Die deutsche Finanzkrise beginnt im Jahr 1998 in Wilmington (1)

by Gastbeitrag on 9. Oktober 2012

Exklusiver Auszug aus dem 6. Kapitel des Buches: Der größte Raubzug der Geschichte* von Matthias Weik und Marc Friedrich

Delaware, Zentrum für anonyme Briefkastenfirmen

 

Jetzt werden Sie sich bestimmt fragen: Wo ist Wilmington, und wieso begann die deutsche Finanzkrise dort? Wilmington ist eine Stadt im New Castle County im US-Bundesstaat Delaware an der Atlantikküste der Vereinigten Staaten von Amerika. In besagter Stadt besuchen im Jahr 1998 Firmenanwälte der BayernLB eine US-Kanzlei. Der Grund hierfür: Delaware ist weltweit eines der größten Zentren für anonyme Briefkastenfirmen, also ein Steuerparadies, wie es im Buche steht. Anfang 2009 sollen laut Manager Magazin knapp fünf Billionen Dollar dort versteckt sein. Heute wird es wohl einiges mehr sein.

Conduit
„Als Conduit wird eine Refinanzierungsstruktur bezeichnet, die mittels einer Zweckgesellschaft Forderungen wie beispielsweise langlaufende Kredite, Handelsforderungen oder extern geratete
Wertpapiere einmalig oder revolvierend ankauft und dies über die Ausgabe von Geldmarktpapieren in international gängigen Währungen refinanziert

 

Es stellt sich die Frage: Was beabsichtigt eine deutsche Landesbank in einem Steuerparadies? Ganz einfach, sie gründet eine Briefkastenfirma, auch Conduit oder Zweckgesellschaft genannt, denn es hat sich mittlerweile bis nach München herumgesprochen, dass Banken ihre Kreditverträge zu Tausenden bündeln und daraus handelbare Wertpapiere machen. Die Landesbank träumt vom großen Geld und dem neuen Dreh, unschöne Altlasten wegzuzaubern. Dies ist möglich aufgrund der schwachen Bilanzregeln des deutschen Handelsgesetzbuchs (HGB). Die Conduits arbeiten wie hundertprozentig beherrschte Tochtergesellschaften. Sie sind offiziell Eigentum eines Treuhänders
oder eines Trusts – ein juristischer Kniff. Laut HGB müssen sie nicht mehr als Geschäfte von Tochterirmen bilanziert werden. Die Banken bezeichnen sich frecherweise als Sponsor oder Originator der Conduits. Nichtsdestotrotz werden die Geschäfte oftmals komplett in den
Büros der deutschen Banken betrieben.  In den Jahresabschlüssen wird verheimlicht, dass die Banken tatsächlich über ein komplexes Geflecht von verbindlichen Verträgen für alle Verluste der Conduits haften.

Zweckgesellschaften sind in der Bilanz nicht ersichtlich

 

Die Zweckgesellschaften sind in der Bilanz der Landesbank nicht ersichtlich. Dadurch kann die Landesbank Eigenkapital sparen. Für die deutsche Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) besteht keinerlei Möglichkeit, die Machenschaften der Landesbanken zu überprüfen, da ihr der direkte Zugrif auf diese Schattenbanken – seien sie in Delaware, Dublin, auf den Cayman Islands, in Luxemburg oder auf Jersey – fehlt.

Der Trick mit den Zweckgesellschaften

 

 

Der Trick mit den Zweckgesellschaften hat für die Bank oder besser gesagt für die Banker folgenden Vorteil: Er entlastet die Banken von ihrer aufsichtsrechtlichen Plicht, für Risikogeschäfte genug Eigenkapitalpuffer bereitzuhalten. Dies bedeutet, dass sie außerhalb der Bilanz hohe Risiken eingehen, ohne ihr Eigenkapital zu erhöhen. Somit ist es den Bankmanagern möglich, im Jahresabschluss mit hohen Gewinnen bei relativ niedrigem Eigenkapital zu brillieren. Dies ist dem Banker egal. Nicht egal ist ihm jedoch, dass dies massiv die Eigenkapitalrendite verbessert, und dies ist die wichtigste Messzahl zur Berechnung seiner Bonuszahlungen.

Jeder Normalbürger würde bei einer solchen Vorgehensweise wegen Bilanzfälschung und Steuerhinterziehung hinter Gitter kommen.

Landesbanken möchten am großen Rad drehen

 

Die New Yorker Niederlassung der BayernLB investiert zur gleichen Zeit in verbriefte Hypotheken. Bereits im Jahresverlauf übersteigt das Volumen zwölf Milliarden Dollar. Sie sind die Ersten unter den Landesbanken, die Sachsen LB, die LBBW, die halbstaatliche IKB, aber später auch Privatbanken wie die Hypo Real Estate werden folgen, denn auch sie wollen im globalen Wettbewerb um riskante renditestarke Papiere mitmischen.

Alle wollen Sie am „Kredithebel“ spielen in Zeiten des aufkeimenden US-Immobilienbooms.

Kredithebel

 

„Kredithebel: Dieses Wort wird Karriere machen im folgenden Jahrzehnt, und wer ein Spezialist ist, sagt ‚Leverage‘ dazu. Es geht darum, die Wirkung von vorhandenem Investmentkapital zu mul-
tiplizieren, indem man es mit Krediten aufstockt.

Ein Hedgefonds legt auf das Geld seiner Investoren in der Regel ein Vielfaches an Kredit dazu – und betreibt seine Geschäfte anschließend mit der Gesamtsumme. Er hat vielleicht, real und greifbar,
100 Millionen Dollar von Anlegern, kauft aber – durch Kredite finanziert – Wertpapiere, Optionen, Kredite für 500 Millionen. Der Investor, der 1000 Dollar einzahlt, ist am Markt also tatsächlich
mit 5000 Dollar aktiv.“

Genial, solange Gewinn gemacht wird, verheerend bei Verlusten, denn diese multiplizieren sich ebenfalls. Dies wird Jahre später in unfassbarem Ausmaß der Fall sein.

Die Landesbanken ignorieren die goldene Bankenregel

 

Unvorstellbar, aber wahr: Die BayernLB und die Zweckgesellschaften der anderen Landesbanken decken sich mit langfristigen Wertpapieren ein, die mithilfe kurzfristiger Anleihen finanziert werden. „Die kurzfristige Finanzierung langfristiger Vermögenswerte gehört zweifellos zu den Todsünden der Hochfinanz.”

Würden Sie etwa Ihre Immobilie mit einer Hypothek finanzieren, die Sie alle 90 Tage erneuern müssen? Sicherlich nicht, denn das Risiko, dass die Finanzierung nicht klappt und die Zwangsversteigerung droht, wäre jedem rational denkenden Menschen viel zu groß.
Den Banken jedoch schien dieses Risiko anscheinend nicht zu groß zu sein.

Enron – der Bilanzskandal bleibt für die Landesbanken folgenlos. Nach dem Bilanzskandal 2001 beim US-Energiekonzern Enron, wofür einer der Gründe Briefkastenirmen außerhalb der Konzernbilanz waren, werden global die Vorschriften geändert – nur nicht in Deutschland. Nach den neuen Vorschriften laut internationalen Rechnungslegungsstandards (IAS) müssen Ofshore-Vehikel in die Bilanz, wenn sie von der Bank wirtschaftlich beherrscht werden. Des Weiteren werden Regeln zur marktgerechten tagesaktuellen Bewertung des Vermögens erstellt.

….

Fortsetzung folgt


Der Text ist urheberrechtlich geschützt. Der Auszug aus dem Buch erfolgt exklusiv und mit Genehmigung der Autoren und des Verlags. Ich hatte nach einem Mailaustausch mit Marc Friedrich gefragt habe, ob ich dieses Kapitel für den Blick Log übernehmen kann. Dieser Abschnitt enthält an verschiedenen Stellen Anmerkungen zu den Quellen der Aussagen. Aus Vereinfachungsgründen habe ich mich entschieden, die Anmerkungen aus diesem Blogtext rauszulassen. Auch technischen Gründen sind die Kurzzusammenfassungen an den jeweiligen Seitenrändern als Zwischenüberschriften eingefügt.

F. Granz Oktober 10, 2012 um 18:10 Uhr

Danke Herr Elsner. Ich werde es mir jetzt als ebook kaufen.

F. Granz Oktober 10, 2012 um 05:23 Uhr

Danke für den Rollen Artikel.

Ist das ganze Buch so in diesem Stil?

Dirk Elsner Oktober 10, 2012 um 14:25 Uhr

Ich würde sagen ja, auch wenn ich es noch nicht komplett gelesen habe.

FDominicus Oktober 9, 2012 um 15:28 Uhr

Bei einer List von wirtschaftlichen Unworten, wären m.E. ganz weit oben

1) Kredit
2) Leverage

Ein weitere Konkurrent wäre „Risikomanagement“. Das sieht bei Banken wohl ziemlich einfach aus. Alles uns misslingt, haben bitte die Steuerzahler zu berappen. Selbstverständlich können wir für die Vergütungen keine Regressansprüche geltend machen.

Denken Sie immer daran, die Banken sind die „Guten“.

Kai Oktober 9, 2012 um 09:05 Uhr

Spannend!

Freu mich auf die Fortsetzung.

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