Burn Baby, burn: Nörgeln am Start-up-Boom

by Dirk Elsner on 6. Oktober 2014

Vergangene Woche betitelte das Handelsblatt einen Beitrag über Startups in der Printausgabe mit “Burn, Baby, burn”. Darin ging es um die neue Gier nach Aktien, die neuen Hoffnungen der Internetindustrie und angeblichen Blasen, die sich wieder an den Kapitalmärkten bilden. Darin konnte man u.a. lesen:

“Die Gierigen sitzen in der Internet-Industrie, in Ihren Ecken und Nischen und Bürofluchten, wo Big Data als Verheißung und die Erstnotierung an der Wall Street oder in Frankfurt als Erfüllung gilt. Diesen Gierigen gehören Start-ups, die Wunderbares über die Zukunft versprechen, den irdischen Nachweis nachhaltiger Gewinne aber aussparen. Diese Gierigen lenken Beteiligungsfonds oder sind Venture Capitalists, die auf den ganz großen Hebel hoffen, auf eine Rendite der Extraklasse mit Neulingen der Branche. Hauptsache etwas mit Internet, dem großen digitalen Ding.”

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Eine brennende Kerze kann Feuer entfachen, ist aber meist ungefährlich

In der Folge vergleichen die Autoren (und viele andere), den aktuellen Hype um Börsengänge wie Alibaba, Zalando und Rocket Internet mit der Zeit vor der 2000 geplatzten Internet-Blase. Es werde wieder viel Geld verbrannt. Dieser und viele andere Beiträge suggerieren, dass wir uns heute genau an der gleichen Stelle befinden: Neuer Markt 2.0.

Jetzt könnte man hier in die Analyse einsteigen und zunächst überlegen, welche Merkmale man aus der damaligen Zeit mit der heutigen Zeit vergleicht. Da wird man Parallelen und Unterschiede nach dem Motto, diesmal ist alles anders entdecken. Aber ich halte von dieser Einzelanalyse nichts.

Tatsächlich weiß niemand, ob wir uns in einer solchen Blase befinden. Analogien und historische Vergleiche haben in der Ökonomie noch nie besonders gut funktioniert. Hier werden nur mehr oder weniger gute Geschichten erzählt, die zu vergangenen Erfahrungen passen mögen, die viele von uns glauben zu kennen.

Ich habe es schon oft geschrieben und wiederhole es hier gern: Wir neigen insbesondere in der Ökonomie dazu Geschichten (Narrationen) zu folgen, deren Zusammenhänge wir zu kennen glauben. Daniel Kahneman schreibt dazu in Anlehnung an Talebs narrative Verzerrung (narrative fallacy) in seinem Buch “Schnelles Denken, langsames Denken” (S. 248):

“Narrative Verzerrungen gehen zwangsläufig aus unserem anhaltenden Bestreben hervor, die Welt zu verstehen. Die erklärenden Geschichten, die wir überzeugend finden, sind einfach; sie sind eher konkret als abstrakt und schreiben Begabung, Dummheit und Absichten eine größere Bedeutung zu als Glück. Sie konzentrieren sich auf ein paar markante Ereignisse, die geschehen sind, und nicht auf die zahllosen Ereignisse, die nicht geschehen sind. Jedes hervorstechende Ereignis aus jüngerer Zeit kann zum Kern einer kausalen Erzählung werden. Taleb behauptet, wir Menschen würden uns ständig selbst beschwindeln, indem wir fadenscheinige Berichte über die Vergangenheit konstruieren und sie für wahr halten.”

Gute Erzählungen versuchen wir im Lichte unseres Wissens zu verstehen. Wir fördern damit die Illusion der Zwangsläufigkeit. Das trägt dazu bei, eine verderbliche Illusion aufrechtzuerhalten. “Der Kern dieser Illusion besteht darin, dass wir glauben, die Vergangenheit zu verstehen, woraus folgt, dass auch die Zukunft erkennbar sein sollte. In Wirklichkeit aber verstehen wir die Vergangenheit in geringerem Maße, als wir glauben.” (S. 250).

Aus meiner Sicht hat es überhaupt keinen Wert, von einer Blase im Startup-Sektor zu sprechen. Was wir beobachten ist eine stärkere Bereitschaft, wieder Risiken einzugehen. Die Samwer-Brüder riefen mit ihren Börsengängen der vergangenen Woche sehr risikobereites Kapital ab. Daran ist nichts verwerflich. Im Gegenteil, wir brauchen solches Kapital für Investitionen in neue oder die Verbesserung bestehender Geschäftsfelder.

Wir beklagen auf der einen Seite die mangelnde Investitionsneigung der traditionellen Industrie und Unternehmen in Europa und kritisieren den Boom der Start-up-Finanzierung? Da passt etwas nicht zusammen, zumal immer wieder gejammert wird, in Deutschland werden zu wenig Unternehmen gegründet. Manchmal hätte ich gern gewusst, wie eigentlich die ideale ökonomische Welt der ständigen Nörgler aussieht. Ich werde es nie erfahren, denn sie haben keine Vorstellung davon. Ihnen geht es darum Geschichten über Warnungen und Exzesse zu erzählen.

Vergleiche der Börsengänge von Gesellschaften wie Rocket Internet, Zalando und Co. mit der Zeit des Neuen Marktes sind gute Anekdoten. Es kann ganz unterschiedliche Entwicklungen für diese Gesellschaften geben, darunter sind auch Szenarien vorstellbar, bei denen die neuen Aktionäre viel Geld verlieren. Daher sollten ja auch nur diejenigen sich mit solchen Aktien beschäftigen, die etwas von Risiko bzw. besser Ungewissheit verstehen. Im Gegensatz zum Risiko existieren für ungewisse Situationen keine Methoden für objektive Eintrittswahrscheinlichkeiten, da ihr Auftreten einzigartig ist und es zu wenig Erfahrungswerte gibt*.

Ich habe oft genug an anderen Stellen geschrieben, dass irgendwo immer einer warnt und mahnt und irgend jemand wird dann auch einmal richtig damit liegen. Aber wie sähe unsere Ökonomie aus, wenn wir ständig auf die Mahner hören würden? Und auf welche Mahner sollte man hören?

Natürlich können die Aktien von Zalando und Rocket Internet implodieren. Das deutete sich letzte Woche bereits an. Ich selbst war ebenfalls skeptisch (hier Zalando und hier Rocket), was die hohe Bewertungen dieser Werte betrifft. Aber Marktwirtschaft funktioniert so. Jemand ruft einen Preis aus, manche akzeptieren ihn, andere nicht. Feingold Research schrieb vergangene Woche zum verpatzten Börsenstart, dass die ersten Kurse die Euphorie gedrückt haben und das womöglich zur richtigen Zeit.

Dem kann ich gut zustimmen. Aber uns helfen die Vergleiche mit anderen Zeiträumen und Ereignissen in der Wirtschaftsgeschichte nicht. Wir müssen viel eher auf die aktuellen Risiken bzw. besser Ungewissheiten achten und schauen, dass uns hier keiner zu Muppets macht. Unnütze Analogien zur Vergangenheit vernebeln hier nur den Geist.


* Siehe dazu Lukas Boeckelmann / Stormy-Annika Mildner, Unsicherheit, Ungewissheit, Risiko. Genau genommen sprechen wir in der ökonomischen Praxis stets von Ungewissheit, nie von Risiko, selbst wenn wir (und ich auch) diesen Begriff verwenden.

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