Meine Bauchschmerzen mit den Eurobonds: Eine persönliche Erfahrung aus dem Mittelstand

by Dirk Elsner on 17. August 2011

In den letzten Tagen weitet sich die Debatte über Eurobonds ja intensiv aus. Nach der gestrigen Pressekonferenz von Sarkozy und Merkel wird diese Debatte nicht verstummen. Im Gegensatz zu den vorherigen Ankündigungen, Eurobonds seien kein Thema auf diesem Gipfel, haben Merkel und Sarko sie doch zum Thema gemacht und sie nicht ausgeschlossen, ihnen aber vorläufig eine Absage erteilt. Die Debatte wird also weitergehen.

Baustelle Elbphilarmonie

Ich habe nun diverse Pro- und Contro-Beiträge zu dem Thema gelesen. Wirklich überzeugt hat mich bisher keiner der Ansätze. Das liegt daran, dass ich immer dann Probleme mit einer ökonomischen Vereinbarung habe, wenn Leistung und Gegenleistungen zu sehr auseinander driften und negative externe Effekte (hier konkret höhere Zinsen wegen unzureichender Verschuldungspolitik) auf Dritte verteilt werden. Klar gibt es viele Situationen, in denen Staaten bzw. die Bürger negative externe Effekte in Kauf nehmen sollen für “höhere Ziele”, wie etwa die europäische Solidarität. Aber wenn man so argumentiert, dann hat man sich von der ökonomischen Argumentation hin zu politischen Gründen bewegt, die sich einer ökonomischen Bewertung entziehen.

Meine tieferen Bauchschmerzen mit den Eurobonds, deren konkrete Gestaltung im Übrigen ja noch vollkommen unklar ist, rühren aber aus meiner Erfahrung als kaufmännischer Geschäftsführer einer mittelständischen Unternehmensgruppe. Bei meinem Dienstantritt fand ich dort vier Unternehmen vor, von denen ein Unternehmen hohe Verluste erwirtschaftete, ein weiteres war ein Startup, das ebenfalls Finanzmittel verbrannte, ein drittes Unternehmen lag im Cash flow bei Plus-Minus Null und das vierte Unternehmen prosperierte und hatte einen deutlich positiven Cash flow. In der Summe aber verbrannte die Gruppe jedes Jahr Cash und die Kreditlinien waren soweit ausgereizt, dass die Banken nervös wurden.

Der Vorteil für die Banken und das Problem des prosperierenden Unternehmens war, dass sich alle Unternehmen in einem Haftungspool befanden, sprich, alle Unternehmen hafteten gesamtschuldnerisch für die Verbindlichkeiten der Unternehmensgruppe. Für das prosperierende Unternehmen bedeutete dies aber, es wurde permanent zu seinen Lasten Cash abgezogen, um die Defizite bei den anderen beiden Unternehmen zu decken. Der Cash flow konnte außerdem nicht in die Expansion investiert werden. Stattdessen wurden selbst die Lieferantenlinien des gut laufenden Unternehmens sehr weit ausgenutzt, was am Ende zu Problemen mit den Kreditversicherungen führte und das Unternehmen ebenfalls beinahe an den Rand des Abgrunds geführt hätte. Auf die beiden Unternehmen, die Cash verbrannten, hatte diese Situation den gegenteiligen Effekt. Hier gewann ich schnell den Eindruck, der Vorstand bzw. die Geschäftsführung nutzten die Cashreserven für immer riskantere Investitionen, um aus der eigenen Misere heraus zu kommen.

Natürlich findet man in der Wirtschaftsgeschichte immer Beispiele, wo solche Strategien aufgegangen sind. Genau so findet man umgekehrte Fälle. Die Crux ist, man weiß es vorher nicht genau, ob die Strategie der permanenten Defizitfinanzierung aufgeht. In meinem Fall hatten die Finanzmärkte (hier die Banken), bereits die Zügel und Zinsen sehr stark angezogen. Es gab keine zusätzlichen Sicherheiten mehr, die man stellen konnte und keiner der Gesellschafter konnte oder wollte zusätzliches Kapital einbringen. Die Leiter der schlecht laufenden Unternehmen handelten nach dem Prinzip Hoffnung, dass der große Durchbruch bald bevor stünde und die Probleme dann gelöst wären. Der Leiter des gut laufenden Unternehmens klagte darüber, dass er in seinen Geschäftsmöglichkeiten eingeschränkt wurde.

Ich schaute mir die Situation damals an und erstellte für alle Unternehmen Business- und Liquiditätspläne, um festzustellen unter welchen Annahmen es eigentlich eine Lösung aus der Gruppe selbst heraus geben konnte. Anhand solcher Pläne erhält man sehr schnell ein Gefühl, ob die “Hoffnungen” auf einem realistischen Fundament beruhen und welche Risiken bestehen. Um es kurz zu machen, die Pläne zeigten sehr schnell, dass das Prinzip Hoffnung angesichts des Drucks der Banken ausgesprochen unrealistisch war. Es musste frisches Kapital her. Wegen der heterogenen Unternehmensstruktur und der sehr ungleich verteilten Risiken war es freilich unrealistisch für die Gesamtgruppe einen Investor zu finden. Die Lösung lag am Ende in der Restrukturierung der Gruppe, im Verkauf des gut laufenden Unternehmens an einen Investor und verschiedenen Detailtransaktionen, die aber für die Darstellung hier unerheblich. Jedenfalls schaffte dies die Voraussetzung für die Auflösung des Cashpools und brachte frisches Kapital. Die beiden schlecht laufenden Unternehmen erhielten mit dem Management als neue Gesellschafter die Möglichkeit weiter ihren Hoffnungen nachzugehen. Ich teilte diese Hoffnungen damals übrigens nicht und bat um Auflösung meines Vertrags.

Ohne die Aufteilung der Unternehmen und die Auflösung des Cashpools hätte die gesamte Gruppe in die Insolvenz gehen müssen. Nach meiner Auffassung führte damals die Kapitalzufuhr dazu, dass das Management eigentlich weitere notwendige Maßnahmen für die verlusttragenden Unternehmen unterlassen hatte. Mit frischer Liquidität konnte man weiter Hoffnungen auf Besserungen hinterher jagen können. Drei Jahre später expandiert das gut laufenden Unternehmen deutlich aus eigener Kraft, die damals schwachen Unternehmen hatten das Zeitfenster für weitere Einsparungen und Sanierungen nach einiger Zeit verpasst und haben dann in der Folge Insolvenz anmelden müssen.

Natürlich kann man jetzt sagen, die hier geschilderte Situation sei eine ganz andere, als die in der Eurozone. Abstrakt betrachtet ist sie das aber nicht.

Beiträge der letzten Tage zur Eurobonddebatte

Wirtschaftswurm: Wie Europa fällt – eine Rechtfertigung: Nicht überzeugen konnte ich mit meinem letzten Artikel „Wie sich Europa im Euro-Rettungsschirm verheddert …“ den Blogger Wirtschaftsphilosoph. Meiner auf Yanis Varoufakis beruhenden Analyse hält Wirtschaftsphilosoph entgegen:

HB: Euro-SchuldenkriseWas Eurobonds Deutschland wirklich kostenKritiker fürchten, dass Eurobonds enorme Zusatzkosten für Deutschland bedeuten würden. Ökonomen haben jetzt erste Zahlen errechnet. Doch im günstigsten Fall müsste Deutschland sogar weniger, nicht mehr Zinsen zahlen.

Creditwritedowns: On Eurobonds and Italian default

Wirtschaftsphilosoph: Eurobonds wären eine komplette Schuldenübernahme: Bundeskanzlerin Merkel und Staatspräsident Sarkozy haben gestern Eurobonds eine Absage erteilt und andere Vorschläge unterbreitet, siehe z. B. „Weg frei für europäische Wirtschaftsregierung“. Allerdings war die Absage nicht definitiv und für alle Zeiten, wie auch andere weiterhin Eurobonds fordern, so dass die Debatte um Eurobonds weitergehen wird. Ein Problem dieser Debatte, abgesehen vom Debattengegenstand selbst, ist, dass es keine einheitliche und klare Vorstellung davon gibt, was mit Eurobonds überhaupt gemeint ist. Außerdem sollen sie nach Auffassung der meisten Befürworter an Bedingungen geknüpft werden, über die es jedoch ebenfalls sehr viele unterschiedliche und oft bereits in sich unklare Vorstellungen gibt.

Pixelökonom: Teufelszeug Eurobonds: Die SPD fordert es, Teile der Union ebenfalls und die Italiener sowieso: Eurobonds. Bei Eurobonds haftet für die Schulden eines Staates die Gemeinschaft mehrerer Staaten. Das klingt nach einem geschickten Ausweg aus dem aktuellen Problem, dass nämlich hochverschuldete Staaten sich keine neuen Schulden mehr leisten können, weil die Zinsen stark gestiegen sind. Weil schlicht die Märkte zunehmend weniger an eine Rückzahlung glauben.

Zeit: Euro-Krise: Euro-Bonds könnten die Abwärtsspirale stoppen

Verlorene Generation: How to make Eurobonds work

FAZ: Schuldenkrise: Der Zwist um die Eurobonds

Handelsblatt: Deutsche Wirtschaft fordert Eurobonds

HB: Pro Es gibt ohnehin keine Alternative: Die Eurobonds werden so oder so kommen, obwohl gemeinsame Schulden den Sparanreiz zunichte machen. Daher muss Deutschland auf harte Bedingungen drängen, wenn es seine Bonität hergibt – sonst gnade uns Gott.

HB: Contra – Die Eingriffe wären dramatisch: Auch wenn sie Politikern wie eine Wunderwaffe gegen die Euro-Krise vorkommen: Eurobonds sind der falsche Weg, die Schuldenkrise in Europa zu beenden. Denn der vermeintliche Königsweg ist mit Stolpersteinen übersäht.

SZ: Debatte um Euro-Bonds Warum Deutschland zahlen muss: Die Einführung von Euro-Bonds wäre eine Zäsur, die mit dem Glauben bricht, dass jeder Staat für seinen Schlendrian selbst geradestehen muss. Doch Bundeskanzlerin Merkel hat keine Alternative: Deutschland muss für die Schulden anderer EU-Staaten haften. Andernfalls zerbricht der Euro.

Frank August 17, 2011 um 15:36 Uhr

Bauchscherzen? Ein SEO-Trick? 🙂

Ich bin auch kein Rechtschreibfetischist, aber die Überschrift sollte möglichst fehlerfrei sein.

Das Ganze erinnert mich an „Das Geld anderer Leute“, ein Pflicht-Film für jeden Volkswirtschaftler. Die marode Kabel-Sparte muss durch die anderen Unternehmensbereiche mitgetragen werden. Am Ende entscheiden sich die Aktionäre unter Führung des Investors „Garfield“ (Danny DeVito) für die Stilllegung der Kabelproduktion. Zum guten Ende führt die Umstellung der Produktion auf das damals zukunftsträchtige Produkt „Airbag“ und alle sind wieder im Geschäft. Ein toller Film.

Volkswirtschaft ist kein Hexenwerk. Sie wird nur leider immer wieder von Ideologien vergewaltigt, was vernünftige Lösungen erschwert.

Sanierungen klappen nach meiner Erfahrung nur, wenn sie durch ein tragfähiges Geschäftsmodell unterstützt werden. Ich bin für temporäre Hilfe, aber nur wenn das Geld zweckgebunden in die richtigen Kanäle fließt und am Ende der Bedürftige wieder auf die Beine kommt. Anders macht das Ganze keinen Sinn.

Eurobonds bedeuten, dass die Starken ihre Bonität für günstige Zinsen hergeben, aber die Schwachen was tun? Das ist das Problem. Alle Schuldnerstaaten brauchen ein Konzept, wie sie aus ihrer Lage wieder herauskommen. Aber durch operative Einnahmen, nicht durch Ausverkauf ihres Tafelsilbers. Zuvor muss die Stützung der Banken aufhören. Der Finanzsektor gehört auf Sparkassen-Niveau zurückgestutzt.

Wenn die Politik die Finanzmärkte nicht in Ketten legt, hört der Raubzug gegen die Steuerzahler niemals auf und jeder Versuch, Staaten zu retten ist von vornherein zum Scheitern verurteilt.

Der Währungsschnitt zur Staatsentschuldung wird kommen. Die Frage ist nur, welche Regierung es dem Sparer beibringt.

dels August 17, 2011 um 16:33 Uhr

Danke für den Hinweis: Sollten natürlich Schmerzen mit m sein 🙂

Marsman August 17, 2011 um 09:41 Uhr

Wer mich als Politiker überzeugen würde. bzw.
was ich von Politkern erwarten würde:
eine Schweizer Sozialdemokratin, es hätte auch wer
von konservativer Seite sein können, die den
Haushalt einer Stadt (denke es war Barn) vor einigen Jahren sanierte, als dieser in die Schieflage kam.
Sie schaffte die Sanierung des Budgets (inklusive
wachsenden Schulden) solcherart, dass sie einerseits weder die eigentlichen Sozialzahlungen kürzen musste noch die Steuern andererseits erhöhen musste.

Sowas kann offensichtlich nur zustande kommen
wenn sich Politiker wirklich genau jeden Franken
ansieht, genau überlegt wie sich was jeweils
unmitelbar auswirkt und halt konstruktiv
wirtschaftet, sorgfältig, sauber, verantwortungs-
voll.

Was wirklich bedenklich ist, wie auch Nigecus
ausführt, ist der Verlust des Unmittelbaren. Die
reale Situation sowohl individuellen Person wie
auch von Firmen und Betrieben wird wirklich
atemberaubend, besorgniserregend, immer wieder
und wieder übergangen, wohl auch absichtlich
missachtet.

lostgen August 17, 2011 um 09:24 Uhr

Politiker gehen stets unsorgsam mit Finanzen um. Daher muss jede Haftungsgemeinschaft mit einem automatischen Sanktionsystem ausgestattet sein. Wie zum Beispiel die prohibitiv teuren Red Bonds aus diesem Vorschlag.

dels August 17, 2011 um 11:53 Uhr

Ich würde das nicht nur auf Politiker beziehen, sondern genereller betrachten. Überall dort, wo es eine Asymmetrie gibt zwischen negativen und positiven Konsequenzen des eigenen Handelns, kann es Probleme geben. Immer dann, wenn jemand die negativen Folgen seines Handelns nicht tragen muss, jedoch von den positiven Folgen profitiert, gibt es zumindest Anreize zur Moral Hazard. Das bedeutet nicht, dass jede Gelegenheit dazu wahrgenommen wird. In der Unternehmenspraxis gibt es ja schließlich noch ein paar mehr Kontrollinstanzen.

dels August 17, 2011 um 04:39 Uhr

Klar Nigecus, bleiben die Staaten in welcher Form auch immer bestehen. Mir geht es bei der Analogie ja vorwiegend um die Anreizstruktur. Wenn jemand da ist, der im Zweifel einspringen kann, reduziert man die Anreize für die Sanierung

nigecus August 17, 2011 um 02:08 Uhr

ich finde diese Geschichte ganz gut. Nur können Staaten sich auch nach einer pleite nicht wirklich in Rauch auflösen. Bei einer Firmeninsolvenz kommt im schlimmsten Fall alles unter’m Hammer und die Mitarbeiter auf die Straße.

Aber so ein Staat existiert auch nach seiner Pleite. Ok vielleicht ist das politische System ein anderes (z.B. von Kommunismus zur Plutokratie, von der Demokratie zur Diktatur, usw), aber das Land und die Leute sind noch immer da. Es ist relativ schwierig da noch etwas „aus der Insolvenzmasse rauszuholen“.
– Zum Beispiel Verkauf aller Staatskonzerne und aller öffentlicher Güter (z.B. Wasserversorgung, Stromleitungen, Autobahnen, Eisenbahnen, Bildungseinrichtungen, Krankenhäuser, usw.), was dann ausgequetscht wird. Das kann dann schief gehen, wenn die Leute in diesen Land unter ihren Lebenshaltungskosten erdrückt werden und Gewalt ausbricht. Wenn dieser Pleitestaat ein „Freund“ ist (z.B. EU-Länder) sinkt die Recovery Rate, wenn es egal ist wird mit Waffengewalt für ein gute Recovery Rate gesorgt (Ist leider kein Science-Fiction, sondern die Praxis bzw. „Weltpolitik“).
– Oder man fällt direkt aus. Sprich zahlt seine Rechnungen nicht. Das führt nicht nur dazu, dass kaum noch jemand diesen Staat in nächster Zeit Geld leihen würde (Auußer befreundete Staaten und ihre Institutionen), sondern auch Firmen lieber gegen Vorkasse den Staatskonzernen und öffentlichen Betrieben Waren und Dienstleistungen liefern. Und wahrscheinlich würde auch lokale Firmen in einem EU-Binnenraum lieber für alle möglichen außer ihren eigenen Staat etwas liefern. Dadurch sinkt die Lebensqualität (öffentliche Leistungen werden knapp, z.B. Krankenhäuser), die Menschen werden rebellieren und Gewalt bricht aus.

Wenn wir Eurobonds einführen, dann wird man an dem grundsätzlichen Problem von Staatspleiten nichts ändern. Man verschiebt das Problem für bevorteilte Staaten nur in die Zukunft, aber sorgt dafür dass alle in der Schuldnergemeinschaft im Chaos enden (Preise steigen, knappe öffentliche Güter, weniger Lebensstandard –> Gewalt). Eigentlich reden wir über Inflation, was nunmal Aufgabe der Zentralbanken ist. Mir ist es lieber wenn Zentralbanker in den sauren Apfel beißen und Staatsanleihen aufkaufen, als wenn kurzfristig denkende Politiker mit Eurobonds herumspielen. Anstatt neue Wege zu finden Staatsschulden zu erhöhen sollten Politiker, vor allem bei sich zu Hause, versuchen ihre Haushalte zu sanieren.

Es entsetzt mich wie Befürworter von Eurobonds von der Annahme ausgehen, dass Politiker der EU stets sorgsam mit Staatsfinanzen umgehen könnten, obwohl (derselbe Schlag) Politiker bewiesen hat wie man nationalen Staatshaushalte ruiniert (Zeig mir einen Haushalt mit der Schwarzen Null. Muss dann wohl ein „Ausreißer“ sein). Das ist bescheuert, dass ich mich nicht wundern würde dass Millionen von Stammtischwähler kopfnickend dem zustimmen würden.

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