Warum gibt es keine Weltzentralbank? Keynes Überlegungen zu einem Weltwährungssystem (II)

by Gastbeitrag on 21. Januar 2014

Dieser Beitrag setzt direkt den 1. Teil fort.

Von Dr. Reinhard Blomert**

Die Clearing Union

Eine Kontrolle grenzüberschreitender Kapitalströme bildete die Voraussetzung für die Erhaltung eines langfristigen Gleichgewichts. Um diese Kontrolle zu gewährleisten, sollte aller Auslandskapitalverkehr über die Zentralbanken laufen. Die Zentralbanken wiederum sollten mit einer Weltzentralbank zusammengeschlossen werden, die die Kapitalströme im Rahmen einer „Clearing Union“ vermittelt. Der Verkehr der Zentralbanken untereinander benötigte eine eigene Transaktionseinheit (virtuelle Währung), die er in seiner Ausarbeitung Bancor nannte. Jedes Land würde seine Währung mit Goldreserven unterlegen und in Bancor umrechnen, um sie dann in die jeweils benötigten Währungen der Länder umzutauschen, mit denen es Handel treibt. Die Goldreserven würden jedoch nicht bei den betreffenden Ländern deponiert, sondern bei der Weltzentralbank. Sie könnten auch nicht wieder eingetauscht werden. Damit bliebe die internationale Währung (Bancor) die einzige Währung, mit der Importe bezahlt werden könnten.

Die Funktionsweise der Clearing Union beschreibt Keynes wie folgt: „Für jeden Mitgliedsstaat wird die Höhe seiner maximal erlaubten Verschuldung gegenüber der Union festgelegt und als seine Quote bezeichnet. Die Anfangsquoten könnten unter Bezugnahme auf die Summe aller Exporte und Importe eines jeden Landes, basierend (beispielsweise) auf dem Durchschnittswert der (letzten) drei Vorkriegsjahre, festgelegt werden.

Die Quote ist dann entweder gleich dem ermittelten Betrag oder sie besteht in einem bestimmten kleineren Anteil dieses Betrages. Sollte diese Formel aus irgendwelchen Gründen (von denen es mehrere geben mag) nicht anwendbar sein, so kann sie durch eine spezielle Bewertung ersetzt werden. Später, nach Ablauf einer Übergangsfrist, sollten die Quoten jährlich überprüft werden, im Einklang mit dem laufenden Durchschnittswert des tatsächlichen Handelsvolumens eines jeden Landes in den vorangegangenen drei Jahren. Dass die Landesquote in erster Linie in Abhängigkeit vom Außenhandelsvolumen bestimmt wird, scheint das sachgerechteste Kriterium zu sein für einen Plan, der sich hauptsächlich mit der Regulierung des Devisenverkehrs und der Außenhandelsbilanz der Länder befasst. Man kann aber noch diskutieren, ob die Formel für die Festlegung der Quoten darüber hinaus noch anderen Faktoren Rechnung tragen sollte.

Eine Gebühr von 1 Prozent pro Jahr soll an den Reserve-Fond der Clearing Union gezahlt werden, und zwar von dem Betrag des Durchschnitts-Saldos eines Mitgliedsstaates, der ein Viertel der Quote des betreffenden Landes übersteigt, gleichgültig, ob es sich um ein Haben- oder Schuldensaldo handelt, und weitere 1 Prozent von dem die Hälfte der Quote übersteigenden Betrag. Daraus ergibt sich, dass nur ein Land, das sich im Jahresdurchschnitt so nahe wie möglich im Zustand einer ausgeglichenen internationalen Zahlungsbilanz hält, dieser Gebühr entgehen kann. Diese Gebühren sind zwar nicht absolut lebenswichtig für das System. Aber wenn sie akzeptiert werden, wären sie ein wertvoller und bedeutsamer Anreiz, um eine ausgeglichene Zahlungsbilanz zu erreichen und auch ein deutlicher Hinweis darauf, dass das System auf überhöhte Guthabenkonten ebenso kritisch blickt, wie auf überhöhte Schulden, die ja tatsächlich beide unvermeidlich miteinander verbunden sind. (…) Ein Mitgliedsstaat darf (…) sein Schuldenkonto innerhalb eines Jahres um nicht mehr als ein Viertel seiner Quote überziehen. Überschreitet sein Debit im Durchschnitt mindestens eines Jahres seine Quote um mehr als ein Viertel, so soll der Kurs der Währung gegenüber dem Bancor herabgesetzt werden, vorausgesetzt, dass die Abwertung 5 Prozent innerhalb eines Jahres nicht übersteigt.

Soll einem Mitgliedsstaat erlaubt werden, sein Schuldenkonto um mehr als die Hälfte seiner Quote zu überziehen, so kann eine bestimmte Abwertung der Währung dieses Mitgliedes erfolgen, falls das als ein sinnvolles Mittel angesehen wird, die Kontrolle seiner Kapitaltransaktionen ins Ausland wiederzuerlangen, und (…) die Herausgabe eines angemessenen Teiles seiner separaten Goldreserven oder anderer liquider Mittel zur Reduzierung seiner Schulden. (…) Gelingt es dem Schuldnerstaat nicht, sein Schuldenkonto innerhalb von zwei Jahren unter die betreffende Marke zu senken, so kann ihn der Vorstand für zahlungsunfähig erklären und ihm die Berechtigung entziehen, sein Konto zu belasten, es sei denn mit der Erlaubnis des Vorstandes.

Jeder Mitgliedsstaat soll sich, wenn er dem System beitritt, damit einverstanden erklären, an die Clearing Union alle Zahlungen zu leisten, die er einem zahlungsfähigen Land schuldet, um damit dessen Schuldenkonto zu entlasten, und er soll auch bereit sein, dieses Abkommen anzuerkennen, falls er selbst in Zahlungsverzug kommen sollte. Ein Mitgliedsstaat, der sich von der Clearing Union zurückzieht, ohne anerkannte Maßnahmen zur Entlastung seines eventuellen Schuldenkontos zu treffen, soll ebenfalls so behandelt werden, als ob er in Zahlungsverzug wäre.

Ein Mitgliedsstaat, dessen Guthaben seine Quote im Durchschnitt mindestens eines Jahres um die Hälfte übersteigt, soll mit den Gremien der Weltzentralbank besprechen (aber die endgültige Entscheidung in seiner Hand behalten), welche Maßnahmen zweckdienlich sein könnten, um das Gleichgewicht seiner Außenhandelsbilanz wiederherzustellen. Hierzu gehören auf der einen Seite Maßnahmen zur Steigerung der Inlandsanleihen und der Inlandsnachfrage und auf der anderen Seite eine Aufwertung seiner Landeswährung gegenüber dem Bancor oder, alternativ dazu, ein Anheben der Geldlöhne.“*

Die Frage, ob das Risiko des Scheiterns eines Handels oder einer Unternehmung eher den Kreditgeber oder den Kreditnehmer treffen soll, beantwortete Keynes also, indem er beide Seiten an den Konsequenzen teilhaben ließ: Sowohl Schuldner als auch Gläubiger sollten darauf achten, ihre Spielräume nicht zu überziehen.

Das Bretton-Woods-System

Da die USA zum Zeitpunkt, als die Einführung dieses Systems diskutiert wurde, jedoch zum größten Gläubigerland mit hohen Exportüberschüssen aufgestiegen war, wundert es nicht, dass der von Keynes vorgeschlagene Plan nicht umgesetzt wurde – hätten die USA doch somit auf den Vorteil ihrer Dollarwährung als Leitwährung verzichten müssen. So war das letztlich umgesetzte Bretton-Woods-Abkommen ein Kompromiss, der schließlich spektakulär in sich zusammenbrach. Die USA hatten sich – vor allem durch den Eintritt in den Vietnamkrieg im Jahr 1964 – bei ihren Partnerländern hoch verschuldet. Das daraus entstehende Leistungsbilanzdefizit konnten sie zwar mit Dollars finanzieren, weil der Dollar eben auch Leitwährung war und deshalb von allen Ländern akzeptiert werden musste. Das aber führte zu einer Unterdeckung des Dollars mit Gold, und das Vertrauen in den Dollar begann zu bröckeln. Als 1966 Frankreichs Präsident Charles de Gaulle den Umtausch seiner Dollars in Gold verlangte – und andere Länder seinem Beispiel folgen wollten – befeuerte dies den Vertrauensverlust zusätzlich. Als der Internationale Währungsfonds dann 1970 die Sonderziehungsrechte (SZR) als künstliche Währung einführte, um die Abhängigkeit vom Dollar zu reduzieren, war es eigentlich schon zu spät: Die Kopplung des Dollar an den Goldstandard wurde 1971 abgeschafft, und das Bretton-Woods-System brach zusammen. Mit dem Ende des Bretton-Woods-Abkommens öffneten die Devisenmärkte und das Auf und Ab der Wechselkurse begann.

Leistungsbilanz: Die Leistungsbilanz umfasst alle Ausgaben und Einnahmen einer Volkswirtschaft, das heißt nicht nur die Handelsbilanz, sondern unter anderem auch den Bereich der Dienstleistungen, die Erwerbs- und Vermögenseinkommen (zum Beispiel Arbeitsentgelte, Kapitalerträge) sowie Heimatüberweisungen im Ausland tätiger Arbeitnehmer und Entwicklungshilfezahlungen. Ein Leistungsbilanzdefizit liegt dann vor, wenn die Importe die Exporte übersteigen – diese negative Bilanz wird üblicherweise durch die Neuaufnahme von Krediten finanziert.


* Zitiert wurde die Übersetzung von Werner Liedke. In: Stefan Leber: Wesen und Funktion des Geldes (Verlag Freies Geistesleben, 1989, S. 325–349). Im Internet in der Serie Postwachstumsökonomie der Universität Oldenburg: http://www.postwachstumsoekonomie.org/html/keynes_bancor-plan.html


** Dr. Reinhard Blomert ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung und Redakteur der Zeitschrift Leviathan. Der Beitrag ist in Ausgabe 1/2014 der  agora42, das philosophische Wirtschaftsmagazin erschienen, die den Titel Veränderung trägt. Der Beitrag erscheint hier mit Genehmigung des Verlages und des Autors.

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