Eristische Dialektik auf Schloss Wulffenstein? Das Spiel mit mangelnder Transparenz und unbeantworteten Fragen

by Dirk Elsner on 9. Januar 2012

Eigentlich wollte ich nach dem Beitrag vom vergangenen Donnerstag nichts mehr zum Ego-Shooter auf Schloss Wulffenstein aka Bellevue schreiben. Aber am Wochenende und war auch mein Rubikon überschritten. Trotz der zum Teil sehr amüsanten Comedyreihen zu Wulffs Peinlichkeiten (höre z.B. von 1live Wulffen), geht mir das Spiel um den (Noch?-)Bundespräsident und die Frage, ob er nun alle Fakten auf den Tisch gelegt hat, mittlerweile ziemlich gegen den Knoten. Christian Wulff hat so viel, wie kein anderer Politiker bisher über sich und sein Privatleben veröffentlicht. Und trotzdem behaupten Kritiker weiter, Wulff müsse endlich für Klarheit sorgen, es bestünden weiter offene Fragen.

Natürlich bestehen weiter offene Fragen. Aber wie weit will man dieses Spiel eigentlich treiben? Letzte Klarheit wird es ohnehin nicht geben, weil jede Antwort zwangsläufig wieder neue Fragen aufwirft. Deutlich wird das an einer Glosse von Sebastian Turner am 6.1. im Handelsblatt am Beispiel von Bettina Schausten: Im Verlauf des Interview mit Wulff kam es zu folgendem Dialog:

Schausten: Mhm, aber da hätten Sie natürlich auch sagen können: Ich gebe Euch mal pro Nacht 150 EUR! So. Was spricht dagegen eigentlich?
Wulff: Machen Sie das bei Ihren Freunden so?
Schausten: Ja!
Wulff: Dann unterscheidet Sie das von mir, in dem Umgang mit den Freunden. Jetzt, als Bundespräsident, hab ich ja gesagt war es ein Fehler überhaupt bei einem Unternehmer zu übernachten

Bekanntlich hat das “Netz” Schaustens “Ja” mit viel Häme quittiert, weil daraus vermeintlich hervorgeht, dass Frau Schausten für Übernachtungen bei Freunden 150 Euro bezahlt bzw. umgekehrt auch verlangt. Turner konstruiert nun in seiner Glosse diverse Fragen, die sich aus dem einfachen und in der Konsequenz nicht zu Ende gedachtem “Ja!” ergeben:

  • Bei welchen Freunden haben Sie übernachtet, seit Sie Ihre aktuelle Funktion bekleiden?
  • Wie oft und lange?
  • Stehen diese Freunde (oder deren Partner) in irgendeinem Zusammenhang mit Ihrer Aufgabe?
  • Haben Sie allein übernachtet oder gemeinsam mit anderen Personen?
  • Gab es ein Frühstück?
  • Haben Sie sich Barzahlungen quittieren lassen?
  • Haben Sie darauf hingewiesen, dass diese Beträge gegebenenfalls der Steuerpflicht unterliegen?
    Aber es läuft auch in die andere Richtung
  • Haben Sie selbst Gäste beherbergt?
  • Welche Beträge haben Sie erhalten?
  • Wurden diese versteuert?

An diesem übertriebenen Fall wird eine gewisse Scheinheiligkeit der Forderungen nach Transparenz deutlich. Aus jeder noch so kleinen Antwort lassen sich wieder neue Fragen ableiten. Mich erinnert das an SchoppenhauersEristische Dialektik. Darin geht es im Prinzip darum, sich selbst in einem Disput als derjenige zu präsentieren, der sich im Recht befindet. Umgekehrt zeigt man so, dass sich der Diskursgegner im Unrecht befindet.

Man kann nach beliebigen Antworten den Diskursgegner (hier also Wulff) stets weiter Intransparenz und die Zurückhaltung von Antworten vorwerfen, weil jede Antwort Ansatzpunkte für neue Fragen ermöglicht. Vielleicht geht es sogar so weit, Wulff vorzuhalten, es sei nicht offen, weil er nicht offengelegt habe, ob er bei seinen freundschaftlich verbundenen Gastgebern die Eier hart oder weich serviert bekommen hat.

Ich teile mittlerweile die Auffassung von Jörg Kremer auf Google Plus, der in der Wulffsjagd auch eine persönliche Profilierung von wem auch immer sieht. Ein gutes Beispiel dafür ist die hochgejazzte Empörung um die Wirksamkeit des Kredits der BW-Bank. Der Fall ist schon deswegen lächerlich, weil man sich sehr wohl auch heute noch in Bankverhandlungen auf das gesprochene Wort verlassen kann. Natürlich wird der Finanzierungsvertrag erst rechtswirksam, wenn er von beiden Seiten korrekt unterzeichnet ist. Aber einen Fehler Wulfs daraus zu machen, wirkt genau so konstruiert, wie die abstruse Vorstellung von Sven Clausen in der FTD, ein Bundespräsident müsse alle juristischen Feinheiten deutscher Gesetze kennen. Wenn jeder nur noch das sagen könnte, was juristisch absolut wasserdicht ist und am besten unter Zitat der jeweiligen Rechtsgrundlage, dann könnten wir alle nur schweigen oder über Anwälte kommunizieren. Nein, da sucht die FTD populistischen Beifall genau wie das Handelsblatt, das herausgefunden haben will, dass Finanzinvestoren Wulff Fehlerverhalten vorwerfen aus seiner Zeit als VW-Aufsichtsrat. Demnächst, so twitterte Wolfgang Unglaub, kommt raus, dass Wulffs Schwippschwappschwager 1974 ein kostenloses Bier in ‚Inges Kneipe‘ angenommen haben soll. Und vielleicht entdeckt ein investigativer Rechercheur, dass sich Wulff bei Penny an der Kasse vorgedrängelt hat.

Mich erstaunt, mit welcher Akribie sich plötzlich so viele an Wulff abarbeiten. Ich würde mir diese Penetranz von Politikern, Journalisten und sonst wie Berufenen viel eher bei Fragen zur Finanz- und Schuldenkrise wünschen. So sind etwa zu den von Deutschland bereit gestellten Garantien für den europäischen Rettungsfonds EFSF längst nicht alle Fragen beantwortet*. Oder denken wir an den Bankenrettungsfonds SoFFin, der mit Milliardenrisiken weitestgehend im verborgenen jongliert. Die öffentliche Einrichtung kommuniziert zwar über Pressemitteilung, nicht aber über öffentlich verfügbare Rechenschaftsberichte. Und bei den von der “Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung” verwalteten Mitteln bzw. Garantien geht es nicht gerade um Peanuts.

Die Hartnäckigkeit, mit der die mangelnde Transparenz bei Wulff kritisiert wird, suggeriert, Politiker und Journalisten würden ständig und überall nach vollständiger Information suchen. Gerade bei komplexen Themen besteht aber überhaupt kein Interesse an einer kritischen Vertiefung. Medien- und politökonomisch ist das sogar nachvollziehbar. Für Detailfragen und deren oft komplexe Antworten gibt es nicht ausreichend Nachfrage bzw. für Politiker Anerkennung. Medien decken dann nicht den hohen Aufwand der Recherchen und Politiker ernten nicht genügend Zustimmung ihrer Wähler, wenn sie sich in unbequeme Details verbuddeln. Anders ist die ganz offensichtlich bei Celebrity-Themen mit Fragen, die Wähler und Medienkonsumenten aus ihrem Privatumfeld kennen.

Ich will hier nicht missverstanden oder gar zu den Menschen gerechnet werden, die Wulff eine zweite Chance gönnen. Ich habe hier am Donnerstag geschrieben, was ich von inszenierten Personen halte. Wulff wurde wie zu Guttenberg und diverse andere Gestalten im Politikbetrieb hochgespielt (auch durch die BILD-Zeitung). Er hat sich und das Amt so stark beschädigt, dass nur der Rücktritt bleibt. Es wird Zeit, sich einmal diese Mechanismen des Hochspielens von Personen näher anzusehen. Besonders mutig ist es nämlich von Journalisten nicht, jetzt auf Wulff einzudreschen. Viel mutiger ist es, eine im Konsens hochgejubelte Person des öffentlichen Lebens dann kritisch zu hinterfragen, wenn ihm alle den roten Teppich ausrollen.

Beiträge zur Netz- und Medienkritik

SZ: Kritik an Bundespräsident Christian Wulff Schimpfen, klagen – aber bitte mit Maß! (9.1.12): Er will einfach nicht zurücktreten, Kreditaffäre hin oder her. So gnädig Christian Wulff zu sich selbst ist, so gnadenlos sind die Medien im Umgang mit dem Bundespräsidenten. Dabei wiederholen sich die Kritiker und verbreiten teils blühenden Unsinn. Gefährlich wird es, wenn aus dem Streit eine Machtprobe wird.

DLF: Es gibt „mehr Professionalismus im Skandal“(9.1.12): Medienwissenschaftler über „Meutejournalismus“ und die Affäre Wulff. Norbert Bolz im Gespräch mit Jürgen Liminski. Die Fokussierung der Medien auf Katastrophen und Skandale sei dem Kampf um die Quoten geschuldet, sagt der Medienwissenschaftler Norbert Bolz. Bundespräsident Wulff mache es den Journalisten durch sein „tollpatschiges“ Verhalten allerdings auch einfach, Jagd auf ihn zu machen.

Meedia: Fall Wulff:„Liebesentzug von Medien und Politikern“ (8.1.12): Wulff und die Medien – was für eine bigotte publizistische Schlammschlacht! Die Kreditaffäre um den Noch-Bundespräsidenten entwirft das Sittengemälde eines Metiers wie es in einem Schwarzbuch Journalismus nicht besser hätte erfunden sein können. Sie führt beinahe prototypisch vor, wie aus ehemals gehypten Politikern plötzlich Staatsfeinde gemacht werden, wie mediale Bruderschaften geschmiedet und wohlfeile Medienkampagnen ausgeheckt werden. Ein Gastkommentar von Journalistik-Professor Stephan Weichert.

DLF: Interview im mit Wulffs Medienanwalt: „Größtmögliche Transparenz“

TAZ: Der Feldzug der „Bild“ passt ins Bild der eitlen Medien Diekmanns Anmaßung

FAZ – DeM: In Fäkalgewittern

Cicero: Die Causa Wulff: Ein polit-mediales Lehrstück

Zeit: Spott im Netz Selbst Boris Becker macht sich über Christian Wulff lustig

 

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* So muss man sich als Beispiel nur einmal den Gesetzentwurf zum “europäischen Stabilisierungsmechanismus” anschauen. Dort wird unter C. gesagt, es gäbe keine Alternativen zu dem Vorgehen. Ist das wirklich so? Was wurde hier geprüft? Warum sind vergleichbare Staaten ohne solche Rettungsfonds durch Schuldenkrisen gekommen? Unter D. wird mit keinen Haushaltsausgaben gerechnet. Hier könnte man fragen, welche Risiken für den Haushalt bestehen, was die Grundlagen für die Risikoeinschätzung sind usw. Nicht einmal annähernde Transparenz gibt es außerdem über die vielen Sitzungen und Vereinbarungen in hunderten von Entscheidungszirkeln im Rahmen der europäischen Schuldenkrise.

n i g e c u s Januar 9, 2012 um 10:06 Uhr

Es ist schon komisch was mit dem Bundespräsidentenamt passiert. Wulffs Vorgänger ist wegen weniger zurückgetreten. Ok, jeder ist das Ergebnis seiner Vergangenheit (past->current->future). Der Köhler schoss sich mit so einen IMF-Rhetorik-Reflex selbst ab (Wirtschaft, Krieg, usw.), und der Wulff hat eine PR-Leiche im Keller. Aber wer hat denn keine Leiche im Keller? Herr Wulff muss sich schon selber fragen was er für Standards für das Bundespräsidentenamt setzen will. A fordern, und B machen, ist dann wohl das neue offizielle Ideal nach dem die Gesellschaft streben sollte.

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