Natürlich ist das AKW-Risiko versicherbar: Wie man einfach die Versicherungskosten für Kernenergie berechnen könnte

by Dirk Elsner on 31. Mai 2011

Eigentlich hätte ich diesen Beitrag nach dem Atomausstiegsgipfel der Bundesregierung sparen können. Deutsche Kernkraftwerke sollen ja nach den Beschlüssen vom Wochenende bis 2022 vom Netz gehen. Dennoch, wir sind mit dem Thema Kernenergie ja nicht allein in Deutschhland. Das Thema dieses Beitrags bleibt daher weiter aktuell, auch wenn die Atomkatastrophe von Japan längst aus unserem Aufmerksamkeitsradar verschwunden ist. Das ist eigentlich schade, denn die wertvolleren Beiträge erscheinen erst jetzt. So wie etwa eine Studie, die sich mit den Kosten für die Katastrophenabsicherung aus Kernkraftwerksunglücken befasste.

Einige Leser werden sich daran erinnern, dass ich vor einigen Wochen hier im Blick Log beklagt habe, dass der Staat bzw. wir Bürger die Kernenergie hochgradig subventionieren, weil die Betreiber vollkommen unterversichert sind. Siehe dazu:

Kern der Argumentation: Kernkraftwerksbetreiber müssen verpflichtet werden, die Risiken einer Katastrophe zu versichern, weil eine Haftungsbeschränkung auf 4 Mrd. Euro bzw. das Vermögen der Betreiber eine verdeckte Subvention der Kernenergie darstellt und damit alternative Energieformen diskriminiert.

Passend dazu wurde vorvergangene Woche das Ergebnis einer Studie der “Versicherungsforen Leipzig GmbH” veröffentlicht (Download der Studie als pdf hier), die versucht, die Versicherungskosten zu beziffern. Die Studie erläutert sehr ausführlich, wie man auf versicherungsmathematischer Grundlage die Prämien ermitteln kann.

Die “Versicherungsprofis” beziffern den zu erwartenden Maximalschaden auf Basis ca. 6.000 Mrd. Euro. Daneben arbeiten sie mit Eintrittswahrscheinlichkeiten für verschiedene Unglücksszenarien und berechnen die Jahresprämie auf Basis von Zeiträumen, in denen die maximale Schadenssumme angesammelt bzw. ob diese Summe für jedes KKW einzeln oder für einen Haftungspool angespart werden soll. Auf die Kilowattstunde umgerechnete Versicherungsprämien variieren dabei je nach Szenario und Bereitstellungszeitraum zwischen 67,29 Euro (6 Bio. Euro werden je Kernkraftwerk innerhalb von 10 Jahren angesammelt) und 0,00004 Euro (es wird ein Haftungspool gebildet und das Kapital wird innerhalb von 500 Jahren angesammelt).

Unabhängig von der Korrektheit der Annahmen, über die Fachleute streiten mögen, ist die Bereitstellung der Schadenssumme ein Problem, wenn der Maximalschaden nicht erst in 500 Jahren, sondern bereits im nächsten Jahr eintritt. Daran scheitern dann auch, so die Autoren, die Bildung entsprechender Haftungspools und die Risiken gelten als unversicherbar. Ich halte das für Unsinn.

Mal abgesehen von den versicherungsmathematischen Details, auf die ich hier nicht eingehen kann, teile ich dieses Fazits nicht (siehe zur Kritik der Studie auch den Spiegel Online -Beitrag).

  1. Könnte der Gesetzgeber die Kraftwerksbetreiber zwingen, einen solchen Haftungspool aufzubauen.
  2. Die Risikopoolung bräuchte auch nicht pro Land, sondern könnte weltweit erfolgen.
  3. Und selbstverständlich gibt es Instrumente, um das notwendige Haftungskapital schon vorher zu beschaffen, nämlich über so genannte Cat-Bonds.

Katastrophenbonds sind Anleihen, deren Rückzahlung vom Eintritt bzw. Nichteintritt eines genau definierten Schadensereignisses abhängen. Tritt dieses Schadensereignis ein, dann erhält der Anleger einen geringeren Teil der Anleihe zurück gezahlt und im Extremfall gar nichts. Als Kompensation erhält er dafür eine entsprechende Risikoprämie, die sich auf Basis versicherungsmathematischer Grundsätze berechnen lässt.

Ich wette, in den Investmentbanken würde man ein Fass aufmachen, wenn man eine solche Transaktionen designen könnte. Und vielleicht reichen zu Beginn ja auch 1 Billion EURO aus. Und das sind Beträge, das hat die Finanzkrise gezeigt, die sehr wohl mobilisierbar sind, wenn der politische Wille besteht. Mehr zu den Möglichkeiten der Verbriefung von Katastrophenrisiken in diesem Arbeitspapier der Hochschule für Bankwirtschaft und den Literaturhinweisen unten.

Im Prinzip müssen sich also “nur” alle Kraftwerksbetreiber des Planeten zusammen tun, 6 Bio. Euro am Kapitalmarkt aufnehmen, dieses Geld bis zum Eintritt eines Schadens wieder am Kapitalmarkt anlegen und den Gläubigern eine entsprechende Risikoprämie zahlen und diese über den Strompreis sich wiederholen.

Rechnen wir einmal ein wenig. Die Netto-Stromerzeugung in Kernkraftwerken erreichte 2009 weltweit 2.558 Mrd. kWh (Quelle: Kernenergie: Weltreport 2009 – Auswertung). Nimmt man nun an, dass alle 25 Jahre (so lange liegt Tschernobyl zurück) ein Schaden eintritt, der 6 Billionen Euro kostet, dann errechnet sich daraus eine Prämie von 9,3 Eurocent pro Kilowattstunde: 6 Bill. Schaden geteilt durch 2.558 Mrd. kWh geteilt durch 25 Jahre.

Wo liegt also das Problem in der Versicherung der Risiken der Kernenergie?

Weitere Literatur zu Katastrophen-Anleihen und der Verbriefung von Versicherungsrisiken

A Cat-Bond Premium Puzzle

Risikomanager: Verbriefung von Katastrophenrisiken en vogue

bcm-news: Allianz setzt die Verbriefung von Katastrophenrisiken fort

Risikomanager: Hannover Rück verbrieft Katastrophenrisiken

Greiser Martin, Die Verbriefung von Versicherungsrisiken, Dissertation Hamburg 2010

Handelsblatt: Verbriefung von Katastrophenrisiken – Banken umwerben Versicherer

Hermes Conrad Juni 4, 2011 um 18:52 Uhr

Eine verdeckte Subvention ist das durchaus – keine Frage. Bei vernünftigen Sicherheitsauflagen für den Betrieb von Kernkraftwerken aufgrund der enormen Effizienz dieses Kraftwerkstyps im Vergleich zu allem, was uns als Alternative angeboten wird, allerdings eine recht geringe. Die 9,3 Cent dürften mindestens um den Faktor 10 zu hoch gegriffen sein.

Nun bliebe noch zu untersuchen, wie andere Formen der Energieerzeugung verdeckt subventioniert werden. Die offenen Subventionen über das EEG sind bekannt, aber wie hoch sind z.B. die Subventionen durch die Bereitstellung zusätzlicher Leitungskapazitäten etwa für Windstrom aus Mecklenburg-Vorpommern oder durch die Abnahmeverpflichtung für „Ökostrom“, auch wenn dieser nicht gebraucht wird? Wie hoch sind die Subventionen für Solarenergie dadurch, dass in PV-Modulen giftige Schwermetalle verbaut werden dürfen, die in allen anderen Produkten längst verboten sind und die sicherlich auf die eine oder andere Weise zu negativen Externalitäten führen werden?

Und wie hoch sind die Subventionen für Wasserkraft, die von den meisten Ökostromanbietern fast ausschließlich verkauft wird, weil sie im Gegensatz zu den EEG-Hauptnutznießern praktisch permanent verfügbar ist? Wikipedia weist ca. 100 Staudammunglücke in den letzten 60 Jahren nach, davon 36 mit mehr als 100 Toten, nennt aber in den seltensten Fällen Schadenssummen. Hier könnte man auch den Worst Case annehmen, was in diesem Fall nicht Tschernobyl, sondern Banqiao wäre. Die Eintrittshäufigkeit könnte man realistisch mit einem Maximalschaden pro zwei Jahren ansetzen. Eine Evaluation der Schadenshöhe ist mir nicht bekannt, aber es gab in Banqiao ca. 171000 Tote und mehrere tausend Quadratkilometer wurden überflutet.

dels Juni 6, 2011 um 10:13 Uhr

Habe ich jetzt nicht verstanden, warum die 9,3 Cent +/- x um den Faktor 10 zu hoch gegriffen sind.
Die anderen Fragen sind natürlich ebenfalls sehr interessant und relevant. Wenn jemand einen entsprechenden Link kennt, dann nur her damit.

MB Juni 2, 2011 um 23:37 Uhr

@dels
Einspruch.

Die Schadenshöhe hat (unabhängig von irgendwelchen Eintrittswahrscheinlichkeiten) zunächst

einmal Einfluss darauf, wer als Versicherungsgeber überhaupt in Frage kommt. Bei möglichen

Schäden im Billionenbereich scheiden private Versicherungsunternehmen von vorneherein aus.

Als Alternative werden in dem Beitrag Katastrophenanleihen genannt. Dabei sollte man aber

wissen, dass das Gesamtvolumen aller Cat-Bonds sich derzeit gerade mal auf einen

einstelligen Euro-Milliardenbetrag beläuft – also einem hundertstel bis tausendstel des

diskutierten Deckungsvolumens. Ob es eine gute Idee wäre, mit staatlichem Zwang diese Art

der Absicherung zu fördern, damit dann die „Investmentbanken […] ein Fass aufmachen“

können, wage ich zu bezweifeln. Letztlich verbleiben nur Staaten als potentielle

Versicherungsgeber.

Ferner hat die unterstellte Schadenshöhe – in Kombination mit der unterstellten

Eintrittswahrscheinlichkeit (hier: 4% pro Jahr = 1 Großschadensereignis alle 25 Jahre) –

Einfluss auf die Höhe der volkswirtschaftlichen Kosten der Kernkraftnutzung und damit auf die Frage, ob die Nutzung der Kernkraft aus volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten überhaupt

sinnvoll ist, bzw. wenn man den AKW-Betreiber eine (fairen) Versicherungsprämie zur Deckung dieser Kosten abverlangt, für diese noch rentabel ist. Ich behaupte, dass die Nutzung der Kernkraft bei einer (fairen) Risikoprämie von 1,5 Cent/kWh (1 Bio EUR je 25-Jahres-Schadensereignis) volkswirtschaftlich sinnvoll wäre, nicht aber bei einer (fairen) Risikoprämie von, wie im Beitrag unterstellt, rund 10 Cent/kWh (6 Bio EUR je 25-Jahres-Schadensereignis).

Unschön wäre es sicher, wenn der Staat diese (faire) Risikoprämie den AKW-Betreibern nicht in Rechnung stellte sondern als versteckte Subvention gewährte (auch wenn er sich die als Aktionär, sowie durch die Besteuerung von Gewinnen, Dividenden und Löhnen teilweise wieder hereinholt). Aber das tut er ja auch (künftig) nicht mehr: siehe Kernbrennstoffsteuer.

MB Juni 1, 2011 um 22:39 Uhr

Nur mal zum Vergleich: das BIP Deutschlands beträgt ungefähr 2,5 Bio. EUR pro Jahr und der Gesamtwert des Sachvermögens Deutschlands ca. 11 Bio. EUR (siehe Statistisches Bundesamt, Vermögensbilanz).

Wie angesichts dieser Größenordnungen ein einziger GAU einen Schaden von 6 Bio. EUR anrichten können soll (jahrelanger vollständiger Produktionsausfall im ganzen Land? Zerstörung halb Deutschlands?), halte ich für erklärungsbedürftig.

Wenn man übrigens einen – wahrscheinlich immer noch deutlich zu pessimistischen – AKW-Schaden von 1000 Milliarden EUR aller 25 Jahre ansetzt, dann käme man folglich auf eine faire Versicherungsprämie für AKW von durchschnittlich 1,5 Cent/kWh, wobei die Prämie bei deutschen AKW aufgrund der überdurchschnittlich guten Sicherheitstechnik noch niedriger sein dürfte. Angesichts von staatlich garantierten (=subventionierten) Einspeisevergütungen von derzeit 30 Cent/kWh für Solarstrom und 13 Cent/ kWh für Off-Shore-Windenergie handelt es sich jedenfalls nur um homöopathische Beträge.

dels Juni 1, 2011 um 23:07 Uhr

@MB
Wie die Schadensumme berechnet wird, steht im Gutachten. Spielt aber letztlich keine Rolle, ob der Schaden 6 oder 1 Billion Euor beträgt. Das Risiko ist in jedem Fall versicherbar. Und das sollte dieser Beitrag zeigen.

Meister Juni 1, 2011 um 15:33 Uhr

Jede noch so schöne Rechnung ist obsolet, wenn z.B. die EU unbewohnbar wird 😉

egghat Mai 31, 2011 um 07:52 Uhr

Das Problem bei 9,3 Cent je KWh? Dann wäre Atomenergie nicht mehr wettbewerbsfähig …

Das Problem bei deiner Rechnung: Die 6 Billionen Schaden für 25 Jahre sind doch nicht „garantiert“, sondern es gibt eine Eintrittswahrscheinlichkeit, die kleiner als eins ist. Und nur das geht dann in die Kosten ein, nicht die gesamten 6 Billionen … Du klammerst (mMn) das entscheidende Problem aus der Rechnung aus …

Ansonsten noch zwei Anmerkungen:

Erstens macht es keinen Sinn, alle AKWs in einen Topf zu werfen. Sichere (=moderne) AKWs in sicheren Regionen würden dann genausoviel kosten wie alte AKWs auf Meereshöhe in Erdbeben- und Tsunamigefährdeten Regionen. Firmen, die schludern und vertuschen müsste genausoviel bezahlen wie Firmen, die in die Sicherheit investieren und transparent sind.

Zweitens kann es einem am Ende egal sein, ob es eine Versicherung gibt. Wenn die AKW-Betreiber es nicht schaffen, die Versicherung zu besorgen (egal ob bei Munich Re oder am Kapitalmarkt), dann müssen sie es eben akzeptieren und die AKWs abschalten. Das ist das „marktgerechte“ Umlegen der Risiken auf den Preis halt nur bis zum Ende durchgedacht: Bis zum Selbstreinigungsmechanismus des Kapitalismus: Der Pleite und dem Ausscheiden aus dem Markt.

dels Mai 31, 2011 um 08:11 Uhr

Moin Egghat,
natürlich muss in der Praxis die Versicherungsprämienberechung differenzierter gerechnet werden. Aber hätte ich das dargestellt mit entsprechender Versicherungsmathematik und Wahrscheinlichkeitskalkulationen, hätte den Beitrag niemand mehr verstanden. Das soll ja hier nur eine Tendenz zeigen.

In jedem Fall halte ich die hier dargestellte Lösung für deutlich ausgewogener als dies die Studie vorstellt, die ja sogar 6 Bio. pro Kernkraftwerk in 10 Jahren ansammeln wollen, was aus meiner Sicht Unsinn wäre.

Dass Kernenergie damit teurer wird, ist klar. Aber durch den Verzicht auf die Versicherungspflicht und die Übernahme von großen Schäden durch den Staat, wird die Kernenergie faktisch hoch subventioniert.

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