Vertrauen als Schmiermittel für die Wirtschaft: Eine tiefere Betrachtung

by Dirk Elsner on 18. September 2008

In diesen Wochen ist viel von Vertrauen in der Wirtschaft die Rede und von den Folgen, wenn das Vertrauen verloren geht. Unehrlichkeit ist zweifellos kostspielig, und Vertrauen ist ein wichtiges Schmiermittel der wirtschaftlichen und sozialen Systeme. Es ist höchst effizient; es erspart viel Mühe, wenn man sich auf das Wort anderer Leute einigermaßen verlassen kann. Ich muss hier die enttäuschen, die mit diesem Beitrag erwarten, etwas zur Vertrauenskrise an den Finanzmärkten zu erfahren. Dieser Artikel gehört zu meinen Serie „Ökonomische Grundlagen“ und betrachtet den Vertrauensbegriff etwas allgemeiner.

In der Wikipedia findet man unter dem Stichwort: Unter Vertrauen wird die Annahme verstanden, dass Entwicklungen einen positiven oder erwarteten Verlauf nehmen. Ein wichtiges Merkmal ist dabei das Vorhandensein einer Handlungsalternative. Weiter heißt es dort: In der Soziologie wird häufig die Definition von Niklas Luhmann zitiert: Vertrauen ist demnach ein „Mechanismus zur Reduktion sozialer Komplexität“ und zudem eine „riskante Vorleistung“. Dort, wo die rationale Abwägung von Informationen – aufgrund unüberschaubarer Komplexität, wegen Zeitmangels zur Auswertung oder des gänzlichen Fehlens von Informationen überhaupt – nicht möglich ist, befähige Vertrauen zu einer auf Intuition gestützten Entscheidung.

Je mehr Gedanken man sich zum Thema Vertrauen macht, desto komplizierter erscheint es: So hat Ulf Bernd Kassebaum in seiner Dissertation[1] verschiedene Definitionen zusammengetragen und macht als Strukturmerkmal der meisten Vertrauensdefinitionen die Erwartung eines bestimmten Verhaltens beim Gegenüber aus. Vertrauen ist erstens ein Sichöffnen und Sicherschließen gegenüber dem Objekte des Vertrauens, und Vertrauen ist zweitens stets ein Sichanvertrauen an das Objekt des Vertrauens, gestützt auf der Zuversicht, dass das Objekt des Vertrauens richtig handeln könne und werde. Eine weitere Definition lautet: Vertrauen basiert auf der Erwartung einer Person oder einer Gruppe, sich auf ein mündlich oder schriftlich gegebenes – positives oder negatives – Versprechen einer anderen Person bzw. Gruppe verlassen zu können.

Vertrauen bezieht sich implizit auf in der Zukunft erwartete Verhaltensweisen des Gegenübers. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Zukunft unmittelbar nah ist (z.B. Vertrauen im Straßenverkehr, dass die Verkehrsregeln eingehalten werden) oder weit in der Zukunft liegt (Vertrauen darauf, dass eine Bank die begebene Anleihe in 20 Jahre zurückzahlen kann).

Vertrauen lässt sich nach allgemeinem Sprachverständnis auf einem Kontinuum zwischen den Polen Misstrauen und Leichtgläubigkeit ansiedeln. Dabei kann Misstrauen als das Gefühl angesehen werden, dass die Intentionen und Motive eines anderen nicht immer so sind, wie er sagt, dass sie es sind, dass er unehrlich ist und versteckte Motive hat. Allgemeiner kann Misstrauen verstanden werden als ein nur sehr gering ausgeprägtes bis fehlendes Vertrauen gegenüber einer anderen Person oder Personengruppe. Die Verhaltensweise, die mit dem Misstrauen einhergeht, kann als Vorsicht bezeichnet und als Gegensatz zum vertrauensvollen Verhalten verstanden werden[2].

Dass Vertrauen ein wichtiges „Schmiermittel“ der Wirtschaft ist wird daran deutlich, dass Vertrauen der Verzicht auf Kontrolle bedeutet. Kontrolle kostet Zeit und verursacht Transaktionskosten. Vertrauen hilft aber auch so genannte Gefangenendilemma-Situationen zu überwinden. Das sind kurz gefasst solche Situationen, in denen jeweils opportunistisches Verhalten von zwei Partnern zu Nachteilen für beide führt.

Verträge, die durch eine Detailplanung die Sachverhalte bis in die letzten Einzelheiten planen, haben für eine 1angfristige Geschäftsbeziehung zwei entscheidende Nachteile[3]. Sie sind Ausdruck mangelnden Vertrauens in den Geschäftspartner und bedeuten einen Verlust an Flexibilität. Geschäftsleute ziehen deshalb vage Bestimmungen vor, die im Bedarfsfall neu verhandelt werden können.

Vertrauen erwerben durch andauernde Beziehungen

Es macht einen Unterschied aus, ob eine Beziehung zwischen zwei Personen nur für ein Ereignis andauert oder sich fortsetzt um einen unbekannten Zeitraum.

Mit Hilfe der Spieltheorie lässt sich zeigen, dass sich die einfachste Strategie durchsetzt: Tit-for-tat. Die simpelste wie-du-mir-so-ich-dir-Strategie sieht so aus: Trifft man auf einen Gegner zum ersten Mal, so wird ihm vertraut. In jeder weiteren Runde verhält man sich stets so, wie sich der Gegner in der letzten Runde verhalten hat. Vertrauen wird also fortwährend fortgesetzt, ein Betrug wird aber verziehen, wenn sich später der Gegner wieder kooperativ zeigt (und dabei auf Grund des vorhergehenden Verrats nun selbst verraten wird). Dabei ist es unwesentlich, wie komplex alle anderen Strategien tatsächlich sind, inkl. solcher Strategien die versuchen, die Strategie des Gegners zu durchschauen.

Vertrauen erwerben in neuen und einmaligen Beziehungen

In voraussichtlich einmaligen oder neuen Beziehungen könnte es aufgrund asymmetrischer Informationen zwischen Kooperationspartnern Anreize für opportunistisches Verhalten geben. Asymmetrische Informationen liegen dann vor, wenn dem einen Partner (Prinzipal) wesentliche Eigenschaften (hidden charateristics) der von einem anderen Partner (Agenten) angebotenen Güter oder Dienstleistungen vor Aufnahme der Leistungsbeziehung verborgen sind. Mit den Konsequenzen und daraus abzuleitenden Maßnahmen beschäftigt sich ein Zweig der Neuen Institutionenökonomik, nämlich die Agency Theory, die hier aber nicht behandelt werden soll.

Vermutet jedoch der schlechter informierte Prinzipal opportunistisches Verhalten des Agenten, dann wird er das bei seinen Handlungen berücksichtigen und entweder gar keine Kooperation eingehen  oder z.B. von vornherein einen niedrigeren Preis zahlen. Es kann somit zur so genannten Negativauslese, also Adverse Selection-Problemen kommen. [4]

Die Spieltheorie kann zeigen, dass es in Gefangenendilemma-Situationen rational sein kann, nicht mit seinem Partner zu kooperieren. Möchte man allerdings im Wirtschaftsleben Geschäfte abschließen, so kommt es darauf an, bereits im Erstkontakt Vertrauen zu signalisieren.

Es darf aber unterstellt werden, dass Geschäftspartner in der Praxis weder ein Interesse an Adverse Selection haben noch am „Missbrauch“ einer Gefangenendilemma-Situation, weil sie damit rechnen müssen, dass Informationen über ihr Verhalten nicht verborgen bleiben und sich auf zukünftige und andere Vertragsbeziehungen auswirken können. Hier ist es hilfreich, bereits vor einer Geschäftsbeziehung Vertrauen aufzubauen.

Vertrauen lässt sich aber nicht einfach kaufen. Es lässt sich nur mittelbar erwerben: so z.B. mit Hilfe von Institutionen wie Garantien, Reputation („Markennamen-Kapital“), Diplomen oder Lizenzen, die von einer vertrauenswürdigen Person ausgestellt sind usw. Einrichtung und Pflege solcher institutioneller Arrangements kosten natürlich Zeit und Geld, aber eben die Höhe dieser Kosten signalisiert dem Käufer, dass der Verkäufer ein gutes Produkt anbietet (dass seine Versprechen glaubwürdig sind). Mit anderen Worten: Die Qualität des Signals hängt von den darauf aufgewendeten Ressourcen ab. Man betrachte die folgenden Beispiele[5]:

  • Das Angebot einer Garantie ist eine kostspielige Aktivität für den Verkäufer von „Zitronen“, aber nicht besonders kostspielig für den Verkäufer guter Autos. Daher ermöglicht dieses Signal den Käufern, zwischen den zwei Arten von Autos zu unterscheiden. Ist sie genügend kostspielig, so kann der Verkäufer des guten Produkts es sich leisten, das Signal „Garantie“ zu verwenden, während der Verkäufer schlechter Produkte das nicht kann.
  • Investitionen in Markennamen-Kapital z. B. durch Werbeausgaben erfordern erhebliche Mittel, und das sind „versunkene Kosten“. Trotzdem dienen sie dem Käufer als Indikator für die Oualitätsklasse des Produkts und fungieren in der Hand der Kunden des Unternehmens als „Geiseln“. In diesem Sinn kann man sagen: „Werbung … liefert dem Kunden wertvolle Information … nämlich, dass das Unternehmen wirbt“.
  • Ausbildungsdiplome oder Zeugnisse signalisieren dem Arbeitgeber das Qualitätsniveau des Arbeitsplatzbewerbers. Die Produktivität am Arbeitsplatz ist positiv mit der Schulleistung korreliert. Daher haben die Arbeitskräfte mit der höheren Produktivität auf die Erlangung einer bestimmten Menge von Ausbildungszeugnissen im Durchschnitt geringere persönliche Kosten aufzuwenden. Da der produktivere Arbeitnehmer mehr als der weniger produktive verdienen kann, hat der produktivere einen Anreiz, mehr auf Bildung als „Signal“ aufzuwenden.
  • Rating der künftigen Zahlungsfähigkeit von Finanzinstitutionen durch eine unabhängige Institution, wie z.B. eine Ratingagentur.
  • Qualitätssiegel z.B. von staatlichen Stellen oder Überwachungsvereinen sollen die generelle Einhaltung bestimmter Standards signalisieren. Kunden ersparen sich dadurch eine aufwendige und in der Praxis meist gar nicht zu leistenden Kontrollaufwand

Diese Fälle beziehen sich auf wirklichkeitsnahe Beispiele. Interessant für den Ökonomen ist, dass Signalisierung Ressourcen verbraucht – was die nicht ganz so selbstverständliche Frage aufwirft: Wie hoch ist der optimale Aufwand für Signalisierung, und zwar sowohl vom Standpunkt des Käufers wie dem des Verkäufers?[6]. Dies soll hier aber nicht mehr betrachtet werden.

Für eine tiefere philosophische Betrachtung des Vertrauens verweise ich auf die Dissertation zur Erlangung der Würde des Doktors der Philosophie der Universität Hamburg von Ulf Bernd Kassebaum, Interpersonelles Vertrauen, Entwicklung eines Inventars zur Erfassung spezifischer Aspekte des Konstrukts, Ratzeburg 2004.


[1] U. B. Kassebaum, Interpersonelles Vertrauen, Entwicklung eines Inventars zur Erfassung spezifischer Aspekte des Konstrukts, Ratzeburg 2004.

[2] U. B. Kassebaum, Interpersonelles Vertrauen, Entwicklung eines Inventars zur Erfassung spezifischer Aspekte des Konstrukts, Ratzeburg 2004, S. 15

[3] Siegfried Schoppe u. a., Moderne Theorie der Unternehmung, München 1995, S. 155.

[4] Ein kurzes Beispiel für Adverse Selection auf Finanzmärkten habe ich im Börsenlexikon von direktbroker.de gefunden: Auf Finanzmärkten die Tatsache, dass Banken die Bonität der Kreditnehmer (auch bei hohem Standard des Ratings) nie mit letzter Genauigkeit einschätzen können, daher in ihren Konditionen (Zins) sich kalkulatorisch auf einen Durchschnitt einstellen müssen, somit die erstklassigen Kreditnehmer (high quality borrowers) sich schlechter stellen (weil sie hinsichtlich ihrer Bonität zu hohe Kreditkosten zahlen müssen), diese erstklassigen Kreditnehmer daher rentable Investitionen unterlassen, während minder gute Kreditnehmer (low-quality [auch: subprime] borrowers) zu weniger erfolgreichen oder gar verlustbringenden Investitionen angereizt werden (weil sie in Bezug auf ihre tatsächliche Bonität zu niedrige Kreditkosten zahlen müssen) und es damit letztlich zu einer Fehlleitung knapper Ressourcen kommt: das Geld wandert nicht zum „besten Wirt“. Siehe Finanzierungsprämie, externe, Hausbank, Information, asymmetrische, Kreditabsorption, Mittelstandsbank, Moral Hazard, Rating, Risiko, Strukturumbruch, Versicherungsunsicherheiten.

[5] R. Richter u. E. Furubotn, Neue Institutionenökonomik, Tübingen 1996, S. 240.

[6] R. Richter u. E. Furubotn, Neue Institutionenökonomik, Tübingen 1996, S. 240 f.

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