Max Tegmark ist ein bekannter Kosmologe am Massachusetts Institute of Technology (MIT), der nach einem Medienbericht einst das Studium der Wirtschaftswissenschaften hingeworfen hatte. Er fand es abstoßend, wie sehr sich die Ökonomen der Politik anbiederten. Stattdessen verschlug es ihn in die theoretische Physik, wo er wohl eine vorurteilsfreiere Form der Wissenschaft zu finden hoffte[1].
Längst nicht alle Naturwissenschaftler äußern sich so abfällig über die Ökonomie. Ein sehr bekannter Naturwissenschaftler, dessen Werke ich leider erst im vergangenen Jahr kennen und schätzen gelernt habe, ist Edward O. Wilson. Immer wenn ich ein wenig mehr Zeit finde, schreibe ich an einer Beitragsreihe, die durch sein jüngstes Buch “Die soziale Eroberung der Erde: Eine biologische Geschichte des Menschen” motiviert ist. Darin stellt Edward O. Wilson ein erweitertes biologisches Modell der Evolution des Menschen vor, das sich nach meiner Ansicht gut für die Fundierung ökonomischer Fragen eignet.
Cord Riechelmann schreibt auf Cicero über Edward Osborne Wilson: Er „ist neben Richard Dawkins der bekannteste lebende Biologe der Welt. Die beiden gehören zu jenen Biologen, die Mitte der 1970er-Jahre zum Angriff auf die Sozial- und Geisteswissenschaften bliesen. Wilsons „Sociobiology“ und Dawkins’ „The Selfish Gene“, deutsch: „Das egoistische Gen“, fußten auf der Behauptung, dass sich alle menschlichen Verhaltensweisen auf biologische Wurzeln zurückführen lassen.“[2]
Wenn man beginnt sich mit Wilson und evolutionsbiologischen Fragen zu befassen, dann gerät man fasst automatisch zu einem ebenfalls sehr bemerkenswerten Werk, das Wilson Ende der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts geschrieben hat: “Die Einheit des Wissen”.
Die Einheit des Wissens
Das leider vergriffene Buch wird als breitgefächerte Studie bezeichnet, mit der Wilson alle Wissenschaftler ermutigt, die Kluft ihrer Spezialgebiete zu überbrücken. Guido O. Kirner bezeichnet in seiner Rezension das Buch als mutig, “weil jemand den viel zu seltenen Versuch gewagt hat, ein über sein eigenes Spezialgebiet hinausgehendes und auch für den naturwissenschaftlichen Laien verständliches Buch zu schreiben, dabei in neueste Forschungsbereiche einführt, ohne dass man den Eindruck gewinnt, mit populärwissenschaftlichen Plattheiten abgespeist zu werden.”[3]
Natürlich kann Wilson in dem Buch nicht in die Tiefe jeder Wissenschaft einsteigen. Er arbeitete darin aber eine Kritik der Sozialwissenschaften und vor allem der Ökonomie heraus, die ich bemerkenswert stimmig und vor allem immer noch aktuell finde.
Angesichts der breiten Diskussion um die “Krise der Wissenschaftlichen Ökonomie” halte ich Wilsons Beitrag von 1998 nicht nur für wertvoll, sondern weiter für aktuell. Für einen Naturwissenschaftler fällt seine Kritik an einem Gebiet, das nicht zu seiner Kernkompetenz zählt, präziser aus als die Kritik vieler “Experten” der Ökonomie. Aber Wilson kritisierte nicht mit Häme, sondern zeigte schon damals den Sozialwissenschaften und seiner “Königsdisziplin” (Wilson) Wege zur Verbesserung. Und immerhin haben mittlerweile einige Ökonomen diese von Wilson aufgezeigten Wege betreten.
Erwartung an die Sozialwissenschaften
Die Menschen erwarten von den Sozialwissenschaften, zu denen er auch die Ökonomie zählt, ihnen Kenntnisse vermitteln, die ihnen helfen, ihr Leben zu verstehen und ihre Zukunft zu kontrollieren. Sie wollen in der Lage sein,, Dinge vorauszusehen und wissen, was geschieht wenn die Gesellschaft einer bestimmten Handlungsweise den Vorzug vor einer anderen gibt.[4] Weiter schreibt Wilson:
“Wie die Mediziner, so können auch die Sozialwissenschaftler aus einem riesigen Fundus an Fakten schöpfen, für deren Analyse ihnen ein ganzes Arsenal hochentwickelter statistischer Techniken zur Verfügung steht. Und auch intellektuell sind sie ebenso fähig. Viele der führenden Sozialwissenschaftler werden daher behaupten, daß alles zum Besten stehe und ihre Disziplinen mehr oder weniger auf der richtigen Spur seien. Doch selbst bei oberflächlicher Betrachtung wird deutlich, daß ihre Bestrebungen von Uneinigkeit und einem Mangel an Vision unterlaufen werden. Die Gründe dafür treten immer klarer zutage. Das Gros der Sozialwissenschaftler verabscheut die Vorstellung einer hierarchischen Strukturierung des Wissens.”[5]
Ich habe mich in die Anfang der 2000er Jahre stattgefundenen Diskussionen für und wider Wilsons Kritik nicht hinein gekniet. Aber gerade mit Blick auf die Diskussionen um die Ausrichtung der Ökonomie seit der Finanzkrise 2007 lag Wilson mit seiner Kritik an der Ökonomie sehr dicht an dem, was mittlerweile auch viele Ökonomen selbst einräumen. Er widmet allein der Ökonomie und Vorschläge zur Weiterentwicklung der Ökonomie 20 Seiten, die ich jedem Ökonomen empfehlen würde.[6]
Wilson findet in seinem Buch die “Einheit des Wissen” zunächst einmal Lob für die Ökonomie. Er hält sie für die sozialwissenschaftliche Disziplin, die sich am besten zur Überbrückung des Grabens zu den Naturwissenschaften eignet, weil sie ihren in Stil und Selbstvertrauen am ähnlichsten ist. Er findet sogar, dass die Ökonomie verdient den Titel “Königin der Sozialwissenschaften” trägt. Allerdings schränkt er das sogleich wieder ein, denn die oberflächliche Ähnlichkeit mit einer “wirklichen Wissenschaft” sei zu einem hohen intellektuellen Preis erkauft worden[7].
Respekt für die Neoklassik
Wilson erweist der neoklassischen Modellkonstruktion wegen ihrer mathematischen Exaktheit seinen Respekt. Anfang der dreißiger Jahre begannen Theoretiker die ökonomische Welt mit Hilfe von linearer Planungsrechnung, Spieltheorie und anderen erfolgreichen mathematischen und statistischen Techniken in immer feineren Details zu simulieren. Darin, so Wilson, “liegen sowohl die Stärken als auch die Schwächen der heutigen theoretischen Ökonomie. Ihre Stärken haben bereits Legionen von Theoretikern und Journalisten gefeiert.” Deshalb konzentriert er sich auf die Schwächen, die er in zwei Worten zusammenfasst: newtonisch und hermetisch. Weiter schreibt er:
“Newtonisch, weil Ökonomen nach einfachen, allgemeinen Gesetzen suchen, die alle nur erdenklichen wirtschaftlichen Arrangements abdecken. Universalität ist ein logisches und nachvollziehbares Ziel, allerdings sorgen die dem Menschen angeborenen Verhaltensweisen dafür, daß nur ein verschwindender Teil solcher Arrangements wahrscheinlich oder überhaupt möglich ist. Genauso wenig wie die Grundgesetze der Physik ausreichen, um ein Flugzeug zu bauen, reichen die allgemeinen Bauteile der Gleichgewichtstheorie aus, um sich ein optimales oder gar stabiles Wirtschaftssystem vorstellen zu können. Außerdem sind diese Modelle hermetisch, weil sie die Komplexitäten des menschlichen Verhaltens und der umweltbedingten Zwänge nicht in Rechnung stellen. Daher haben die Ökonomen trotz der unbestreitbaren Genialität vieler Theoretiker auch nur so wenige Erfolge, aber um so mehr peinliche Mißerfolge bei der Voraussage der ökonomischen Zukunft vorzuweisen.”[8]
Interessant ist aber, dass Wilson nicht fordert, sich zugunsten von Intuition und Deskription von mathematischen Modellen zu verabschieden. Modelle haben in Naturwissenschaften den Vorteil, “daß sie den Forscher zu eindeutigen Definitionen von bestimmten Einheiten wie Atomen und Genen und von bestimmten Prozessen wie Mobilität und Wandel zwingen. Richtig geplant, läßt ein Modell keinerlei Zweifel an seinen Prämissen. Es integriert die wichtigsten Faktoren und bietet die Möglichkeit, deren Interaktionen konkret einzuschätzen. Im Rahmen dieser selbstauferlegten Beschränkungen kann der Forscher nun Voraussagen über die reale Welt treffen – natürlich je präziser, desto besser. Anschließend setzt er sein Denkkonstrukt der Überprüfung anhand der Beweise aus. Es gibt nichts Provokanteres in der Wissenschaft als eine klar definierte und überraschende Voraussage, und nichts verschafft mehr Ruhm als eine Voraussage, die im Detail bestätigt werden konnte.”[9]
Da die Kritik Wilsons etwas differenzierter ausgefallen ist, verteile ich das auf mehrere Beiträge. Nächste Woche setze ich mit einem Modelltest fort, den die Ökonomie nur unzureichend besteht.
PS
Bei der Gelegenheit kann ich auf die “International Student Initiative For Pluralism In Economics” hinweisen, über die vergangene Woche das Handelsblatt in “Studenten protestieren gegen ökonomische Lehre” schrieb”. Die Initiative wendet sich gegen die “besorgniserregende Einseitigkeit der Lehre, die sich in den vergangenen Jahrzehnten dramatisch verschärft hat. Diese fehlende intellektuelle Vielfalt behindert uns im Umgang mit den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts – von Finanzmarktstabilität bis zum Klimawandel. “
[1] Johann Grolle, Unser Universum, ein Sandkorn am Strand, Spiegel Online am 21.04.2014
[2] Cord Riechelmann, Dem Menschen kein Wolf, Cicero Online am 11.04. 2013
[3] Guido O. Kirner, E. O. Wilson: Die Einheit des Wissens, in: H-Net Reviews, November 1998, S. 2. Eine ganz andere Sichtweise vertritt das Feuilleton der FAZ. Vgl. “Ich versteh´ von allem was”, FAZ Online v. 1.12.1998.
[4] Edward O. Wilson, Die Einheit des Wissens, 1998, Taschenbuchausgabe 2000, S. 243.
[5] Edward O. Wilson, Die Einheit des Wissens, 1998, Taschenbuchausgabe 2000, S. 244. Wilson vertieft die Kritik in Kapital 9 seines Buchs.
[6] Wilson beschäftig sich mit der Ökonomie auf den Seiten 261 bis 280 in Die Einheit des Wissens, 1998, Taschenbuchausgabe 2000
[7] Edward O. Wilson, Die Einheit des Wissens, 1998, Taschenbuchausgabe 2000, S. 261.
[8] Edward O. Wilson, Die Einheit des Wissens, 1998, Taschenbuchausgabe 2000, S. 263 f.
[9] Edward O. Wilson, Die Einheit des Wissens, 1998, Taschenbuchausgabe 2000, S. 264 f.
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