Probleme der Kernkraft lässt sich ordnungspolitisch lösen: Versicherungspflicht für die „wahren Kosten“

by Dirk Elsner on 1. April 2011

In einem Interview mit dem Handelsblatt erklärte der FDP-Generalsekretär Christian Lindner zur Atomwende seiner Partei, mit der reinen Lehre der Ordnungspolitik könne man Kernenergie nicht bewerten. „Sonst dürfte der Staat nicht die Haftung für deren am Markt nicht versicherbare Risiken mit übernehmen“, zitiert das Handelsblatt Lindner.

Vielleicht verstehe ich Lindner nicht richtig, aber mit der Lehre der Ordnungspolitik lässt sich die Kernenergie sehr wohl bewerten, nämlich dann, wenn man sie zu einer sachgerechten Haftpflichtversicherung verpflichtet. Ohne eine solche Absicherung darf dann kein Betrieb erlaubt werden.

In der Diskussion um die Zukunft der Kernenergie sind in den letzten Tagen endlich auch ökonomische Argumente auf den Spieltisch geworfen worden, die ich richtig überzeugend finde und die deutlich machen, wie hoch die Kernenergie subventioniert wird. Es sind die finanziellen Risiken, die die externen Effekte für eines GAU bisher nicht abdecken. Genau hier liegt das ordnungspolitische Problem. Die in den Bilanzen der Energiekonzerne abgebildeten derzeitigen Kosten für die Kernenergie decken nicht die tatsächlichen potentiellen Schäden, die Wissenschaftler für Deutschland auf bis zu 5.000 Mrd. Euro schätzen

Wenn man für eine marktwirtschaftliche Ordnung eintritt, dann ist ein zwingender Bestandteil dieser Ordnung, dass die Marktteilnehmer jeweils ihre Kosten und Risiken tragen, wenn sie die Früchte ihrer Arbeit einstecken wollen. Dazu gehört eindeutig die Internalisierung externer Effekte, eine der weniger Formen staatlicher Regulierung, die ich für sinnvoll halte. Für die Energiebranche gilt das Internalisierungs-Gebot aber genau so wenig wie für die Finanzbranche. Die Kosten eines GAUS gehen, wie wir jetzt zum zweiten Mal innerhalb von 25 Jahren erfahren, in die hunderte Milliarden Euro. Im Handelsblatt war dazu am 24.3. zu lesen (nur Printausgabe):

“Die Botschaft vom preiswerten Atomstrom stimmt nur im Falle des Normalbetriebs. Die Katastrophe im japanischen Kernkraftwerk Fukushima zeigt die wahren Kosten der Kernenergie: Der Kernkraftwerksbetreiber Tokyo Electric Power musste jetzt japanische Banken um Kredite von umgerechnet 17,4 Milliarden Euro bitten. Nach den Erfahrungen mit der Atomkatastrophe in Tschernobyl (235 Milliarden Dollar Schaden) dürfte diese Summe nur eine Anzahlung sein. Die Assekuranz lehnt es daher seit jeher ab, Atomkraftwerke zu versichern. Es sei „nicht verantwortbar“, solche Risiken als Versicherer einzugehen,sagt Nikolaus vonBomhard, Chef des weltgrößten Rückversicherers Munich Re.

Paul Welfens, Präsident des Europäischen Instituts für internationale Wirtschaftsbeziehungen in Wuppertal, hält die Preiskalkulationen der Energiewirtschaft deshalb für unzureichend. Eine Megawattstunde Strom aus Atomkraft koste etwa 20 Euro, Strom aus Gas- und Kohlekraftwerken bis zu 40 Euro; wären Atomkraftwerke „verpflichtet, einen vollen Haftpflicht-Versicherungsschutz zukaufen, wäre Atomstrom nicht wettbewerbsfähig“, so Welfens in einem Beitrag für das Handelsblatt”

Für den Fall einer atomaren Katastrophe, haften die Energiekonzerne über einen Haftungspool mit 2,5 Mrd. Euro pro Schadensfall und darüber hinaus mit ihrem Vermögen. Im Fall Eon kämen da gerade einmal 120 Mrd. Euro zusammen. Darüber hinaus gehende Schäden trägt somit die Gesellschaft. Damit ist eindeutig der Tatbestand einer Subvention in Form nicht getragener Kosten der Risikoabsicherung erfüllt. Die Kernenergiebranche unterscheidet sich damit überhaupt nicht von der Finanzbranche. Für die Finanzbranche haftet der Staat ebenfalls, wenn die Institute zu groß zum Scheitern sind (siehe  “Die Struktur des too-big-to-fail Problems mit der faktischen Staatsgarantie” und “Die Kosten der faktischen Staatsgarantie für Kreditinstitute”).

Die Konsequenz ist ganz klar. Die Kernkraftwerksbetreiber müssen zu einer Versicherung verpflichtet werden. Bei Fahrzeugen klappt dies ja auch.

Nachtrag vom 11.5.2010

Passend zu diesem Beitrag wurde heute das Ergebnis einer Studie der „Versicherungsforen Leipzig GmbH“ veröffentlich, die versucht die Versicherungskosten zu bezifferen. Die „Versicherungsprofis“ ermitteln zu erwartenden Maximalschaden in Höhe von ca. 6000 Mrd.  Euro. Leider nennt Spiegel Online in dem Beitrag keine Versicherungsprämie, sondern nur erhöhte Preise, wenn man den notwendigen Maximalbetrag in den nächsten 10 bis 15 Jahren ansammeln würde.  Diesen Ansatz halte ich allerdings für Unsinn. Spon gibt Hinweise auf einige Schwächen der Studie:

„Die Studie hat einige Pferdefüße, die man benennen sollte:

  • So muss man berücksichtigen, wer Auftraggeber war: Der Bundesverband Erneuerbare Energie ist eine Lobbygruppe, die gegen Atomkraft kämpft und ein Interesse daran hat, öffentlich Stimmung gegen diese Art der Energieerzeugung zu machen.
  • Ebenso kann man die Rechenweise der Versicherungsforen Leipzig problematisieren: Schließlich legen sie die Maximalkosten eines Super-GAU einfach 1:1 auf den Strompreis um. Dabei spielt es zunächst keine Rolle, dass ein Super-GAU – beziehungsweise ein Ereignis, das einen solchen auslösen kann – statistisch gesehen nur sehr selten eintritt.
  • Auch sollte man berücksichtigen, dass das Versicherungsmodell, das angelegt wird, eher untypisch ist: Denn eine Haftpflichtversicherung ist üblicherweise nach oben gedeckelt – nicht so die angenommene AKW-Versicherung.

Beiträge zu den ökonomischen Konsequenzen eines Atomausstiegs

HB: Experten warnen Strom-Turbulenzen bei AKW-Abschaltung möglich: exklusiv Im Mai gehen neben den acht schon abgeschalteten AKW weitere Meiler wegen Revisionen vom Netz. Damit fallen mehr als 75 Prozent der Leistung aus den 17 AKW aus. Das birgt ungeahnte Risiken, warnen Experten.

Technology Review: „Rein ökonomisch kann man darüber nur den Kopf schütteln“: Ökonom Reimund Schwarze vom Climate Service Center Germany über die versteckten Kosten der Atomkraft – und die Frage, ob sie sich als Brückentechnik rechnet.

HB: Hans-Werner Sinn Energiewende ins Nichts: Hans-Werner Sinn bürstet gern gegen den Strich. Jetzt erinnert der Chef des Ifo-Instituts an die Konsequenzen eines Ausstiegs aus der Kerntechnik.

FAZ: Teuer und langwierig – Atomausstieg konkret: Wenn Deutschland die Atomkraft aufgibt, müssen alle Meiler abgebaut werden. Bis die erste Phase des eigentlichen Rückbaus beginnt, haben unendlich viele Gutachter besichtigt, gemessen, gerechnet, geplant. Das dauert – und kostet viele Milliarden.

FAZ: „Deutschland muss Atomkraftwerke bauen“: Der australische Klimaforscher Barry Brook kämpft unverdrossen für die Kernkraft. Sie sei sauber und sicher. Die wahre Gefahr für die Menschheit geht von Kohlekraftwerken aus, sagt der Wissenschaftler. Ein Interview. Herr Brook, sind Sie nach Fukushima

Telepolis: „Too Big to Fail“ nun auch für Energieunternehmen?: Die japanische Regierung denkt über die Verstaatlichung von Tepco nach, um die Kosten für die angerichtete Atomkatastrophe zu sozialisieren.

NZZ: Pandoras Atomkraftwerke: Eine im vergangenen Jahr publizierte Studie des Paul-Scherrer-Instituts (PSI) beziffert die externen Kosten der Kernenergie auf 0,07 bis 0,11 Rp./kWh. Zeyer hingegen glaubt aufgrund einer Extrapolation von Studien, dass der Preis um einen Betrag von

Welt: Japan rechnet mit Einbruch der Industrieproduktion
Die Katastrophenschäden könnten Japans Industrie stark schrumpfen lassen. Ökonomen erwarten einen Rückgang um bis zu zehn Prozent.

Märkische Allgemeine: ENERGIE: Jedes Auto ist besser versichert: Kommt es in Deutschland zu einem schweren Atomunfall, haftet letztlich der Steuerzahler

Warum das Handelsblatt die hervorragende Artikelserie vom 24.3. zu den “wahren Kosten der Kernkraft” nicht online gestellt hat, ist mir schleierhaft.

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