Gedanken aus einer wirtschaftsethischen Arbeit über Finanzmärkte

by Dirk Elsner on 24. September 2008

Den heutigen Abend habe ich genutzt, ein in der Dissertation von Christian Cobbers über „Die Globalisierung der Finanzmärkte als wirtschaftsethische Herausforderung“ zu blättern. Am Beispiel der Asienkrise hat er die Finanzmärkte und ihre Akteure und Institutionen untersucht.

Die unten zitierten Passagen aus dem 228-Seiten-Werk zeigen, dass die in der aktuellen Finanzmarktkrise diskutierten Themen keineswegs neu sind. Wohtuend an dieser Arbeit ist, dass nicht einfach pauschal ein bestimmtes Verhalten verurteilt wird, sondern differenziertere Erklärungsansätze versucht werden.

Über Spekulation, die Instabilität von Finanzmärkte, die Anonymität von Finanzinsvestitionen, das Herdenverhalten von Anlegern, dem Druck der Renditemaximierung, dem moralischen Versagen, der Wirkung von Bailouts und der Rolle von Ratingagenturen finden sich interessanten Beiträge, die auch helfen können aktuelle Debatten zu versachlichen.

Über Finanzmärkte und Spekulation

„Finanzmärkte ziehen kurzfristige, spekulative Händler an. Preise reagieren äusserst schnell auf eine Vielfalt von Informationen. Diese beeinflussen die Erwartungen auf den Finanzmärkten. Daher sind die Preise auf den Märkten sehr volatil und ermöglichen Profite (natürlich auch Verluste) in einer sehr kurzen Zeit. Aufgrund der zunehmenden Bedeutung der Finanzmärkte, beziehen auch Manager den kurzfristigen Zeithorizont bei ihrer Entscheidungsfindung mit ein. Nur kurzfristige Erfolge können durch die Finanzmärkte bewertet werden. Wenn die Finanzmärkte den Wert langfristiger Investitionen unterbewerten, dann werden folglich auch Manager dies tun. Dies schadet der langfristigen Entwicklung der Unternehmen und somit auch der Wirtschaft.“

„Spekulation beinhaltet zunächst einmal alle Formen wirtschaftlichen Handelns, die nicht auf produktive Wertschöpfung (Güterherstellung oder Dienstleistungen) zielen, sondern allein auf die Ausnutzung erwarteter Preisunterschiede zwischen Kaufs- und Verkaufszeitpunkt an Waren- oder Wertpapierbörsen sowie Devisenmärkten.“

„Spekulation kann aber bei Fehleinschätzungen, Gerüchten oder ‚Spekulationsfieber‘ destabilisierend wirken und die Preise oder Wechselkurse in eine Richtung drängen, die der realwirtschaftlichen Entwicklung nicht entspricht. In diesem Fall ist Spekulation nicht gerechtfertigt, da sie die Unsicherheit nicht reduziert, sondern gar erst schafft und somit der Zustimmung der Betroffenen entbehrt.“

Über finanzielle Instabilität

„Die Hauptquelle für finanzielle Instabilität ist die unverhältnismässige Entwicklung zwischen Gewinnmöglichkeiten und Schuldverpflichtungen. In den Jahren des wirtschaftlichen Booms, bei nahezu Vollbeschäftigung, können Schuldverpflichtungen durch Einkommensflüsse zunehmend nicht mehr bedient werden, da es zu euphorische Erwartungen im Vergleich zu den Profitmöglichkeiten gibt. Letztere sind aber durch das Produktivitätswachstum beschränkt. Hingegen ist die Ausgabe von Krediten nicht beschränkt. Daher werden Kredite zunehmend für spekulative Ausgaben verwendet und nicht mehr für Investitionen in das Realkapital. Die Finanzstruktur wird immer fragiler und der business cycle kulminiert in einer Schuldenspirale, welche eine Rezession hervorruft.“

„Die Kreditgewährung der Banken kann sich ebenfalls auf die Realwirtschaft auswirken und die Synchronisierung zwischen Konjunktur- und Finanzzyklus unterbrechen. Steigende Aktienkurse und Immobilienpreise in einer Boom-Phase erhöhen die Verschuldungsmöglichkeiten der Haushalte und Unternehmen. Bei den Kreditinstituten ihrerseits erfolgt eine weniger sorgfältige Kreditvergabe, da letztere durch die steigenden Asset-Preise gesichert erscheint. Beim Platzen der Spekulationsblase wird dann die Kreditvergabe wegen geringerer Kreditsicherheiten zurückgeführt. Dies führt zu sinkenden Investitionen und Insolvenzen, die die Bonität der Schuldner verschlechtern und die Anzahl der notleidenden Kredite bei den Banken erhöht. Dadurch wird deren Kreditgeschäft weiter gedrosselt (credit crunch). Das Verhalten bei der Kreditgewährung des Bankensektors kann somit prozyklisch und ggf. krisenverstärkend wirken.“

Über die Anonymität von Finanzmarktinvestitionen

„Gegenwärtig wissen Anleger, die in Anlagefonds investieren, kaum, welche Firmen mit ihrem Kapital indirekt finanziert werden. Die Anonymität des heutigen Geldwesens versperrt systematisch den Blick auf die Folgen des eigenen Investierens. Auf einem globalen Markt hat der Investor fast keinen realen Bezug zu seinem Investitionsobjekt. Ein deutscher Anleger, der beispielsweise sein Geld in einen Fonds investiert, welcher an der Börse in Seoul Aktien eines taiwanischen Unternehmens kauft, wird sich schwerlich mit der sozialen Verträglichkeit der Firmenpolitik des taiwanischen Unternehmens auseinandersetzen (können und wollen). Dieser Anleger ist auch gar nicht am langfristigen Überleben des Unternehmens interessiert, geschweige denn an der Erhaltung von Arbeitsplätzen, sondern wird einen Stellenabbau begrüssen, wenn dadurch zunächst der Aktienkurs und folglich auch die Rendite seiner Anlage steigt. In Anlehnung an Karl Marx kann vom entfremdeten Investieren gesprochen werden.“

„Investitionsverhalten, das nur nach dem funktionalistischen Kriterium der Renditemaximierung erfolgt, sieht die höchste „soziale Verantwortung“ darin, auf möglichst effiziente Art Kapital zu investieren. Der Imperativ dieses Verhaltens lautet: Vermehre Dein Kapital möglichst schnell! Zwischen dem ökonomisch Gebotenen und dem moralisch Richtigen besteht kein Gegensatz, beide decken sich. Es gibt zwischen Ethik und Erfolg keinen Konflikt. Die höchste Rendite zu erzielen, ist ethisch geboten. Die Gewinnorientierung ist demzufolge moralische Pflicht des Investors. Es ist geradezu eine sittliche Pflicht, im Rahmen der Investitionsräson alles zu tun, um eine maximale Rendite zu erzielen, selbst wenn dies für einzelne Investitionsprojekte schmerzliche Massnahmen erfordert. Er muss nur die allgemeinen moralischen und gesetzlichen Regeln beachten.“

Über das Herdenverhalten der Anleger

„Der rasche Abzug von Kapital beruht häufig auf dem Herdenverhalten der Anleger. Internationale Investoren haben kaum die Möglichkeit, notwendige Informationen zu besorgen, diese eingehend zu analysieren und festzustellen, welche Investitionsprojekte, insbesondere in Schwellenländern, durchführbar sind. Daher neigen sie dazu, sich dem Verhalten anderer anzuschliessen. Es kommt zum Herdentrieb. Viele Beobachter halten gerade diesen „Trieb“ der Banken und Anleger für die Achillesferse des globalen Finanzsystems.“

Zum Druck der Renditemaximierung

„Obwohl jeder Teilnehmer nur an seiner „privaten“ Renditemaximierung interessiert ist, übt er durch seine Erfolgsstrategien unweigerlich einen, wenn auch unter Umständen fast unmerklichen, bloss marginalen Zwang auf seine Mitbewerber aus, und zwar ohne mit ihnen persönlich in Interaktion zu treten. Denn nur wenn er eine hohe Rendite verspricht, erhält er das notwendige und günstige Kapital. Seine Konkurrenten gehen zwar nicht leer aus, müssen aber Kapital zu ungünstigeren Bedingungen aufnehmen.“

Über moralisches Versagen

„Moral hazard ist die Gefahr nachlassender moralischer Haltung und Verhaltensänderung zum Nachteil des Vertragspartners, sobald der Kontrakt abgeschlossen ist. Er wird verursacht durch Egoismus (Nachlässigkeit) und ermöglicht durch Informationsasymmetrie zwischen Vertragspartnern in Risikosituationen (diskretionärer Handlungsspielraum). Moral hazard bedingt die Unmöglichkeit, zwischen echten Risiken und menschlichem Verhalten unterscheiden zu können. Ein Kapitalgeber kann also unmöglich aufgrund fehlender Informationen entscheiden, ob das nur mässige Ergebnis auf eine Nachlässigkeit des Kapitalnehmers zurückzuführen ist oder darauf, dass sich ein ungünstiges Umfeld gebildet hat.“

„Die Theorie über moral hazard ist daher der Ansicht, dass Unternehmen ihre Investitionen mehr oder weniger riskant gestalten können, wobei der Erwartungswert der Rückflüsse mit dem Risiko steige. Eine kreditgebende ausländische Bank könne beispielsweise nicht kontrollieren, wie risikoreich eine inländische Unternehmung tatsächlich investiere. Deshalb solle sich die Bank gut überlegen, welche Bedingungen sie stelle (besonders, welchen Zinssatz sie verlange), da die Ausgestaltung dieser Bedingungen einen Einfluss auf das Verhalten des Investors haben könne. Die Bank könne sich selbst mit einer höheren Zinsforderung benachteiligen: Um den Erwartungsnutzen der Residuen zu maximieren, reagiere die Unternehmung auf eine höhere Zinsforderung mit einer riskanteren Kapitalverwendung. Dadurch steige die Konkurswahrscheinlichkeit so stark an, dass die Bank per Saldo geringere Rückflüsse erwarten müsse. Deshalb könne es bei einer Übernachfrage nach Krediten für die Bank besser sein, Kredite zu rationieren als die Zinsen zu erhöhen.“

„Die Diskussion über moral hazard macht insbesondere deutlich, dass die Übernahme und Einhaltung von ethischer Verantwortung auf den internationalen Finanzmärkten gute Gründe besitzt. Die Handlungen der Akteure werden lebensdienlicher, wenn sie nicht auf der Geltung eines rechtlichen Rahmens, sondern auf der verantwortlichen Einhaltung darüber hinausgehender ethischer Kriterien beruhen. Vertrauen in die Verantwortlichkeit des anderen mindert auch die Sorge, von diesem durch ein opportunistisches Verhalten geschädigt zu werden.“

„Insofern ist ein verständigungsorientiertes Verhalten einer Person, die ihre Aufgabe mit Verantwortung wahrnimmt und in der Beziehung zu anderen zu dieser Verantwortung steht, mehr als nur ein Mittel, um die Angst vor einem Verhalten wie moral hazard zu mindern. Die Debatte über das Problem des moral hazards zeigt noch etwas Weiteres. Dem Glauben, eine gute Rahmenordnung mit den richtigen moralischen Anreizen liesse die Akteure moralisch und ökonomisch gut handeln – moral hazard ist also ausgeschlossen – wird entgegengetreten. Eine Rahmenordnung wird nie das Moralische des Individuums voll erfassen können. Vielmehr ist bei ihrer Gestaltung darauf zu achten, dass der Einzelne in der Gemeinschaft seinen guten Willen leben kann. Wenn der einzelne Akteur sich seiner Rolle als republikanisch gesinnter Wirtschaftsund Staatsbürger bewusst wird und seine moralische Pflicht zur autonomen Selbstbegrenzung seines privaten wirtschaftlichen Vorteilsstrebens erkennt und anwenden kann, wird er auch nicht daran interessiert sein, ein moralisches Wagnis einzugehen.“

Über die Auswirkungen von Bailouts

„Die Anreizstruktur des Bankensektors sei durch die Erwartung eines bailout verzerrt gewesen. Es sei aus der Sicht der Banken optimal gewesen, ein risikoreiches Portefeuille zu halten und über Kredite zum Weltmarktzins zu finanzieren, da die Bankeinlagen garantiert seien. Das private Risiko, d.h. das von der einzelnen Bank zu tragende, und das soziale Risiko seien auseinander gefallen. Da die Banken über kein Eigenkapital hätten verfügen müssen, sei das private Risiko der Banken auf Null gesunken. Der Bankensektor sei folglich kaum bzw. gar nicht reguliert gewesen. Es hätte für die Banken der Anreiz bestanden, alle potentiellen Gewinnmöglichkeiten auszuschöpfen und die mit ihnen verbundenen Risiken (moral hazard) zu vernachlässigen. Dies hätte zu einer übermässigen, über das Optimum hinausgehenden Risikoakkumulation innerhalb des Bankensektors geführt. Die Garantie der Einlagen durch die Regierung hätte dann zusätzlich noch mehr ausländisches Kapital angezogen.“

„Eine staatliche Garantie von Bankeinlagen und des dadurch hervorgerufenen moral hazards des Bankensektors hätte für eine Volkswirtschaft, die gleichzeitig eine Politik der Kapitalverkehrsliberalisierung verfolge, das „Potenzial“ eines Unglücks gesteigert.“

„Zunächst zeigt sie deutlich, dass in diesem Erklärungsmuster, wie in fast allen anderen, der Mensch als ein erfolgsorientiertes Wesen aufgefasst wird, der mit seiner strategischen Rationalität auf den internationalen Finanzmärkten alle anderen Akteure und die Umstände als Mittel für seine Zwecke verfügbar zu machen sucht. Eine verständigungsorientierte Einstellung des Menschen kommt in diesem Muster nicht vor. Andere Akteure, mit denen soziale Nutzeninterdependenzen bestehen, werden bloss strategisch objektivierend als Konkurrenten, höchstens Mitwirkende betrachtet. Diese können in das eigene Erfolgsstreben entweder störend intervenieren oder gute Dienste leisten. Subjekte mit legitimen Ansprüchen existieren aber nicht. Private Erfolgsziele wie die Profitmaximierung haben ja Vorrang vor einer vorbehaltlosen argumentativen Konsensfindung.“

Über die Rolle von Rating-Agenturen

„Es bleibt zu überlegen, welche Rolle Rating-Agenturen auf den globalen Finanzmärkten übernehmen sollen. Deren Informations- und Transparenzfunktion muss lebensdienlich ausgestaltet werden. Aufgrund ihrer Analyse und Beurteilung üben sie auf Länder, Unternehmen, Anlageobjekte etc. Macht aus. Diese Macht zeigt sich darin, dass sie durch ihr Rating das Verhalten der Investoren oder die Meinung der Öffentlichkeit gegenüber den jeweiligen Investitionsobjekten (Länder, Unternehmen etc.) beeinflussen können.“

„Gute Ratings erhalten nur Länder, die in den Augen der Agenturen kreditwürdig sind. Diese Länder sind dann für Investoren attraktiv. Die Bonität von Ländern mit hohen Sozialausgaben oder einer wenig entwickelten Wirtschaft wird dagegen tief bewertet. Sie sind Investoren nicht zu empfehlen. Fast immer werden Ratings zurückgestuft, wenn die Kreditwürdigkeit zum Beispiel durch zunehmende Verpflichtungen im sozialen Bereich sinkt. Die Folge davon sind höhere Risikozuschläge, d.h. Staatsanleihen müssen höher verzinst werden. Kapital wird somit für die Länder am teuersten, die es am dringendsten benötigen. Hier zeigt sich auch die Gefahr für die Vitalpolitik durch Rating-Agenturen. Diese können durch die Androhung einer Rückstufung direkt Einfluss auf die nationale Politik von Staaten ausüben. Regierungen können sich gezwungen sehen, ihre Sozialausgaben zu kürzen, um noch weiterhin Kapital zu einem günstigen Zinssatz auf den internationalen Finanzmärkten aufzunehmen. Es fällt auf, dass private Wirtschaftssubjekte aufgrund der Liberalisierung der Finanzmärkte in der Lage sind, zunehmend Entscheidungen zu beeinflussen, die eigentlich nur von demokratisch legitimierten Institutionen (unabhängig) getroffen werden sollten.“

„Die Verantwortung der Rating-Agenturen ist somit offensichtlich. Sie müssen die vom Rating Betroffenen in ihren Bewertungsprozess mit einbeziehen. Diese haben legitime Ansprüche, die in den kritischen Bewertungen der Rating-Agenturen integriert sein müssen. Konkret bedeutet dies, dass den Betroffenen eine Möglichkeit der Mitsprache einzuräumen ist. Nur so kann eine Rating-Agentur „republikanische Mitverantwortung“ übernehmen und legitimiert bewerten. Rating-Agenturen sollten darüber hinaus nicht nur die „Bonität“, sondern massgeblich das Lebensdienliche bewerten. Also gute Noten für eine gute Vitalpolitik vergeben.“

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