Chicken Game der EU mit dem Griechenland um Euro-Austritt

by Dirk Elsner on 30. Mai 2012

Son of Beer Butt Chicken

Haben ihr Spiel verloren: "Son of Beer Butt Chicken" (Quelle: flickr/Another Pint Please*)

Ja, es ist auffällig, wie intensiv in den letzten Tagen über einen Austritt Griechenlands aus der Eurozone spekuliert wird. Überall spricht man sich dafür aus, einen Plan-B für den Austritt Griechenlands aus der Eurozone vorzubereiten (so wie hier die Commerzbank). Vor einem Jahr waren solche Gedanken noch ein Tabu und vielen glaubten sogar noch daran, dass Griechenland alle Schulden zurückzahlen könnte.

Nun wird der potentielle Austritt Griechenlands aus der Eurozone (im Volksmund Greek Exit genannt) zum Megathema hochstilisiert. Es wird so getan, als ob ein Austritt eines Landes aus der Eurozone ganz einfach sei und man die damit verbundenen Aktivitäten und Risiken irgendwie managen könnte. Mag sein, ich rate hier allerdings zur Skepsis, denn ein Blick auf die Gesetze zur Einführung des Euro mag ein Gefühl davon zu vermitteln, wie kompliziert ein Austritt technisch und rechtlich ist. Das Schadensersatzrisiko könnte schnell einen dreistelligen Milliardenbetrag erreichen. Daneben hat Griechenland durch die bisher erhaltenen Mittel eine stärkere Verhandlungsposition, als dies derzeit vielen recht ist (siehe dazu auch NZZ: “Hohe Schulden sind ein Problem der Gläubiger”).

Mich hat gewundert, dass trotz des Geredes über den Austritt, die Vorhersagemärkte bei Intrade einen Austritt in diesem Jahr derzeit “nur” mit einer Wahrscheinlichkeit von gestern 40% erwarten. Eigentlich ist diese Zahl vergleichsweise niedrig angesichts der aktuellen Debatte und der Gerüchte über einen Grexit.

In einem Kommentardialog mit Eric Bronse im Beitrag “Vorhersagemärkte sehen weiter steigende Wahrscheinlichkeit für Austritt eines Landes aus dem Euro” äußerte ich die Vermutung, man könne die aktuellen Aktivitäten auch so interpretieren, dass man eine glaubhafte Drohung gegenüber Griechenland aufbauen will, um Griechenland doch noch auf Kurs zu bringen. Gelänge dies, dann wäre ein Austritt wieder unwahrscheinlicher.

In der Spieltheorie spricht man von einem “Chickengame”. Das Chickengame wurde bekannt aus dem Film “Jenseits von Eden” (oder war es „Denn sie wissen nicht, was sie tun“ mit James Dean) und hat Eingang in die Wirtschaftstheorie gefunden. Erklärt wird es von Ali Arbia im Science Blog:

“In den 50er sagt man, hätten Jugendliche in den USA ein Spiel gespielt, welches sie als Chicken (wörtlich ‘Huhn’) bezeichneten (1). Zwei Halbstarke sitzen je in einem Auto und rasen frontal aufeinander los. Der der zuerst ausweicht hat verloren. Dies inspirierte Spieltheoretiker zu einer Formalisierung.

Jeder der beiden Draufgänger hat zwei einfache Aktionen (‘Strategien’) zur Auswahl: Kurs halten oder ausweichen. Das ideale Resultat wäre aus der Perspektive eines einzelnen Spielers, den Gegner blamieren zu können. Der würde als ‘Huhn’ dastehen wenn er zuerst ausweicht. Dies wird durch einen Minus- (Ausweichender) respektive einen Pluspunkt (Kurs gehalten) ausgedrückt. Erweisen sich beide Spieler als irrational stur, ist die Konsequenz eine fatale Kollision. Eine solche ist nicht im Interesse der Spieler, beide würden daher -10 Punkte kassieren. Für beide Spieler ist klar, dass sie es doch bevorzugen als Feigling dazustehen. Weichen beide gleichzeitig aus, gibt es weder Gewinner noch Verlierer.”

Eine Möglichkeit in diesem Spiel zu gewinnen ist, den Gegner davon zu überzeugen, dass man nicht ausweichen wird oder kann. Vielleicht überzeugt man ihn davon, dass man nicht rational handelt und einem der Preis der Kollision nichts ausmacht (Strategie ‘Kamikaze’). Alternativ ¨überzeugt man ihn davon, dass man nicht anders kann als Kurs halten (z.B. Lenkrad blockieren und Schlüssel wegschmeissen ganz im Sinne des ‘Doomsday Device’ in Kubricks Dr. Strangelove).”

Das Spannende an diesem Spiel, es existiert hier keine dominante Strategie, da das Defektieren (Weiterfahren) zum bestmöglichen, aber auch zum allerschlechtesten Ergebnis führen kann. Wiederum besteht Unsicherheit über das Verhalten des anderen, weswegen auch Wahrscheinlichkeitsüberlegungen in die Entscheidung einfließen können, erklärt Wissen Digital.

Ich bin zwar der Meinung, Griechenland hätte nicht Mitglied der Währungsunion werden dürfen, aber an einen Austritt glaube ich nicht. Die Einrichtung von Krisenstäben bei EZB und Bundesbank und die Erarbeitung nationaler Notfallpläne gehören zum Spiel dazu. Wichtig ist bekanntlich, dass die Drohungen glaubhaft sind. Das Gerede über den Ausstieg nebst Vorbereitungen dient dazu, dass griechische Volk auf die Spur zu bringen. Und Umfragen deuten darauf hin, dass die Konservativen, die den Kurs der EU zähneknirschend unterstützen, sogar die Wahl gewinnen könnten.

Ich bin übrigens nicht allein mit meiner Position. Auch der Economist und einige andere Autoren sehen in dem Poker um Griechenland ein Chicken Game, das niemand gewinnen kann.


* Foto “Son of Beer Butt Chicken” CC Lizenz, Namensnennung, keine kommerzielle Nutzung, Weitergabe unter gleichen Bedingungen

Werner Juni 4, 2012 um 09:04 Uhr

Ein paar nebensächliche Fakten:
– Das Chickengame bei „Rebel without a Cause“ besteht aus dem parallelen Zurasen auf eine Klippe, wer zuerst aus dem Auto fällt hat verloren. im Film verliert James Dean das Spiel, sein Gegner das Leben, da sich sein Ärmel im Türgriff verhakt. Was lernen wir nun daraus ?

nigecus Mai 30, 2012 um 07:15 Uhr

Sind die beiden Agenten wirklich gleich stark? Und irgendwie ist das Spiel statisch? Das ist wie Schachspielen ohne voraus zu denken.

Dirk Elsner Mai 30, 2012 um 12:07 Uhr

Ob die Agenten statisch sind, kann nicht sagen. Ich würde sagen eher nicht. Jeder beobachtet während des Spiels das Verhalten des anderen und kann darauf reagieren mit einem Strategiewechsel.

Miss B Juni 1, 2012 um 00:21 Uhr

Ich denke das Spiel muss nicht statisch sein. Den dynamischen Fall mit unvollständiger Information zu lösen scheint mir aber ein bisschen kompliziert. Die Spieler müssen auch nicht gleich stark sein, die Stärke muss nur immer so gelagert sein, dass jeder Spieler immer dann besser dran ist, wenn er das Gegenteil von seinem Gegenüber macht.
Wenn man das Spiel etwas positiver betrachten möchte: es gibt sogar zwei Gleichgewichte, in denen jeweils einer stur bleibt und einer nachgibt. Das ist schon mal besser als das Gefangenendilemma, da kommt ohne Absprache immer das schlechtestögliche Ergebnis zustande.

Miss B Juni 1, 2012 um 00:21 Uhr

Ich denke das Spiel muss nicht statisch sein. Den dynamischen Fall mit unvollständiger Information zu lösen scheint mir aber ein bisschen kompliziert. Die Spieler müssen auch nicht gleich stark sein, die Stärke muss nur immer so gelagert sein, dass jeder Spieler immer dann besser dran ist, wenn er das Gegenteil von seinem Gegenüber macht.
Wenn man das Spiel etwas positiver betrachten möchte: es gibt sogar zwei Gleichgewichte, in denen jeweils einer stur bleibt und einer nachgibt. Das ist schon mal besser als das Gefangenendilemma, da kommt ohne Absprache immer das schlechtestmögliche Ergebnis zustande.

Marsman Mai 30, 2012 um 05:31 Uhr

Diese Analyse und Einschätzung hat mich erst mal etwas überrascht. Und ich
befürchte Sie haben recht damit, wieder mal die Probleme rechtzeitig erkannt.
Und mir wird aus vielen Gründen irgendwie mulmig. Unter anderem deswegen
weil sowohl die Politker aller Coleur wie auch der Bank- und Finanzsektor
mittlerweile sicherlich zehn Jahre lang immer wieder so tun als gäbe es nie
irgendwelche Konsequenzen. Nur um dann eins ums andere Mal mit
unerwarteten Situationen (Folgen) konfrontiert zu sein.

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