Sollen Unternehmen ihr Geld aus Europa abziehen?

by Dirk Elsner on 22. August 2012

Anfang August hat der Finanzvorstand des Ölkonzerns Shell nach einem Bericht der FAZ ziemlich öffentlichkeitswirksam verkündet, dass das Unternehmen “systematisch Geldbestände aus den Mitgliedsländern der Europäischen Währungsunion in den Dollar-Raum” verlagere. Die angesehene Tageszeitung verallgemeinert sogleich diese Information und macht daraus “Konzerne ziehen Geld aus dem Euroraum ab”. Die Financial Times Deutschland setzte gleich noch eins drauf und titelte “Kapitalflucht – Shell misstraut dem Euro”. Beide Zeitungen blieben freilich Belege für weitere Kapitalabzüge aus der Eurozone schuldig. Dafür trommelt der prominente Fondmanager der Allianz-Tochter Pimco, Bill Gross, sehr heftig gegen europäische Schultitel und empfiehlt stattdessen u.a. lieber Anleihen von Spielcasinos aus Las Vegas.

Nun muss man natürlich trennen zwischen Gelddisposition und Kapitalanlage, für die Gross zuständig ist. Aus Gesprächen mit Unternehmen habe ich angesichts der vielen Schlagzeilen der letzten Monate große Verunsicherung gespürt. Es bewegt viele Finanzmanager die Frage, wenn es denn kracht, ob dann dann die Euro-Guthaben gefährdet sein könnten.

Ich kann natürlich nicht vorhersehen ob oder in welcher Form es krachen könnte. Nach meiner persönlichen Auffassung gibt es aber weiterhin einen regelrechten Aufmerksamkeitswettlauf um düstere Prognosen und zahlreiche sich zum Teil widersprechende Szenarien. Aufgespießt hatte ich das Anfang Juni in dem Beitrag „Es ist so weit: Wir sind mal wieder am Ende„. Auch in der Vergangenheit haben die Prophezeiungen nicht die Qualität gehabt, um darauf das Cash-Management eines Unternehmens aufzubauen. Es gab zwar einige Analysten und Volkswirte, die richtig die Krise vorhergesagt haben, nur wusste niemand vorher, welcher der vielen Auguren mit seinen Erwartungen richtig liegen wird.

Im Fall Shell finde ich die Aktivitäten nicht besonders ungewöhnlich. Das Unternehmen bilanziert in US-Dollar und wird sich daher möglichst keiner besonderen Währungsrisiken aussetzen. Daneben ist der US-Dollar weiterhin die Kernwährung für den Rohölhandel. Shell wird also auch in der Vergangenheit seine Euro-Erlöse regelmäßig in Dollar konvertiert oder sich über Termingeschäfte abgesichert haben. Ich kann daran nichts Ungewöhnliches erkennen.

Ein europäisches und in Euro bilanzierendes Unternehmen, das plötzlich aus Furcht vor einem Crash in eine andere Währung konvertieren will, begibt sich aber erst einmal auf das brüchige Terrain der Spekulation, denn man muss sich dann fragen, in welche Währung konvertiert man und wie stabil ist diese. Ein Unternehmen kann so etwas mit einem Teil seiner Reserven machen, sollte dies aber wirklich gut überlegen und im Zweifel mit den Eigentümern abstimmen. Davon unterscheiden muss man natürlich Unternehmen, die aus geschäftlichen Gründen ständig einen Teil ihrer Liquidität in Fremdwährungen halten, weil sie international aktiv sind und ständig Zahlungen in Fremdwährungen leisten müssen.

Unterscheiden muss man vom Management der Währungsrisiken die Frage, wo parkt ein Unternehmen heute seine Liquidität und welche Liquiditätsreserven (z.B. über Kreditlinien) sind bei welchem Institut im Krisenfall tatsächlich noch mobilisierbar. Ich habe an verschiedenen Stellen darauf hingewiesen, dass sich das Treasury von Unternehmen angesichts der labilen Lage des Bankensystems sehr wohl überlegen muss, bei welchen Instituten liquide Mittel auf Konten gepoolt werden. Die Herausforderungen des Risikomanagements im Treasury liegen heute vor allem darin, aus Länder- und Institutsrisiken rechtzeitig Gefahren für die eigene Liquiditätsdisposition zu erkennen. Dazu gehört ganz sicher, die Bonitätseinschätzungen über Banken kritisch unter die Lupe zu nehmen. Kein Geheimnis ist, dass Unternehmen, wenn ihre Guthaben eine Höhe erreichen, die nicht mehr durch staatliche oder institutsübergreifende Sicherungssysteme garantiert werden, Sicherheiten von ihren Banken verlangen.

Nach meiner Auffassung ist jetzt für Unternehmen nicht die Zeit, im überhasteten Aktionismus spekulative Positionen in Fremdwährungen einzugehen. Weil die Verlässlichkeit des Finanzsystems noch nicht wieder den Stand des Jahres 2007 erreicht hat, hat vielmehr das Risikomanagement im Treasury von Unternehmen eine tragende Rolle bekommen. Hier, so meine Beobachtung, konzentriert man sich auch in Praxis darauf, eine schlüssige Strategie zu entwickeln und diese mit alten und neuen Instrumenten umzusetzen.


Dieser Beitrag ist eine überarbeitete Fassung eines Beitrags, den ich ursprünglich für die Webseite der CFOWorld geschrieben.

Thomas Hochgeschurtz August 22, 2012 um 19:19 Uhr

Wenn die Wirtschaftsverantwortliche (Unternehmensführer, Politiker) wie Sie, erst denken und dann handeln würden, hätten wir wahrscheinlich keine Krise. Mit ihrer Schlagzeile lässt die FTD viele Unternehmen überhaupt erst über Kapitalflucht nachdenken – grob fahrlässig!

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