Zum Wettlauf der Negativprognosen: “Eindruck einer Panik”

by Dirk Elsner on 2. Oktober 2009

In einigen Beiträgen hatte sich der Blick Log im Herbst 2008 und Winter 2009 mit den negativen Wirkungen von Prognosen im damaligen Umfeld befasst. Unter dem Titel “Der Tag, an dem Wirtschaft stillsteht”  ging es um das Wettrennen um die spektakulärsten Negativprognosen. Den kompletten Stillstand der Wirtschaft hatte bis dahin zwar noch niemand prognostiziert, einige Prognosen waren aber nicht mehr weit davon entfernt.

Sowohl prognostizierende Volkswirte als auch Leitmedien haben möglicherweise mit ihren Vorhersagen und entsprechenden Meldungen zum damaligen Zeitpunkt die ohnehin bestehende Unsicherheit noch deutlich verstärkt. Damals herrschte der der Eindruck eines “bizarren Wettrennens” (Süddeutsche) um die negativste Konjunkturprognose. Schlagzeilen wie “Ökonomen sehen Wirtschaft vor dem Kollaps“ (Handelsblatt), “Düstere Konjunkturprognosen: Bundesrepublik droht Rekord-Rezession” (Spiegel Online), “Droht die Brutal-Rezession?” (Bild) oder “Es geht rasant abwärts” (Focus).

Offenbar ist es bisher nicht so schlimm gekommen, wie damals befürchtet. Die Erwartungsunsicherheit hat deutlich abgenommen. Rückwirkend lässt sich daher feststellen, dass viele Prognosen im Winter viel zu negativ waren und nun nach oben korrigiert werden. Im Gespräch mit der FAZ am vergangenen Wochenende bestätigt der DIW-Chef Klaus Zimmermann den Beitrag der Ökonomen zur Verschärfung der Krise:

“Ich hatte vorgeschlagen, vorübergehend auf einen Wettlauf immer dramatischerer Prognosen zu verzichten, weil diese in einer solch labilen Lage mehr zur Verunsicherung als zur Klärung der Situation beitragen. Wenn man ziemlich wenig weiß, ist eine Prognose eher gefährlich. Ich habe mich damals ein bisschen geschämt für die Profession, die jede Woche immer schlimmere Schlagzeilen produzierte, ohne gesichertes Wissen zu haben. Viele Prognosen kamen aus dem Bauch heraus. Wenn die Prognosen weltweit immer schlechter werden, dann kriegt man den Eindruck einer Panik. Es gibt auch in der Wirtschaft ein Herdenverhalten, immer mehr Investoren ziehen sich zurück. Mit ihren Prognosen haben die Ökonomen mit Sicherheit einen Beitrag zu Verschärfung der Krise geleistet.

Die Modelle haben sicherlich den Fehler, dass sie die Finanzmärkte und das wirtschaftspsychologische Verhalten der Akteure zu wenig abbilden. Es gibt zwar Stimmungsindikatoren, aber den plötzlichen Umschwung im vergangenen Herbst konnten die Modelle nicht ausreichend erfassen. In der Finanzwelt hat man mit Modellen gearbeitet, die Simulationen von gedachten, irrealen Welten waren, in denen ein positiver Trend, eine Aufwärtsbewegung unterstellt wurde. Das Risiko eines plötzlichen Abschwungs war nicht enthalten.”

Zimmermann unterstreicht in dem Gespräch auch den Nutzen der Verhaltensökonomik:

 

“Die Verhaltensökonomik macht klar, dass irrationales Verhalten nicht irrational sein muss. Menschen verhalten sich zuweilen gegen ihren scheinbar rationalen Eigennutz. Loyalität und Vertrauen sind ganz wichtig, sie machen überhaupt erst soziale Systeme möglich. Ohne das funktioniert die Wirtschaft nicht. Das ist ja auch der Kern der Finanzkrise, da ist viel Vertrauen zerstört worden. Vertrauen ist aber die Grundlage allen wirtschaftlichen Austauschs. Sie kaufen ein Brötchen und vertrauen, dass es nicht vergiftet ist. Sie setzen sich in ein Taxi und erwarten, dass der Fahrer ordentlich fährt. Als Ökonomen haben wir immer angenommen, dass diese Vertrauensbasis einfach vorhanden ist, aber jetzt verstehen wir diese Zusammenhänge viel besser. Wirtschaft beruht auf Werten, die sie selbst nicht schaffen kann. Das erscheint mir als eine der Erkenntnisse ungeheuer wichtig zu sein, um künftige Krisen zu vermeiden.”

Michael Heise, der Chefökonom der Allianz, hat sich in einem Gastbeitrag im Handelsblatt (vom 21.9.09, online nicht verfügbar) Gedanken zu der Wirkung von Unsicherheit auf das Verhalten der Marktteilnehmer gemacht:

Die Unsicherheit “ist ein Krisenakzelerator und bestimmt das Tempo, mit dem es nach unten geht. Die Verunsicherung der Wirtschaft war im Winter 2008/2009 außerordentlich hoch. Die Wirtschaftsteilnehmer waren in tiefster Sorge darüber, ob ein Kollaps des Weltfinanzsystems drohen könnte und sich die Weltwirtschaftskrise der 30er-Jahre wiederholt. Da war es eigentlich nicht überraschend, dass viele Aktivitäten zum Stillstand kamen. Der Angstfaktor in einer Rezession ist ebenso schwer prognostizierbar wie Übermut im Boom. Vernachlässigen darf man die psychologischen Momente aber dennoch nicht, denn sie sind für die zyklische Dynamik einer Volkswirtschaft ausschlaggebend.

Dies ist eine alte Erkenntnis, aber sie wurde immer wieder verdrängt. John Maynard Keynes hat in seiner Analyse der Weltwirtschaftskrise und auch schon davor auf die potenziell destabilisierende Wirkung von Erwartungsunsicherheit hingewiesen. Und die Entwicklung, die wir 2008 erlebt haben, passt zu dieser Analyse. Die tiefgreifende Verunsicherung führte in eine zyklische Abwärtsspirale hinein. Produktionspläne wurden gekürzt, Investitionen und Beschäftigung abgebaut, dadurch entstand ein Mangel an gesamtwirtschaftlicher Nachfrage, es kam zur Unterauslastung von Kapazitäten, die Unternehmen sahen sich in ihrer anfänglichen Sorge bestätigt und nahmen weitere Kürzungen vor. Dieser Abwärtsspirale haben sich die Regierungen und Notenbanken weltweit zu Recht mit sehr expansiver Geld- und Finanzpolitik entgegengestellt. “

Was ich noch vermisse ist eine wirkliche Konsequenz für die Veröffentlichungsstrategien von Wirtschaftsprognosen. Ich war schon damals der Auffassung, dass es wenig hilfreich ist, auf Prognosen zu verzichten. Notwendig ist es aber, Prognosewerte mit Wahrscheinlichkeitsangaben oder Streuungsparametern zu ergänzen.

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