Über vier Jahre nach den hektischen G-20-Gipfelbeschlüssen im Zuge der Finanzkrise erreicht die Auseinandersetzung zwischen der Politik und Regulierern auf der einen Seite und der Finanzindustrie auf der anderen Seite eine neue Phase. Nach der Lehman-Pleite und dem de Facto Zusammenbruch der Finanzmärkte glaubte man, mit neuen Regeln, Finanzkrisen künftig verhindern zu können. Seit damals ist ein gewaltiges Feuerwerk an Regulierungsanforderungen auf die auch bis dahin schon stark reglementierte Finanzbranche niedergegangen.
Einen Ausschnitt der aktuellen internationalen Finanzmarktregulierung findet man in dieser Mindmap.
Neue Regeln führen meist zur Diskussion und Gegenwehr der Regulierten, die sich nicht so in ihren Geschäften einengen lassen wollen. In ihren Sonntags- und Kongressreden demonstrieren Politiker, Regulierer und Banker oft Einigkeit, was das Ziel neuer Maßnahmen angeht, nämlich Finanzkrisen zu verhindern. Im Alltag bekämpft man sich dagegen intensiv. Die Finanzbranche und ihre Verbandsvertreter versuchen hinter den Kulissen mit großem Ressourceneinsatz die Regeln aufzuweichen, zu verschieben oder gar zu verhindern.
Ich hatte bereits an verschiedenen Stellen in diesem Blog betont (zuletzt in dem Beitrag “Teufelskreis zwischen Banken- und Staatsrisiko: 0 Risiko für Staatsanleihen bei Finanzmarktregulierung”), dass ich ebenfalls Teile der Finanzmarktregulierung weder für sach- noch zielgerichtet halte. Ohne dass hier jetzt erneut zu vertiefen, hängt meine kritische Einstellung u.a. damit zusammen, dass die Folgewirkungen auf Dritte nur unzureichend bedacht werden und die durch die umfangreichen Vorschriften gestiegene Komplexität nicht mehr steuerbar sein wird.
Die Einflussnahme von Verbänden und Lobbyisten ist in der Praxis möglich und notwendig, weil sich Regulierer und Finanzbranche in Bezug auf die Umsetzungsdetails der Maßnahmen abstimmen müssen. Machen sie das nicht, dann könnten die konkreten Regulierungsvorschriften komplett an der Praxis vorbei gehen und würden entweder gar keine Wirkung entfalten. Oder sie wirken so stark, dass bestimmte Finanzhäuser sofort handlungsunfähig werden und ihr Geschäft einstellen. Beides ist weder im Interesse der Politik, der Regulierer und natürlich auch nicht der Regulierten.
Hinter der politischen Forderung, das Finanzsystem sicherer machen zu wollen, steht für die Praxis eine riesige Kaskade von Regeln, die in mehreren Stufen erarbeitet und in Kraft gesetzt werden. Ein gutes Beispiel dafür ist der sogenannte Dodd–Frank Act in den USA. Das 2010 in den USA verabschiedete Gesetz umfasst 15 Titel mit 541 Gesetzesartikeln auf 849 Seiten. Das Gesetz erteilt lt. einer Analyse der Deutschen Bank 243 Mandate zur Ausarbeitung von vertiefenden Regeln, mit deren Hilfe das Gesetz von den US-Aufsichtsbehörden umgesetzt werden muss. Bis zum Jahresanfang 2012 waren nicht einmal 1/4 der Maßnahmen umgesetzt. Das hat zum Teil politische Gründe (die Republikaner wollen Teile dieser Reform nicht), es liegt an der zum Teil komplexen Materie aber auch an den Abstimmungsprozessen zwischen Aufsichtsbehörden und Finanzbranche.
Über eine neue Qualität des Widerstands der neuen Regeln hat vergangene Woche das Dealbook der New York Times berichtet. Die CME, die große Terminhandelsbörse von Chicago, verklagte nämliche letzte Woche die eigene Aufsichtsbehörde, die Commodity Futures Trading Commission, weil sie findet, dass diese bei der Umsetzung der neuen Regeln sich nicht an die Vorgaben des Gesetzes gehalten haben. Die neue Regel soll mehr Licht in die Derivatehandelsgeschäfte bringen. Während die Regulatoren noch an der Ausarbeitung vieler Regeln feilen, verlagert nun die Wall Street, so Ben Protess in dem Artikel, den Kampf gegen die neuen Regeln vom Hinterzimmer der Lobbyarbeit in den Gerichtssaal.
Sollte diese Strategie aufgehen und zu einer weiteren Verzögerung führen, dann könnten das zu einer weiteren Lähmung des Aufsichtsprozesses führen. Und es ist auch nicht auszuschließen, dass dies Nachahmer in Europa findet.
Die gesamte Finanzmarktregulierung und das mit ihr verzahnte Aufsichtsrecht ist völlig überholt. Die ursprünglich verfolgten Zwecke werden ad absurdum geführt und dank der mittlerweile vie zu komplexen Rechtslage wurde eine Art selbsterhaltendes System geschaffen, welches im Falle von Marktversagen virtuelle Quellen ins System einbringt. Das eigentliche Problem ist aber, dass diese virtuellen Quellen leiglich entropiesteigernd wirken, nicht aber etwa aus einem Stück Torte zwei machen.
Ganz ehrlich, ich kann diese Sprüche von der Regulierung nicht mehr hören. Was soll der Unfug wenn das Regulativ Pleite nicht mehr greifen kann/darf?
Braucht man Transparenz oder braucht man die Entscheidungen jeden einzelnen Markteilnehmers. Was sollen die Regeln über mehr Eigenkapital wenn wir nur von einer Verringerung des Hebels von 50 auf 20 reden?
Wieso wird nicht einfach Betrug auch als solcher geahndet? Staaten und Banken sind Pleite dürfen aber trotzdem „weiterwurschteln“. Erklären Sie mir bitte einfach mal warum z.B. die Commerzbank immer noch existiert. Oder erläutern Sie mir warum man trotz aller gegenteiliger Gesetze Transferzahlungen nach Griechenland leistet.
Bitte erläutern Sie mir warum für Staaten und Banken nicht gelten sollte. „Lebe innerhalb deiner finanziellen Grenzen“.
Was soll eine Regulierung für einen völlig unterkapitalisierten und durchaus auch betrügerischen Bereich bringen? Wirklich das ist alles Augenwischerei. Die Staaten halten sich „Ihre Banken“ wie auch Banken „Ihre Staaten“. Sehr „fair“.
Vielleicht beantwortet dieses Interview mit Prof. Bofinger ein parr der Fragen: http://www.tagesanzeiger.ch/wirtschaft/konjunktur/Ich-wuerde-die-Untergrenze-auf-135-Franken-setzen/story/22829865?track
Comments on this entry are closed.
{ 1 trackback }