Double Whammy Teil 3 – Besteuerungszeitpunkt bei der Abgeltungsteuer und Zuschläge: kleine Ursache, große Wirkung

by Karl-Heinz Thielmann on 20. Mai 2015

Fortsetzung des Beitrags vom 18. Mai.

 

Intuitiv vermuten Anleger, dass sich die Zuschläge auf die Kapitalertragsteuer wie Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag kaum auf die Endrendite auswirken, da sie ja augenscheinlich nur eine Zusatzbelastung von maximal 3% bedeuten. Weiterhin neigt sie dazu, den Zinseszinseffekt einer Anlage zu unterschätzen, der durch eine frühzeitige Besteuerung der Kapitalerträge vermindert wird.

Wie schon die angesprochenen Beispiele zeigen, können beide Effekte in Zusammenhang mit der Geldentwertung betrachtet eine stark renditemindernde Wirkung haben, gerade bei höheren Inflationsraten. So kann man selbst für einen einheitlichen Abgeltungsteuersatz und bei konstanter Inflationsrate unterschiedliche Renditen bekommen, je nachdem, wann besteuert wird und wie hoch die Zuschläge sind.

Um dies zu verdeutlichen, werden hier zwei Szenarios für eine Kapitalanlage verglichen, die mit einem Abgeltungsteuersatz von 25% belegt ist: 1) ein Szenario maximaler Belastung, bei dem die Erträge laufend besteuert werden sowie Solidaritätszuschlag und der höchstmögliche Kirchensteuersatz erhoben wird; sowie 2) ein Szenario minimaler Belastung, bei dem die Abgeltungsteuer von 25% am Ende der Laufzeit ohne Zuschläge erhoben wird. Die Analyse ist hier auf eine Laufzeit der Anlage von 10 Jahren beschränkt, da die Ergebnisse für längere Laufzeiten nur minimal abweichen.

Ist das Anlageziel Werterhalt, so benötigt man bei 2% Inflation p.a. im Szenario minimaler Belastung mindestens 2,65% nominale Rendite jährlich, um dies zu erreichen. Beim Szenario maximaler Zuschläge sind schon schon 2,83% p.a. nominaler Rendite nötig, um nach Abzug aller Belastungsfaktoren die Kaufkraft zu erhalten. Bei 3,5% jährlicher Geldentwertung benötigt man bei minimaler Belastung 4,62% nominale Rendite p.a.; bei maximaler Belastung 5,03% p.a. Die Differenz ist also bei einer höheren Inflationsrate deutlich größer.

Für ein Anlageziel von 1% realer Rendite jährlich ist bei einer Inflationsrate von 2% p.a. notwendig, dass bei maximaler Belastung eine nominale Rendite von 4,25% jährlich erzielt wird. Bei minimaler Belastung reichen 3,92% p.a. aus. Bei 3,5% Inflation müssen bei maximaler Belastung nominal 6,47% jährlich erwirtschaftet werden, um 1% reale Rendite zu erreichen. Bei minimaler Belastung sind nominal nur 5,88% p.a. notwendig. Steigen die Zielvorgaben für die reale Rendite, weiten sich auch die Differenzen in den Anforderungen an die nominale Rendite aus. In letztem Beispiel ergibt sich alleine aus den geringen Zuschlägen und unterschiedlichen Besteuerungszeitpunkten eine Anforderung an die nominale Renditedifferenz von fast 60 Basispunkten jährlich.

Fazit: Die Abgeltungsteuer ist kein Beispiel für Steuerehrlichkeit beim Staat

Selbst eine geringe Inflation von 2% p.a. – die von der Notenbank offiziell als Preisstabilität bezeichnet wird – hat im Zusammenwirken mit der Abgeltungsteuer eine sehr negative Wirkung auf die reale Rendite von Kapitalanlagen, die den meisten Investoren nicht bewusst ist.

Ausschlaggebend hierfür ist, dass die Abgeltungsteuer als Bemessungsgrundlage nicht den realen Wertzuwachs, sondern den nominalen Wertzuwachs nimmt. Somit wird der Anteil der nominalen Rendite besteuert, der dem Inflationsausgleich dient, ohne wirklich ein Wertzuwachs zu sein. Dieser negative Effekt wirkt sich umso stärker aus, je:

  • höher die Inflationsrate ist;
  • geringer die die nominalen Erträge im Verhältnis zum eingesetzten Kapital sind;
  • stärker die Kapitalerträge laufend besteuert werden und nicht am Schluss.

Der Staat fordert vom Bürger Steuerehrlichkeit. Wenn man sich aber die Wirkung der Abgeltungsteuer ansieht, muss man feststellen, dass diese staatlicherseits eine zutiefst unehrliche Steuer ist. Dies liegt zum einen daran, dass der Staat mit der Abgeltungsteuer teilweise einen fiktiven Wertzuwachs besteuert, den es real gar nicht gegeben hat. Dem Bürger wird vorgegaukelt, dass 2% Inflation p.a. und nicht 0% p.a. Preisstabilität bedeutet. Diese im praktischen Leben kaum wahrnehmbare Differenz hat aufgrund der Konstruktion der Abgeltungsteuer die Konsequenz, dass Kapitalerträge nicht wie vorgegeben mit 25% bis ca. 28% belastetet werden, sondern mit 40% bis über 100%.

Weiterhin ist unehrlich, wenn mit einem einheitlichen Steuersatz für alle Kapitalerträge suggeriert wird, dass die Besteuerung gleichmäßig und gerecht ist. Tatsächlich ist genau das Gegenteil der Fall: Wie die Fallbeispiele zeigen, ist die reale Belastung für den Anleger höchst ungleich. Da sie zudem von der Inflation abhängt, die nicht genau prognostizierbar ist, ist sie nur ungenau kalkulierbar. Insbesondere unberechenbar ist die tatsächliche Belastung im Bereich niedriger nominaler Renditen, da hier der Inflationsausgleich als Komponente der Rendite relativ bedeutsam ist: Hier ist die Teilwirkung der Abgeltungsteuer als indirekte Substanzsteuer besonders relevant. Auch nur geringe Veränderungen der Inflation haben erhebliche Auswirkungen auf die reale Rendite.

Geschädigt werden hierdurch gerade die Inhaber niedrig verzinster Geldanlagen wie Sparbüchern, Bundesanleihen und anderen festverzinslichen Renten hoher Bonität. Diese akzeptieren im Vertrauen auf Sicherheit selbst in normalen Zeiten relativ niedrige Zinsen, nicht nur in der heutigen Niedrigzinsphase. Wenn man bedenkt, dass speziell in Deutschland die Geldvermögensbildung vorwiegend über diese relativ niedrig verzinslichen Finanzprodukte erfolgt, so kann man durchaus sagen, dass die Mehrzahl der Anleger im Laufe der Zeit schleichend enteignet wird.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Abgeltungsteuer unter Einbeziehung der Inflation in der derzeitigen Form in vielfacher Hinsicht diskriminierende Wirkungen hat und zu Verzerrungen führt:

  • Kapitalerträge werden gegenüber anderen Einkommensformen benachteiligt.
  • Kapitalerträge aus Wertpapieren sind gegenüber Wertgewinnen aus Immobilien schlechtergestellt.
  • Inhaber von nominal niedrigrentierlichen Wertpapieren werden gegenüber Besitzern von hoch rentablen Anlagen benachteiligt, da bei ihnen der Inflationsausgleich als Renditekomponente relativ gesehen am wichtigsten ist.
  • Sozial schwache und in finanziellen Dingen wenig gebildete Kleinanleger werden gegenüber bereits vermögenden und finanziell gebildeten Investoren diskriminiert, die vorwiegend in Immobilien und Aktien anlegen.
  • Deutsche und österreichische Kapitalanleger sind gegenüber Anlegern in praktisch allen anderen großen Wirtschaftsnationen stark benachteiligt, bei denen langfristige Kapitalerträge steuerlich begünstigt oder sogar ganz von der Steuer befreit sind.

In den Medien wird gerne beklagt, dass wir in Deutschland keine „Aktienkultur“ haben. Die Abgeltungsteuer und ihre weitgehende Akzeptanz ist eher ein Beispiel dafür, dass es keinerlei Kapitalmarktkultur im Allgemeinen gibt. Die „Fach“-Diskussion während und nach der Einführung der Abgeltungsteuer offenbarte nicht nur schwere Mängel in der deutschen Rechtschreibung (fast durchgängig hat sich eine falsche Schreibweise eingebürgert, und zwar mit „ss“ als Abgeltungssteuer).

Weiterhin zeigte sie ein grundlegendes Unverständnis bei vielen sogenannten Kapitalmarktexperten über die Zusammenhänge von Inflation, Kapitalerträgen und Besteuerung. Volker Looman von der FAZ war 2007 und 2008 einer der wenigen Fachjournalisten, der in seinen Analysen mehrfach feststellte, wie verheerend sich die Kombination aus Inflation und Abgeltungsteuer auf langfristige Renditen auswirken muss. Leider wurde er weitgehend ignoriert.

Geradezu widersinnig war, dass speziell „Rentenmarktexperten“ die Abgeltungsteuer begrüßten und Anleihebesitzer als Gewinner präsentierten. Begründung war, dass Aktionäre gegenüber einem vorherigen Zustand mit Steuerfreiheit für langfristige Kapitalgewinne schlechtergestellt wurden. Anleihebesitzer deswegen zu relativen Gewinnern zu erklären, war dennoch falsch. Denn ihnen wurde jede realistische Möglichkeit genommen, zumindest mittels geringer steuerfreier Kapitalgewinne der Inflation wenigstens etwas entgegenzusetzen, etwa durch Anleihen mit niedrigem Nominalzins.

Symptomatisch für diese oberflächliche Sichtweise ist folgendes Zitat aus Banktip.de von 2006 eines Leiters der Researchabteilung für Volkswirtschaft und Rentenmärkte bei einer Landesbank: „‘Für Anleihebesitzer ist die Reform nicht so gravierend wie für andere Investoren ‘“.Weiter heißt es: „Auch nach Einschätzung anderer Finanzexperten werden die Hauptbetroffenen der Abgeltungsteuer wohl die Aktionäre sein, die in viel umfassenderem Maße steuerpflichtig würden.“ Unter Berücksichtigung der Kaufkraftverluste durch Inflation ist genau das Gegenteil richtig.

Abstrus erscheint bei gedanklicher Einbeziehung der Inflation das vielfach vorgebrachte Argument, dass die derzeitige Form der Abgeltungsteuer Kapitaleinkommen bevorzugt und das Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit unterminiert, da sie mit 25% deutlich niedriger sei als der Spitzensteuersatz von 42% (bzw. 45% bei einem „Reichenzuschlag“ ab 250.731 € Jahreseinkommen). Vor der letzten Bundestagswahl wurde sogar von vielen Politikern eine Erhöhung auf 32% ins Gespräch gebracht. Tatsächlich führt Inflation dazu, dass die reale Belastung durch die Abgeltungsteuer für die meisten Anleger – auch Geringverdiener – deutlich über dem Spitzensteuersatz liegt.

Das Bundesverfassungsgericht hat in der Vergangenheit das „Nominalwertprinzip“ bei der Besteuerung bestätigt, also die Nichtberücksichtigung der Geldentwertung bei der Festlegung der Steuerlast. Begründung war, dass eine Inflationsbereinigung anhand einer Indexierung o. Ä. kaum praktikabel ist und unabsehbare Auswirkungen auf das Wirtschaftssystem haben könnte. In Abwägung der verschiedenen Interessen hat sich das Verfassungsgericht auf den Standpunkt gestellt, dass der Schutz der Gesamtwirtschaft vor eventuellen inflationären Kettenwirkungen Vorrang hat vor möglichen individuellen Benachteiligungen beim Steuerzahler. Diese Argumentation ist zwar durchaus nachzuvollziehen, sie stellt aber keine sachliche Rechtfertigung für die derzeit gültige Ausgestaltung der Abgeltungsteuer dar.

Selbst wenn man bei dem Nominalwert-Prinzip bleibt, so kann man zumindest die Mängel der Abgeltungsteuer korrigieren, indem man a) die Steuersätze deutlich senkt; b) die Freibeträge für Kapitalerträge stark erhöht (801 € in Deutschland sind im internationalen Vergleich lächerlich niedrig); sowie c) eine Steuerbefreiung für Kursgewinne bei langfristig gehaltenen Wertpapieren wieder einführt. Hiermit würde man sich im Übrigen einer international üblichen Praxis (wieder-)anschließen.

Voraussetzung hierfür wäre jedoch, dass man in Deutschland zunächst einmal die negative Doppelwirkung von Abgeltungsteuer und Inflation auf die Geldvermögensbildung realisiert. Zweitens müsste die Politik eingestehen, einen Fehler gemacht zu haben, den es zu korrigieren gilt. Speziell Letzteres ist leider so schnell nicht zu erwarten.

 

Die 3 Teile von „Double Whammy“ erschienen in leicht abgewandelter Form ebenfalls in „Mit ruhiger Hand“ Nummer 37 vom 4. Mai 2015.

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