Beispiel wie Anreize aus den EZB-Giga-Tendern Kreditklemme vorrübergehend verschärft haben könnten

by Dirk Elsner on 8. Februar 2012

In Europa tobt eine Kreditklemme in den von der Schuldenkrise betroffenen Staaten. Am Montag hatten wir hier im Blick Log zum Beitrag “Könnten ausgerechnet die EZB-Giga-Tender die Kreditklemme verschärft haben?” interessante Diskussionen. In den Kommentaren im Beitrag selbst und auf Google+ gab es noch diverse zusätzlicher Informationen. Der Kern meiner These war, dass in Erwartung des Doppeltenders, der daraus resultierenden Anreizstruktur und der nicht schnell aktivierbaren Collaterals zur Hinterlegung bei der EZB eine Anreizstruktur geschaffen wurde, die zunächst einmal die Kreditvergabe an den Privatsektor in einigen Eurokrisenländern verschärft. Die Banken bunkern nach dem ersten Tender lieber Staatsanleihen, die sie mit dem EZB-Geld kauften, kassieren daraus eine Marge und haben für den nächsten Tender wieder ausreichend Sicherheiten, um sich erneut mit dreijährigen EZB-Geld zu versorgen (gute Zusammenfassung meiner Gedanken bei egghat) .

Die Resonanz hat mich ermuntert, den Zusammenhang am Beispiel der fiktiven italienischen Tera-Bank zu erläutern, deren vereinfachte Bilanz vor dem 1. Tender im Dezember ich hier habe:

Bilanz der Tera-Bank vor dem ersten Tender
  Assets/Aktiva  Funding/Passiva
  Position in 1000 € Position in 1000 €
1) Zentralbankgeld (Kasse+Barres.) 10.000.000,00 € Verbindl. gegen EZB 1.000.000,00 €
  Forderungen an Banken 1.000.000,00 € Repos gegen KI 8.000.000,00 €
  KK + so. Forderungen an Kunden 5.000.000,00 € ungesich. Verb. geg. KI 5.000.000,00 €
2) Kredite an Unternehmen u. Private  20.000.000,00 € gesich. langfr. Einlagen 10.000.000,00 €
  Unternehmenskredite 5.000.000,00 € unges. Einlagen von Kunden* 15.000.000,00 €
  (Structured) Covered Bonds 5.000.000,00 € reg. Covered Bonds/Pfandbr. 12.000.000,00 €
  Asset Backed Securities 10.000.000,00 € gedeckte Finanzierung/SCB 8.000.000,00 €
  pfandbrieffähiges Geschäft 15.000.000,00 € ungedeckte Anleihen 25.000.000,00 €
  Staatsanleihen 26.000.000,00 € Asset Backed Securities 10.000.000,00 €
  Aktien und anderes AV 3.000.000,00 € Sonstige Passiva 1.000.000,00 €
      Eigenkapital 5.000.000,00 €
         
  Summe Aktiva 100.000.000,00 € Summe Passiva 100.000.000,00 €
  als Collateral eingesetzt/einsetzbar 61.000.000,00 € davon gesichert 49.000.000,00 €
      * gesichert durch Einlagensicherung  
      SCB = Structured Covered Bond  

Nach der Ankündigung durch die EZB und vor dem ersten Tender stehen die Bankmanager vor folgenden Rahmenbedingungen, die ich zur Übersichtlichkeit etwas vereinfache.

Vom Zentralbankgeld (1) seien 5 Mrd. € für andere Zwecke einsetzbar. Die Teile der Aktivseite, die als Sicherheiten eingesetzt sind bzw. eingesetzt werden könnten, sind in rot gekennzeichnet. Auf der Passivseite sind die Refinanzierungen rot markiert, für die Sicherheiten aus der Aktivseite gestellt werden müssen. Dieser Anteil wird übrigens immer höher, weswegen in den Fachmedien über den Collateral-Crunch gesprochen wird.

Diverse Kredite (2) an Unternehmen u. Private sind nicht als Sicherheiten einsetzbar, weil sie nicht die von der EZB gestellten Anforderungen erfüllen (siehe dazu  FAZ: Sicherheiten zweiter Klasse). Weiter gehören zum Entscheidungsfenster folgende Rahmenbedingungen:

  • Es liegen über 5 Mrd. € neue Kreditanträge vor, die nach Prüfung und Abwicklung als Sicherheiten eingesetzt werden können. Dauer der Abwicklung  2 bis 3 Monate.
  • Daneben liegen über 6 Mrd. € Kreditanträge vor, die nicht als Sicherheiten einsetzbar sind.
  • Auf der Passivseite werden in den nächsten Monaten 5 Mrd. € ungedeckte Anleihen fällig. Aufgrund der weiter angespannten Refinanzierungsbedingungen am Kapitalmarkt kann die Tera-Bank diese nicht einfach durch neu auszugebende Anleihen ersetzen. Dies wäre wegen der hohen Risikoaufschläge zu teuer.
  • Ich habe hier angenommen, dass die Passivseite im Durschnitt mit 20% übersichert ist. Die 49 Mrd. € abgesicherte Geldaufnahme der Banken müssten so mit ca. 59 Mrd. Assets der Aktivseite unterlegt sein. Damit wären noch 2 Mrd. Euro freier Sicherheiten verfügbar.

Nach Ankündigung des Tenders könnte das Management der Tera-Bank wie folgt entscheiden

  1. Die frei verfügbaren 5 Mrd. € könnten als Kredit vergeben werden. Wegen der bereits angespannten Sicherheitenlage (=Collateral-Crunch) kämen dafür aber nur Kredite in Frage, die ihrerseits als Sicherheit hinterlegt werden könnten.
  2. Die frei verfügbaren 5 Mrd. € könnten für die Tilgung der in Kürze fällig werdenden Anleihen im Umfang von 5 Mrd. € Anleihen eingesetzt werden.
  3. Die frei verfügbaren 5 Mrd. € werden eingesetzt um italienische Staatsanleihen zu kaufen. Werden italienische Staatsanleihen als Sicherheiten bei der EZB hinterlegt, dann gelten hier geringere Abschläge als für die Hinterlegung von Unternehmenskrediten, ich nehme hier mal einen Haircut von 5% an. Außerdem ist die Abwicklung leichter. Kredite müssten erst geprüft, genehmigt und vereinbart und anschließend in ABS-Strukturen verpackt werden. Das dauert.

Nach meiner These entscheidet sich die Tera-Bank für 3. Zusammen mit anderen noch verfügbaren Sicherheiten zeichnet sie nach dem Kauf der Staatsanleihen 5 Mrd. € aus dem Tender. Das Tender-Geld landet zunächst auf dem EZB-Konto und wird aus den gleichen Erwägung wie oben erneut in Staatsanleihen investiert, die dann wieder als Sicherheiten für den 2. Tender Ende Februar eingesetzt werden können.

In der Zwischenzeit werden außerdem einige Kredite fällig oder werden gekündigt, wenn das rechtlich möglich ist. Hier angenommen. 2 Mrd. für nicht als Sicherung einsetzbare Kredite und 1 Mrd. Euro für als Sicherung einsetzbare Kredite. Die Erlöse daraus werden ebenfalls in Staatsanleihen investiert, so dass im zweiten Tender 8 Mrd. zusätzlicher Staatsanleihen als Sicherheiten zur Verfügung stehen.

Bilanz der Tera-Bank vor dem zweiten Tender
Assets/Aktiva  Funding/Passiva
Position in 1000 € Position in 1000 €
Zentralbankgeld (Kasse+Barres.) 5.000.000,00 € Verbindl. gegen EZB 6.000.000,00 €
Forderungen an Banken 1.000.000,00 € Repos gegen KI 8.000.000,00 €
KK + so. Forderungen an Kunden 5.000.000,00 € ungesich. Verb. geg. KI 5.000.000,00 €
Kredite an Unternehmen u. Private  18.000.000,00 € gesich. langfr. Einlagen 10.000.000,00 €
Unternehmenskredite 4.000.000,00 € unges. Einlagen von Kunden* 15.000.000,00 €
(Structured) Covered Bonds 5.000.000,00 € reg. Covered Bonds/Pfandbr. 12.000.000,00 €
Asset Backed Securities 10.000.000,00 € gedeckte Finanzierung/SCB 8.000.000,00 €
pfandbrieffähiges Geschäft 15.000.000,00 € ungedeckte Anleihen 25.000.000,00 €
Staatsanleihen 39.000.000,00 € Asset Backed Securities 10.000.000,00 €
Aktien und anderes AV 3.000.000,00 € Sonstige Passiva 1.000.000,00 €
    Eigenkapital 5.000.000,00 €
       
Summe Aktiva 105.000.000,00 € Summe Passiva 105.000.000,00 €
als Collateral eingesetzt/einsetzbar 73.000.000,00 € davon gesichert 54.000.000,00 €
    * gesichert durch Einlagensicherung  
    SCB = Structured Covered Bond  

Im zweiten Tender zieht die Bank dann zusammen mit den restlichen verfügbaren Sicherheiten 8 Mrd. €. Davon würden anschließend 5 Mrd. € in die Tilgung ungedeckter Anleihen fließen. 3 Mrd. € wären frei verfügbar und könnten wieder als Kredite bereit gestellt werden. Wegen der Enge der Kreditsicherheiten werden diese Mittel aber eher an Unternehmen gehen, deren Kredite ihrerseits als Sicherheiten eingesetzt werden können.

Die Bilanz nach dem 2. Tender könnte dann so aussehen:

Bilanz der Tera-Bank nach dem zweiten Tender
Assets/Aktiva  Funding/Passiva
Position in 1000 € Position in 1000 €
Zentralbankgeld (Kasse+Barres.) 5.000.000,00 € Verbindl. gegen EZB 14.000.000,00 €
Forderungen an Banken 1.000.000,00 € Repos gegen KI 8.000.000,00 €
KK + so. Forderungen an Kunden 5.000.000,00 € ungesich. Verb. geg. KI 5.000.000,00 €
Kredite an Unternehmen u. Private  18.000.000,00 € gesich. langfr. Einlagen 10.000.000,00 €
Unternehmenskredite 7.000.000,00 € unges. Einlagen von Kunden* 15.000.000,00 €
(Structured) Covered Bonds 5.000.000,00 € reg. Covered Bonds/Pfandbr. 12.000.000,00 €
Asset Backed Securities 10.000.000,00 € gedeckte Finanzierung/SCB 8.000.000,00 €
pfandbrieffähiges Geschäft 15.000.000,00 € ungedeckte Anleihen 20.000.000,00 €
Staatsanleihen 39.000.000,00 € Asset Backed Securities 10.000.000,00 €
Aktien und anderes AV 3.000.000,00 € Sonstige Passiva 1.000.000,00 €
    Eigenkapital 5.000.000,00 €
       
Summe Aktiva 108.000.000,00 € Summe Passiva 108.000.000,00 €
als Collateral eingesetzt/einsetzbar 74.000.000,00 € davon gesichert 62.000.000,00 €
    * gesichert durch Einlagensicherung  
    SCB = Structured Covered Bond  

Im Kern hat die Tera-Bank so vor allem das Problem der Refinanzierung ihrer ungedeckten Anleihen gelöst. Ohne die Initiative der EZB hätte die Bank die frei verfügbaren Mittel in die Tilgung ungedeckter Anleihen stecken müssen. Auf die Kreditvergabe an Unternehmen und Private wirkt der Tender zunächst verschärfend und am Ende neutral, auf die Staatsfinanzierung positiv.

Ja, liebe Leser, ich habe hier natürlich die Kalkulationen des Bankmanagements etwas vereinfacht und plakativ überspitzt. Aber ich glaube, es ist so schon für nicht geübte Leser kompliziert genug. Man könnte die 3. Alternative oben nun noch ergänzen durch eine Rentabilitäts-, Eigenkapital- und Risikokalkulation. Aber das schenke ich mir.

Erkennbar wird aus diesem Beispiel aber auch, warum es Erwartungen gibt, dass der zweite Tender noch umfangreicher in Anspruch genommen wird, als der erste Tender (siehe dazu FTD: Schuldenkrise Banken-Ansturm auf Billig-Kredit der EZB erwartet). Außerdem erklärt dieses Modell den Anstieg der Kurse für italienische Staatsanleihen seit Anfang Dezember. André Kühnlenz hat in seinem Eintrag auf Google+ darauf hingewiesen, dass die Unternehmenskredite, um 21,5 Mrd. Euro gesunken sind. Ungefähr genauso hoch war das Volumen an Anleihen, die nur zum Zweck als EZB-Sicherheiten zu dienen von den Banken begeben wurden – und zwar mit Staatsgarantie. Allerding, so schreibt Kühnlenz in einem Eintrag auf Google+, könnte dies auch an dem Abzug von Einlagen gelegen haben.

Nachtrag

Die FTD meldete am Abend, dass Geschäftsbanken künftig Sicherheiten von minderer Qualität hinterlegen können, wenn sie sich bei Notenbanken der Euro-Zone mit Liquidität eindecken. „Der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) will bei seiner Sitzung am Donnerstag gemeinsame Mindeststandards für die nationalen Währungshüter beschließen – und dabei zusätzliche Sicherheiten zulassen. Diese werden wahrscheinlich mit höheren Risiken behaftet sein dürfen, als es bislang die Regel war.“

André Kühnlenz Februar 8, 2012 um 09:19 Uhr

Klar und vielen Dank auch für die schöne Ausarbeitung hier… 🙂 – Muss ich mir allerdings bis ins letzte Detail auch noch intensiver anschauen…

Dirk Elsner Februar 8, 2012 um 09:03 Uhr

Danke für die Zusatzinfos. Das ist sehr interessant und man könnte das hier auch noch gut auf der Passivseite einbauen können und erklärt zusätzlich die Kreditklemme.

Ich würde ja nicht behaupten, meine Erklärung sei die einzige Erklärung. Aber ich denke das Beispiel oben, dessen Bilanzstruktur sich übrigens an einer lebenden Bank orientiert, zeigt ziemlich klar, die Überlegungen des Bankmanagements. Es spricht zumindest dafür, dass die Kreditklemme so nicht entschärft wird. Das ist eigentlich das, was ich damit ausdrücken will.

André Kühnlenz Februar 8, 2012 um 08:53 Uhr

Hmm, ich hab mich mal durch die Statistik der Banca d’Italia gewühlt und eine interessante Tabelle gefunden, die so von der Öffentlichkeit bisher wohl kaum wahrgenommen worden war. Sie zeigt, die enorme Kapitalflucht aus Italiens Banken bis November – als Kunden massenweise Gelder von ihren Konten abgezogen haben. Sie zeigen, dass wir einen echten (elektronischen) Bankrun in Italien gesehen, der die EZB Anfang Dezember zum Handeln gezwungen hat! Dies dürfte zu einem Großteil den Rückgang der Kredite im Dezember erklären.

Einlagenschwund:

Allein im November: 26 Mrd. Euro.
Seit Ende Juni (im Juli wurde Italien von der Krise mitgerissen): 66 Mrd. Euro.
Seit Jahresanfang: 84 Mrd. Euro.

Hier als Grafik: https://plus.google.com/110851321232255424306/posts/RtUEffEsdpF (oder auch in der heutigen FTD auf Seite 14)

Die Daten enthalten alle Verbindlichkeiten der Banken (Kreditinstitute) wie sie in die Mindestreservebasis des Banksektors Italiens eingehen. Dort sind detailliert die Einlagen aufgegliedert (täglich fällig, mit vereinbarter Laufzeit von bis zu zwei Jahren, mit vereinbarter Kündigungsfrist von bis zu zwei Jahren sowie die Einlagen, auf die der Reservesatz 0% angewandt wird: mit vereinbarter Laufzeit von mehr als zwei Jahren und mit vereinbarter Kündigungsfrist von mehr als zwei Jahren).

Sie sind deshalb so interessant, weil sonst die EZB-Statistiken nur die Einlagen der MFI (Monetäres Finanzinstitut) ohne Notenbanken ausweisen. Sie enthalten jedoch auch Geldmarktfonds und verzerren so die eigentliche Einlagenstatistik der Banken.

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