überschreitet, dann können sie nicht mehr haften. Der Schaden muss dann von den Geschädigten selbst oder vom Staat getragen werden. In der Ökonomie nennt man das externe Effekte, also Wirkungen, die ein an den Aktivitäten nicht beteiligter Dritter „erleiden“ muss. Viele staatliche Regulierungsmaßnahmen sind darauf ausgerichtet, solche Externen Effekte möglichst zu reduzieren. Beispiele sind die Emissionsschutzverordnungen etc. Externe Effekte können aber auch bepreist werden, wie z.B. bei CO2-Verschmutzungsrechten, wo industrielle CO2-Verbraucher für das Recht die Umwelt zu verschmutzen, zahlen.
Im Kernenergiebereich nun erhalten die Kraftwerksbetreiber sämtliche Erlöse aus ihren Aktivitäten, haften aber nicht bis zu Höhe des maximal möglichen Schadens. Dieses Risiko tragen andere, ohne dafür eine Entschädigung zu erhalten. Würden die Kraftwerksbetreiber dieses Risiko versichern, wären die Kosten höher. Befreit der Staat die Betreiber von diesem Risiko, z.B. weil hier auf eine Regulierung verzichtet, dann ist dies nach der Interpretation meines Beitrags eine verdeckte Subvention.

step21 April 7, 2011 um 05:01 Uhr

Das sich viel geändert hat gegenüber den ‚Alten‘ habe ich ja nicht behauptet.

step21 April 7, 2011 um 02:37 Uhr

Nettes Gedankenspiel vielleicht aber mehr auch nicht würde ich sagen. Und ich weiß ja nicht wo das abgeschrieben wurde aber die Artikelnummern stimmen nicht mehr … post-Lisbon ist Art. 87 z.B. Art. 107.
Ich weiß nicht ob es eine spezielle Ausnahme für Kernenergie gibt, aber z.B. sind auch Waffen oder Landwirtschaft ausgenommen, wahrscheinlich auch Energie an sich. Ansonsten gibt es durchaus Sätze die sowas sagen wie (frei übersetzt) ‚… erlaubt solange es im generellen wirtschaftlichen Interesse ist‘. Energieversorgung ist im allgemeinen Interesse, fertig 🙂 Dann was private enforcement durch die Öko-Energien betrifft, das stimmt zwar das das in gewissen Fällen möglich ist, aber die Regeln dafür bestimmt das nationale Recht, und so oder so müsste erstmal gezeigt werden das die einen Subventionen den anderen geschadet haben, was ziemlich schwer werden dürfte so gut wie es den Öokenergieunternehmen gerade geht und auch da sie selbst zumindest in Deutschland ja auch mehr als genug Subventionen bekommen.
Der Euratom Vertrag existiert zwar noch, ist aber generell mittlerweile ziemlich unwichtig denke ich. Und soll nur niemand denken (Link) das man mit dessen Änderung die Kernenergie abschaffen würde, welche aber wenn man sich mal die nicht-deutschen Haltungen dazu anschaut sowieso total unrealistisch ist.
Naja, das ist natürlich stark verkürzt aber ich wollte hier ja jetzt auch keinen Aufsatz schreiben.

Joss April 7, 2011 um 04:29 Uhr

Hier sind die neuen Artikel, von derselben Quelle,
de jure. Die neuen Artikel sind ident mit den alten,
nur eben nunmehr Artikel 101 – 107, Titel IV, Kapitel 1, Abschnitt 1 & 2
http://dejure.org/gesetze/AEUV

dels April 7, 2011 um 06:56 Uhr

Danke für den Hinweis auf die Artikelnummern. Die habe ich geändert.
Was meinen Sie mit abgeschrieben? Glauben Sie nicht, dass der eine oder andere Blog auch einmal einen eigenen Gedanken hat?

Comments on this entry are closed.

{ 1 trackback }

Previous post:

Next post: