Die große Risikoverwirrung Teil 7: Unsicherheit als Ausrede

by Karl-Heinz Thielmann on 29. August 2013

Co-Autorin: Prof. Dr. Ekaterina Svetlova

In dem zweiten Teil unserer Reihe „Risikoverwirrung“ haben wir auf eine wichtige Unterscheidung zwischen Risiko und Unsicherheit hingewiesen, die von Frank Knight (1921) eingeführt sowie von Keynes und Shackle weiterentwickelt wurde. Risiko ist nach Knight dadurch definiert, dass sich dem Eintritt eines Ereignisses eine Wahrscheinlichkeit zuordnen lässt. Bei Unsicherheit hingegen ist völlig unklar, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist. Sie ist deshalb mathematisch nicht fassbar und auch nicht mit einer Zahl zu beschreiben. Weiterhin haben diese Autoren darauf hingewiesen, dass im Wirtschaftsleben eher die Situationen „genuiner“ Unsicherheit vorherrschen, bei denen nicht nur die Wahrscheinlichkeiten, sondern auch die möglichen zukünftigen Zustände der Welt nicht bekannt sind. Dementsprechend sollte Unsicherheit als solche in die Überlegungen über zukünftige Handlungen einbezogen werden.

Diese Unterscheidungen werden allerdings nach wie vor weitgehend in der heutigen Finanzindustrie ignoriert. Dies hatte zwei Konsequenzen:

• Unsicherheit wird thematisiert, um Entscheidungsschwäche oder Nichtwissen zu überdecken. (Dieses Thema wird im heutigen Beitrag behandelt)

• Im Umgang mit der Unsicherheit hat sich eingebürgert, dass sie so behandelt wird, als ob es sich um eine Situation unter Risiko handelt, die sich durch Wahrscheinlichkeiten beschreiben lassen. (hierauf wird im nächsten Artikel eingegangen)

Unsicherheit als Ausrede:

In den Medien ist es populär geworden, Kursbewegungen an den Kapitalmärkten mit gestiegener oder gesunkener Unsicherheit zu erklären. Manager haben die Rücknahme oder den Aufschub von Investitionsentscheidungen in den vergangenen Jahren oft mit „erhöhter Unsicherheit“ begründet. Wie kann aber der Wert von etwas fallen oder steigen, was man gar nicht mit Zahlen messen kann? Und wieso kann das dann Konsequenzen für Kapitalmärkte haben?

Warren Buffett hat sehr schön in seinem letzten Jahresbericht für Berkshire Hathaway über den Gebrauch des Begriffs „Unsicherheit“ festgestellt:

„Natürlich ist die nahe Zukunft unsicher, Amerika ist mit dem Unbekannten seit 1776 konfrontiert. Nur manchmal fokussieren sich die Menschen auf die Myriade von Unsicherheiten, die immer existiert haben, während sie diese sonst ignorieren (normalerweise, weil dann die jüngste Vergangenheit ereignisarm war).“ [“Of course, the immediate future is uncertain; America has faced the unknown since 1776. It’s just that sometimes people focus on the myriad of uncertainties that always exist while at other times they ignore them (usually because the recent past has been uneventful).”]

Menschen werden sich der Unsicherheit also eher bewusst, wenn sie schwierige Zeiten hinter sich haben. Andernfalls verdrängen sie diese. Dies hat mit einem aus der Behavioral Finance bekannten Phänomen zu tun, dass wir Menschen grundsätzlich Ereignisse aus der unmittelbaren Gegenwart in ihrer Wichtigkeit höher bewerten als in ihrem historischen Kontext. Nach den Aufschwung-Jahrzehnten im vergangenen Jahrhundert (50er und 60er Jahre; bzw. 80er und 90er Jahre) waren die meisten Menschen sorglos und gingen von einem weiteren Wachstum aus. Sie fühlten sich sicher und hatte die Möglichkeiten der Krise verdrängt. Nach den Jahrzehnten wie dem der Ölkrise (70er Jahre) bzw. der Zeit ab 2001 (die von Terrorismus, Krieg und Finanzkrise geprägt war) hingegen waren und sind viele Menschen verunsichert. Sie rechnen mit weiteren Schocks für die Finanzmärkte und einer Fortsetzung der Krisen.

Insofern steigt nach finanziellen Schocks wie einem Börsencrash oder der Finanzkrise das Bewusstsein für die Möglichkeit von Extremereignissen. Die Unsicherheit selbst verändert sich natürlich durch sie nicht. Wenn aber so viel über gestiegene oder gefallene Unsicherheit berichtet wird, muss es einen anderen Grund haben.

Dieser dürfte darin liegen, dass sich Unsicherheit in ihrer Nichtmessbarkeit und Unbestimmbarkeit für eines perfekt eignet: als Ausrede zu dienen. Warren Buffet mokiert sich an anderer Stelle seines Jahresberichtes darüber, dass Unsicherheit von vielen Managern vor allem als Argument genutzt wird, um Entscheidungen zu vermeiden. Und damit trifft er wohl den Kern der Sache: Die Argumentation mit gestiegener oder gefallener Unsicherheit ist in der Regel nur vorgeschoben. Sie hat meist nur den Zweck, zu überdecken, dass man nichts weiß bzw. nichts entscheiden will oder auch über die wahren Beweggründe hierfür keine Auskunft geben mag. Wer mit „erhöhter Unsicherheit“ argumentiert, ist niemals zu widerlegen, da diese ja nicht greifbar ist.

Ähnliches kann man auch für die Verwendung des Begriffs der Unsicherheit in der Presseberichterstattung über Finanzmärkte annehmen: Wenn man eine Kursbewegung kommentieren muss, aber über die eigentlichen Hintergründe nichts weiß, kann man immer argumentieren, dass die Unsicherheit sich verändert hat. Damit ist das Thema Unsicherheit ein fester Bestandteil des „Storytelling“ an Finanzmärkten geworden.

Die vorherige Folge mit dem Thema: “Anlageziele und Risiko” erschien am 27.8.2013 in blickog.com.

Die Reihe: „Die große Risikoverwirrung“ basiert auf einer Artiklelserie, die in „Mit ruhiger Hand“ zwischen Mai und Juli 2013 erschienen ist. Sie wurde für „blicklog“ noch einmal überarbeitet. Die Orginaltexte stehen in einer Sonderausgabe als Download zur Verfügung. Zu diesem Thema haben beide Autoren auch in der Reihe „Karlsdialoge“ ein Gespräch mit Patrick Breitenbach geführt, das als Podcast zum Download zur Verfügung steht.

Quellen: Warren Buffet wurde zitiert nach seinem einleitenden Aktionärsbrief in dem Geschäftsbericht für Berkshire Hathaway 2012 (http://www.berkshirehathaway.com/letters/2012ltr.pdf)

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