Repressive Easing

by Karl-Heinz Thielmann on 3. Juli 2013

Merkwürdige Dinge gehen vor in dieser Welt: Die Notenbanken pumpen Geld in die Volkswirtschaften, ohne dass man in der realen Wirtschaft bisher große Wirkungen erkennen kann. Die meisten öffentlichen Kommentatoren überschlagen sich dennoch mit ätzender Kritik wegen der angeblich schädlichen Folgen dieser Politik. Abwechselnd kann man sich in Negativszenarien über Horrorinflation oder Dauerwirtschaftskrise weiden. Eine seltsame Koalition von Zentralbankkritikern hat sich gebildet, die von prominenten Hedgefonds-Managern bis zu Globalisierungsgegnern reicht. Ben Bernanke und Mario Draghi haben die Rolle der Erzbösewichte zugewiesen bekommen, die für zukünftige ökonomische Desaster schon jetzt die Verantwortung übernehmen sollen.

Aber ist die derzeitige Geldpolitik des „Quantitative Easing“ wirklich eine solche Gefahr für die Weltwirtschaft? Ökonomen und Journalisten begründen die angebliche Fahrlässigkeit der Geldpolitik vor allem mit den ausgeuferten Bilanzen der Zentralbanken. Diese sind – zugegebenermaßen – extrem aufgebläht. Die Notenbanken haben ihren Geldhahn bis zum Anschlag aufgedreht. Aber woran liegt dies wirklich: etwa an kollektiver Fahrlässigkeit der Zentralbanker weltweit?

Falsch, denn sie reagieren hiermit nur auf einen sehr problematischen Trend: Der Geldumlauf wird immer träger. Die monetäre Expansion bleibt schlicht und einfach stecken. Wenn man sich die Geldmenge M3 betrachtet – also in ihrer weitesten Abgrenzung, welche auch die Geldschöpfung durch Banken mitberücksichtigt – sieht man, dass diese im Euroraum in den vergangenen Jahren kaum noch gestiegen ist.

Ist die Geldpolitik im Endeffekt dann im Endeffekt sogar zu restriktiv? Auch falsch, die Quasistagnation bei M3 offenbart vor allem eines: Hilflosigkeit. Die Expansion von Zentralbankgeld versickert und führt nicht zu mehr Krediten, kommt also in der Wirtschaft nicht an. Stattdessen haben sich die Kapitalmärkte zum Auffangbecken für überschüssiges Geld entwickelt. Als größte Sickergrube für die Zentralbankliquidität hat sich dabei insbesondere der Markt für „sichere“ Staatsanleihen erwiesen. Trotz niedrigster Zinsen, die sich inzwischen eindeutig unter den Inflationsraten befinden, werden diese Papiere den Rentenhändlern aus den Händen gerissen.

Dabei ist es relativ irrelevant gewesen, ob die Zentralbanken wie in USA oder Großbritannien massiv selbst in den Markt eingegriffen haben oder sich wie die EZB auf Interventionen bei Anleihen von Krisenstaaten beschränkt haben. Entscheidend für den Run auf Staatspapiere war vor allem ein Faktor: Viele private Investoren werden seit ungefähr einem Jahrzehnt massiv gezwungen, vor allem in Wertpapiere zu investieren, die höchsten Anforderungen in Hinblick auf ihr Ausfallrisiko genügen. Und als solche gelten nun einmal die Schuldtitel der Staaten der größten Industrienationen.

Angefangen hat dies vor etwas über 10 Jahren, als der Aktiencrash nach dem Platzen der großen Internetblase bei einigen institutionellen Investoren zu heftigsten Verlusten geführt hatte, u. a. auch bei Pensionskassen und Lebensversicherungen. Finanzaufseher in der ganzen Welt kamen zu dem Schluss, dass diese in Zukunft verpflichtet werden sollten, vorwiegend in relativ stabile Anlagen mit geringem Kursrisiko zu investieren. Damit kamen für viele der größten Institutionen nur noch erstklassige Staatsanleihen als Kerninvestments infrage, völlig unabhängig von deren Verzinsung.

Dies war aber erst der Auftakt. Als besonders heimtückisch haben sich gerade nach der Finanzkrise die Eigenkapitalregeln für Banken (Basel II etc.) erwiesen, welche für die Finanzinstitute eine unterschiedliche Risikogewichtung ihrer Aktiva vorschreiben, die jeweils mit Eigenkapital in verschiedenen Quoten abgesichert werden müssen. Denn wofür braucht man kein Eigenkapital zu hinterlegen? Richtig, in „risikofreie“ Staatsanleihen mit einem Mindestrating von AA- kann völlig ohne Kapitalbindung investiert werden. Warum also noch Risiken eingehen durch die Vergabe von Krediten? Wenn man seinen Sparern nur 0,5% p.a. Zinsen zahlt, wird dann auch eine Bundesanleihe mit 1,5% p.a. Rendite zum Bombengeschäft. Jeder Banker, der stattdessen lieber kapitalfressende Kredite vergibt, wäre wahnsinnig.

Quantitative Easing versorgt den Kapitalmarkt mit Liquidität, finanzielle Repression sorgt dafür, dass das Geld zu niedrigsten Zinsen beim Staat landet. Und Sparer sowie sicherheitsorientierte Anleger werden zur Finanzierung der Staatshaushalte herangezogen, ohne es richtig zu merken. Private Unternehmen mit Finanzierungsbedarf werden dafür am Kapitalmarkt diskriminiert. Dies kann nicht richtig sein, kommt es hierdurch doch zu massivsten Verzerrungen und Ungerechtigkeiten. Aber was wären die Alternativen?

In den USA haben sich in den vergangenen 25 Jahren die Staatsschulden mehr als versechsfacht, die Zinszahlungen auf die Staatsschuld aber nur knapp verdoppelt. Ohne finanzielle Repression wären die USA schon längst bankrott, genau wie Japan, Großbritannien und vielleicht auch Deutschland.

Sollten diese Länder ihre Staatsausgaben senken oder Steuern erhöhen, um sich zu sanieren? Dies würde möglicherweise eine Rezession mit sich bringen; ganz sicher aber politischen Selbstmord für die jeweiligen Regierungen bedeuten. In den USA scheint eine konstruktive Sanierung grundsätzlich nicht mehr möglich: Die Polarisierung der politischen Lager hat dazu geführt, dass die eine Seite Ausgabensenkungen verweigert, die andere Seite Steuererhöhungen blockiert.

Oder soll man versuchen, durch eine Reflationierung der Wirtschaft aus der Misere herauszukommen? Japan versucht dies im Moment, allerdings als Verzweiflungstat nach 20 Jahren Stagnation. Für übrige Welt wäre eine Reflationierung eine klare Katastrophe, wie viele historische Beispiele hinreichend belegen.

Wir werden in den nächsten Jahren wohl oder übel mit „repressive Easing“, der Kombination aus „quantitative Easing“ und „finanzieller Repression“ leben müssen. Wenn große Volkswirtschaften wie die USA in der Schuldenfalle stecken und fiskalpolitische Maßnahmen zur Sanierung verhindert werden, müssen wenigstens die Finanzierungskosten minimiert werden. Sonst werden die negativen Prognosen der vielen Weltuntergangspropheten doch noch war.

„Repressive Easing“ ist das Resultat eines klassischen Widerspruches zwischen kollektiver und individueller Rationalität. Der einzelne Anleger betrachtet Staatsanleihen als Vermögenswert. Gesamtwirtschaftlich gesehen sind genau diese Wertpapiere aber in die Zukunft verschobene Steuerzahlungen. Ein Investment in Staatsanleihen macht also nur Sinn, wenn ein Investor davon ausgeht, dass jemand anderes als er selbst für die Rückzahlung geradestehen muss. Wenn zukünftige Generationen die Zahlungspflichtigen sind, ist die Verführung um so größer, da ihre Belastung heute noch relativ abstrakt erscheint.

Das permanente Verschieben von Belastungen mag auf individueller Basis auch funktionieren, für eine Nation oder eine Währungsunion aber nicht. Aus Italien ist das Phänomen bekannt, dass Steuerhinterzieher ihr Schwarzgeld vor allem in Staatsanleihen investiert hatten. So landeten hinterzogene Steuern am Ende oftmals doch beim Staat, und die Steuerhinterzieher fühlten sich auch noch reicher, weil sie a) Steuern gespart und b) in sicheren Staatsanleihen investiert hatten. Ergebnis war eine nationale Vermögensillusion, die dann mit der Eurokrise platzte, als die Gesamthöhe der aufgetürmten Staatsschulden ins Blickfeld rückte und Zweifel an der Zahlungsfähigkeit des Staates aufkamen. Massive Steuererhöhungen waren deshalb 2011 ein zentrales Element des ersten Rettungspaketes der Regierung Mario Monti, was ihm die Wähler allerdings sehr übel nahmen.

Einer ähnlichen Illusion unterliegen aber die meisten Wähler in den großen entwickelten Volkswirtschaften: Sie wollen weder eine Verminderung staatlicher Leistungen noch Steuererhöhungen hinnehmen. Gegenüber Inflation haben die meisten Menschen inzwischen eine gewisse Sensibilität entwickelt. Um sich aber über zu niedrige Zinsen aufzuregen, müsste man in Opportunitätskosten denken. Dies überfordert aber noch viele.

„Repressive Easing“ ist die politische Konsequenz dieser Illusion: Wenn Regierungen die Bürger nicht durch Steuern, Leistungskürzungen oder Geldentwertung zur Sanierung der Staatsfinanzen heranziehen können, weil sie sonst abgewählt werden, so müssen sie dieses durch künstlich niedrige Zinsen machen.

Dies heißt aber nicht, dass Sie sich als Investor hieran beteiligen müssen. Sofern Sie nicht dazu gezwungen werden, in Langfrist-Anlagen zu investieren, die wie Staatsanleihen direkt oder wie Lebensversicherungen indirekt von finanzieller Repression betroffen sind, können Sie sich nach besseren Alternativen umsehen. Für die Liquidität wird man im Moment geringe Renditen hinnehmen müssen. Wer aber für einen längeren Anlage-Zeitraum freiwillig auf niedrigst verzinsliche Investments setzt, kann nur die eigene Dummheit, Ignoranz oder Paranoia dafür verantwortlich machen.

Dieser Artikel erschien in leicht abgewandelter Form ebenfalls in „Mit ruhiger Hand“ Nummer 15 vom 1. Juli 2013. Die Kurszeitreihen für die Grafiken wurden bei der Deutschen Bundesbank sowie beim US Treasury bezogen.

Stefan Wehmeier August 17, 2013 um 20:50 Uhr

„Die Kaufkraft des Geldes nimmt ab, das Geld entwertet sich, die Waren werden teurer, die Preise steigen (Inflation), wenn die umlaufende Geldmenge im Verhältnis zur Warenmenge vergrößert wird, und wenn das Geld schneller umläuft. Umgekehrt: Die Kaufkraft des Geldes nimmt zu, das Geld wird „besser“, die Waren werden billiger, die Preise fallen (Deflation), wenn die umlaufende Geldmenge im Verhältnis zur Warenmenge verkleinert wird, und wenn das Geld langsamer umläuft.
Kann man aber durch Vermehrung oder Verminderung der umlaufenden Geldmenge die Kaufkraft des Geldes senken oder heben, so muss es auch möglich sein, durch planmäßige Verwaltung des Geldes seine Kaufkraft zu festigen, den Durchschnitt der Warenpreise (den Index) auf gleicher Höhe zu halten (Indexwährung), – vorausgesetzt, dass die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes geregelt ist!
Gerade an dieser zuletzt genannten Voraussetzung hapert es aber beim Dauergeld (Zinsgeld mit Wertaufbewahrungs(un)funktion). Nehmen wir an, das einzurichtende staatliche Währungsamt, dem die Aufrechterhaltung der Indexwährung obliegt, stellt fest, dass der Index Neigung hat zu steigen. Es wird daher Geld aus dem Verkehr ziehen und umgekehrt, wenn der Index Neigung zeigt zu sinken, wird es zusätzlich Geld in den Verkehr geben. Diese Maßnahmen werden solange wirksam sein, als das Lockmittel des Zinses hoch genug ist, um das Geld umlaufen zu lassen. Sinkt aber bei Vollbetrieb der Wirtschaft die Rentabilität, so wird das Geld immer zögernder investiert werden. Die Geldbesitzer können dieses Geld, das ja keinen Zins mehr bringt, ohne Schaden aus dem Verkehr ziehen, aufhäufen (auf Girokonten liquide halten), unregelmäßig auf den Markt werfen und dadurch die Festwährung stören, woran sie schon deshalb ein Interesse haben, weil sie der Konjunkturschwankungen zur Erlangung der Differenzgewinne (Spekulationsgewinne) bedürfen.“

Otto Valentin (aus „Warum alle bisherige Politik versagen musste“, 1949)

Daran hat sich bis heute nichts geändert. Der Zusammenbruch einer Zinsgeld-Ökonomie (zivilisatorisches Mittelalter) erfolgt nach dem Schema: Liquiditätsfalle > Deflation > Hyperinflation. Weil die Zentralbank keinen Einfluss auf die Umlaufgeschwindigkeit (effektive Umlauffrequenz) des Zentralbankgeldes hat, kann sie immer nur Währungspfusch betreiben und durch Geldmengenausweitung die Liquiditätsfalle (kollektiver Rückzug der Ersparnisse aus der langfristigen Anlage) hinauszögern, auf Kosten einer Verkürzung der Zeitspanne von der einsetzenden Deflation bis zur anschließenden Hyperinflation, bei der alle auf Geld lautenden Forderungen vernichtet werden.

Damit das Geld unter allen Umständen sicher umläuft und die Zentralbank überhaupt die Möglichkeit hat, den Geldwert anhand eines repräsentativen Konsumgüter-Preisindex auf unbegrenzte Zeit absolut stabil zu halten, müssen die destruktiven Umlauf“sicherungen“ Urzins und schleichende Inflation durch eine konstruktive Geldumlaufsicherung ersetzt werden.

http://opium-des-volkes.blogspot.de/2012/10/geld.html

topperhopper Juli 3, 2013 um 10:30 Uhr

Danke für den Artikel. Wegen solcher Schriftstücke hat der BlickLog zu Recht einen Preis bekommen – relativ sachlich, selbstreflektierend und nicht geifernd wie so viele andere Kommentare im Internet.

@ Andreas:
Ich habe den Artikel nicht so wahrgenommen, als dass er einer bestimmten Verschwörungstheorie anhängt oder irgendwas zu stark vereinfacht. Sicher kann man den einen oder anderen Fehler entdecken – das ändert aber nicht an der meiner Ansicht nach ausgewogenen Ausrichtung des Artikels.

VG

Andreas Juli 3, 2013 um 08:09 Uhr

Ja, da ist sie wieder, die, ich nenne es mal so, „Verschwörungstheorie der Geldmenge“. Unabhängigkeit der Notenbanken, papperlapapp. In Wahrheit betreiben die Notenbanken, halt nur über den Umweg von Niedrigzinsen statt über den direkten Ankauf von Staatsanleihen, verdeckte Staatsfinanzierung. Belege hierfür? Nicht vorhanden, versteht sich doch von selbst. Wer braucht schon Fakten, wenn die Wahrheit so klar vor den Augen liegt. Wenigstens dann, wenn man sich eine Wahrheit konstruiert.

Erstaunlich, dass am Anfang des Textes völlig zurecht auf den gestörten Transmissionsmechanismus hingewiesen wird, dieses Thema dann aber keine Rolle mehr spielt. Könnte ja die eigene Theorie stören. Andere Dinge werden der Vorsicht halber garnicht erwähnt. Rezession? Hat vermutlich keinen Einfluss auf die Realzinsen…Liquiditätsfalle? Vermutlich keynesianisches Voodoo-Zeugs.

Und die Wirklichkeit? „Seit 10 Jahren finanzielle Repression“, aber betrug der Leitzins der EZB nicht vor 5 Jahren noch 4,25%? „Der Geldumlauf wird immer träger“, aber wuchs M3 nicht zwischen 2005 und 2008 noch stärker als die Geldbasis? Der Ankauf „risikoloser“ Staatsanleihen im Zuge von Basel II verdrängte Unternehmensfinanzierung, aber gab es vor 2008 nicht eine riesige Schuldenblase im Privatsektor?

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