Da hat Christopher Mims vergangene Woche im Wall Street Journal ja mal einen Satz rausgehauen, den vielleicht manch einer in der Finanzbranche mit etwas Schadenfreude gelesen haben mag: „Tech ist das neue Finance“ in Bezug auf die „Skrupellosigkeit“ einer Branche.
Mims schreibt in seinem Beitrag über den schmutzigen Kampf der Tech-Branche am Beispiel des schwer in die negativen Schlagzeilen geratenen Fahrdienstes Uber (siehe dazu zuletzt “Uber dreht – App-Industrie gerät unter Druck”). Er hält dabei fest, dass Uber längst nicht das erste Tech-Unternehmen ist, das mit zweifelhaften Methoden versucht, sich von den Wettbewerbern abzusetzen.
Zunächst Spießer, dann skrupellos: Walter White
Er erinnert dann an die Datenschutzprobleme, mit denen Uber zu kämpfen hat und knüpft an interne Dokumente an, die zeigen sollen, dass Uber als Mitarbeiter „grimmige“ Persönlichkeiten sucht, die „alles tun, was nötig ist, um Uber zum Erfolg zu führen“. Und dann folgt der Absatz mit dem Vergleich zur Finanzbranche:
„Tech ist das neue Finance“, sagen nun viele Branchenkenner, die vielleicht gar nicht erkennen, wie sehr das zutrifft. Die Finanzwelt ist nun mal voll von Unternehmen, die Anreize haben, sich schlecht zu verhalten. Beaufsichtigt werden sie von mächtigen staatlichen Institutionen, die sie an der Leine halten sollen.”
Business Insider hatte in der letzten Woche schon vorgelegt mit dem Artikel: “Why ‚Arrogant Jerks‘ Become Rich And Successful In Silicon Valley”.
Nicht anders ist dies in Teilen der Finanzbranche. Dort hatten in der Vergangenheit (und vielleicht heute immer noch) Menschen Möglichkeiten in zahlreichen Geschäftsbereichen für sich ausgenutzt. Markus Diem Meier stellt dazu im Blog Never Mind the Markets eine in der Öffentlichkeit inmho fehlinterpretierten Studie der Uni Zürich richtig:
“Was die Ökonomen mit ihrem Experiment zeigen, ist allerdings nicht, dass Banker als Menschen besonders unmoralisch handeln. Gemäss der Studie ist es gerade umgekehrt: Menschen, die sich gewöhnlich moralisch verhalten, handeln deutlich unmoralischer, wenn sie dies als Banker tun.”
Bevor jetzt wieder jemand in den Empörungsmodus schaltet wegen der bösen Techies und der fiesen Banker, würde ich eher dafür plädieren, dies nicht zu hoch zu hängen. Die Wirtschaftsgeschichte ist voll mit knallharten Methoden, mit denen sich Unternehmen nach vorne schieben. Ganz oben stehen Persönlichkeiten wie Bill Gates und Steve Jobs, die stets die Grenzen des persönlich und rechtlich machbaren ausloteten. Im Gegensatz zu Dick Fuld, dem letzten Chef von Lehman Brothers, sind Jobs und Gates aber keine Risiken eingegangen, die am Ende zu einer staatlichen Rettung hätten führen können.
Hier passt ein Zitat von Ortwin Renn aus dem Buch “Das Risikoparadox”. Er schreibt (Pos 6070).
“In jeder Gesellschaftsform und in jeder historischen Situation hat es diese Bandbreite an Charaktereigenschaften im Guten wie im Schlechten gegeben. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass die heutige Generation moralisch schlechter einzustufen wäre als alle Generationen zuvor. Wie so oft ist auch dieses Merkmal in der Population mehr oder weniger normal verteilt. Es gibt Abweichler nach unten und nach oben. Mit einer solchen Bandbreite an Charaktereigenschaften werden wir heute und in Zukunft leben müssen.”
Die meisten Menschen sind von einer inneren Sehnsucht nach “Fairness” erfasst. Diese Sehnsucht ist u.a. von dem Grundsatz geprägt, die Schwäche oder die Unwissenheit Anderer nicht für den eigenen Vorteil auszunutzen. Aber die Erfahrung lehrt, dass in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft es stets einige Personen und Institutionen gibt, die sich dies- und jenseits geschriebener Regeln individuelle Vorteile verschaffen, die über das akzeptierte Maß deutlich hinausgehen. Zwar führen besonders krasse Missbräuche zur Nachjustierung kodifizierter Regeln, dennoch bleibt der Beigeschmack, dass “clevere Player” stets wissen, wie sie sich Vorteile zu Lasten anderer verschaffen können.
Einen noch weiteren Blick bietet der Evolutionsforscher Edward O. Wilson in seinem Buch “Die soziale Eroberung der Erde: Eine biologische Geschichte des Menschen”, das zu Pflichtlektüre für alle Ökonomen werden sollte:
“Kurz gesagt, die Natur des Menschen ist ein endemisches Getümmel, das in den Evolutionsprozessen wurzelt, aus denen wir hervorgegangen sind. In unserer Natur existiert das Schlimmste neben dem Besten, und das wird immer so bleiben. Wollten wir es entwirren (wenn das überhaupt möglich wäre), so wären wir keine Menschen mehr.” (Position 881 in der Kindle-Version)
Überall dort, wo Gelegenheiten bestehen, gibt es also Personen, die das Bedürfnis nach Fairness (aus-)nutzen. Die Anreize dazu bestehen nicht nur theoretisch, sondern sind reale Gewissheit. Andernfalls bräuchten wir kein so kompliziertes Rechtssystem, Wirtschaftsprüfer oder so etwas wie Kreditsicherheiten, Garantien oder viele andere Institutionen, die letztlich dazu dienen, uns vor unfairem Verhalten zu schützen. Ich habe das ausführlich in meiner Beitragsreihe “Ist Fairness nur für Muppets?” beleuchtet.
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