Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften: Integration des Opportunismus in die Ökonomie

by Dirk Elsner on 20. Oktober 2009

Die Vergabe des von der schwedischen Reichsbank gestifteten Nobelpreises für Wirtschaftswissenschaft in diesem Jahr hat mich in diesem Jahr aus zwei Gründen gefreut. Mit Elinor Ostrom erhält erstmals eine Frau diesen Nobelpreis, die zudem wichtige Anstöße für ihre Arbeit während eines Aufenthalts an der Universität Bielefeld erhalten hat. Mit Oliver E. Williamson wird einer der Väter der Institutionenökonomik ausgezeichnet. Die Modelle dieser Forschungsrichtung liegen wesentlich dichter an der Realität und bauen außerdem eine hilfreiche Brücke zwischen Volks- und Betriebswirtschaftslehre. Beide Preisträger haben zwar unterschiedliche Schwerpunkte, sind jedoch durch das Leitthema wie Entscheidungen außerhalb konventioneller Märkte getroffen werden, miteinander verbunden.

Erstaunlich, dass in der Berichterstattung über Williamson sein Werk “Die ökonomischen Institutionen des Kapitalismus” nicht einmal zitiert wird. In einem meiner ersten Blogbeiträge im vergangenen Jahr hatte ich über die Aufnahme des Opportunismus in wirtschaftswissenschaftliche Modelle geschrieben. Unter Opportunismus versteht der emeritierte Ökonom an der Universität von Kalifornien in Berkeley die Verfolgung des Eigeninteresses unter Zuhilfenahme von List. Das schließt krassere Formen ein, wie Lügen, Stehlen und Betrügen, beschränkt sich aber keineswegs auf diese. Häufig bedient sich der Opportunismus raffinierterer Formen der Täuschung. Allgemeiner gesagt bezieht sich Opportunismus auf die unvollständige oder verzerrte Weitergabe von Informationen, insbesondere auf vorsätzliche Versuche irrezuführen, zu verzerren, verbergen, verschleiern oder sonst wie zu verwirren. Er ist für Zustände echter oder künstlich herbeigeführter Informationsasymmetrie verantwortlich, welche die Probleme ökonomischer Institutionen außerordentlich erschweren.

Der Opportunismus ist eine lästige Ursache von Verhaltensunsicherheit in ökonomischen Transaktionen – wobei diese Unsicherheit verschwinden würde, wenn entweder die einzelnen Beteiligten sich völlig offen und ehrlich um ihren individuellen Vorteil bemühten oder alternativ völlige Unterordnung, Selbstverleugnung und Gehorsam angenommen werden könnten. Gehorsam entspricht einer Nicht-Verfolgung von Eigeninteresse.

Williamson hat gezeigt, wie sich im Laufe der Zeit eine ganze Reihe gesellschaftlicher Institutionen entwickelt haben, deren Zweck es ist, opportunistischem Verhalten zu begegnen. So soll durch die Zivilgerichtsbarkeit ermöglicht werden, eine „korrekte“ Erfüllung eingegangener Verträge zu erzwingen. Durch die Strafgerichtsbarkeit kann opportunistisches Verhalten in bestimmten Fällen sogar mit Strafe belegt werden. Auch im vorstaatlichen  Raum sind eine Reihe von Mechanismen entwickelt worden, die starke Anreize zu vertragsgemäßem Verhalten bewirken. Dies gilt z.B. für Bonus-Systeme bei privaten Krankenkassen oder für die Übereignung von Sicherheiten beim Abschluss von Kreditverträgen. Könnte man in aller Regel davon ausgehen, dass die Individuen ihr Eigeninteressen lauter, d.h. ohne List verfolgen oder dass sie sich gar altruistisch verhielten, wären solche Institutionen kaum notwendig.

Im Hinblick auf die Untersuchung ökonomischer Organisation ist die wichtigere Lehre folgende: Auf Transaktionen, die durch Opportunismus ex post gefährdet sind, wird es sich günstig auswirken, wenn entsprechende Absicherungen ex ante eingebaut werden können. Statt also opportunistischem Verhalten mit einem ebensolchen zu begegnen, wird der kluge Machthaber bemüht sein, „glaubhafte Zusicherungen“ zu machen und zu erhalten. Anreize können neu angeordnet werden bzw. bessere Beherrschungs- und Überwachungssysteme zur Organisation von Transaktionen geschaffen werden.

Damit befand sich Williamson bereits 1985 auf der Höhe der Zeit und postulierte, dass Manager in Unternehmen nicht zwingend den Nutzen des Unternehmens maximieren. Eine These, die im Angesicht der Finanz- und Wirtschaftskrise erheblich an Bedeutung gewonnen hat und die angesichts der Fälle Madoff und Rajaratnam hochaktuell sind. Dabei erfasst Williamson nicht nur offensichtliche kriminelle Fälle. Zum listigen Verhalten würde Williamson sicher die „legalen Bereicherungsfälle“ im Arcandor-Konzern um Middelhoff, Eick und den Insolvenzverwalter Görg rechnen sowie die Bonusvereinbarungen vieler Manager.

Dieser Ansatz der Arbeiten von Williamson wird leider in den Kommentaren zur Nobelpreisvergabe kaum beachtet. Hier geht es vorwiegend allgemeiner um Williamsons Beitrag zur Theorie der Unternehmung. Dazu u.a. Theresia Theurl in der FAZ:

Warum gibt es überhaupt Unternehmen? Offenbar, weil Unternehmer so effizienter wirtschaften, als wenn sie alle (Vor-)Leistungen auf einem atomistischen Markt einkauften. Lange Zeit wurden Unternehmen aber als eine „Black Box“ betrachtet. Die konkrete Organisation wurde kaum untersucht. Fragen wie die geeignete Größe von Unternehmen, deren optimale Grenzen sowie ihre Ausgestaltung und ihre Alternativen kamen zu kurz. Williamson, der am Massachusetts Institute of Technology, an der Stanford University und an der Carnegie-Mellon University ausgebildet wurde, hat diese Fragen nüchtern und akribisch gestellt und zunehmend differenzierter beantwortet.

Auf diese Weise ist ein Werk zustande gekommen, das nicht nur ein systematisches Analyseraster für alle Fragen der ökonomischen Governance enthält, sondern in dem auch ein Kriterium für den Vergleich unterschiedlicher Organisationen angeboten wird. Williamson betont, dass die Vorbereitung und Durchführung jedes Geschäfts mit Kosten verbunden ist, den Transaktionskosten. Auf dem Fundament der Transaktionskostentheorie lassen sich wichtige Fragen untersuchen. Zum Beispiel: Wann soll ein Unternehmen eine eigene Entwicklungsabteilung unterhalten und unter welchen Voraussetzungen besser eine Lizenz erwerben? Oder bietet sich ein Gemeinschaftsunternehmen mit Wettbewerbern an?

Elinor Ostrom kenne ich bisher nicht. Nach den Meldungen ist sie weniger als Ökonomin denn als Politikwissenschaftlerin bekannt. Teile ihrer Arbeit können aber durchaus als Antithese zu Williamsons Opportunismus-Annahme betrachtet werden. Jürg Steiner schrieb zur ihrer Forschung u.a. in der NZZ:

“Zunächst ist bemerkenswert, dass Ostrom nicht Ökonomin, sondern Politikwissenschafterin ist. Sie hat aber ihre Forschungen interdisziplinär angelegt, was zwar oft gefordert, in der Forschungspraxis jedoch selten gemacht wird. Mit diesem Ansatz untersucht Ostrom ökonomisches Geschehen nicht isoliert, sondern setzt es in den ganzen historischen, soziologischen und politischen Zusammenhang. Sie geht nicht wie die klassische Ökonomie von der Grundannahme aus, dass alles wirtschaftliche Wirken vom Profitmotiv getrieben wird. Sie geht vielmehr empirisch von ihren Fallstudien aus und versucht zu erklären, was beispielsweise in der Walliser Gemeinde Törbel konkret vorgeht, wenn die Alpweiden und Wälder genossenschaftlich bewirtschaftet werden. Damit sind ihre Forschungen von hoher Komplexität und kommen nahe an die Realität.

Ostrom hat nun aber überzeugend nachgewiesen, dass die Motive in der Wirtschaft viel komplexer sind als blosse Profitmaximierung. In Genossenschaften gibt es immer wieder Mitglieder, die nicht nur an ihr eigenes Interesse, sondern auch an das Interesse der Genossenschaft denken. Auch im freien Markt mag es Subjekte geben, die bei ihren Entscheiden auch an das Wohl von künftigen Generationen denken, etwa bei der Sauberhaltung von Luft und Gewässern.”

Ostrom hat nach der Darstellung im Handelsblatt in zahlreichen Fallstudien gezeigt:

“In der Realität sind Menschen häufig sehr wohl in der Lage, Gemeinschaftseigentum nachhaltig und vernünftig zu verwalten – ohne staatliche Vorschriften und ohne das Eigentum zu privatisieren. Oft gelinge es den Nutzern, eigene Regeln und Sanktionsmechanismen zu schaffen, die eine übermäßige Ausbeutung verhindern. „Die theoretischen Standardargumente gegen Gemeineigentum sind zu simpel“, schreibt die Akademie der Wissenschaften.“

Thomas Knüwer sieht darin sogar einen wertvollen Beitrag, den Frau Ostrom zu vielen Debatten rund um Internet und Urheberrecht leisten könnte, vertieft diesen Gedanken aber leider nicht (siehe Blog Indiskretion Ehrensache).

Weitere Artikel und Kommentare zum Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften

NZZ: Der Nobelpreis zwischen Wissenschaft und Werten: Die Wirtschaftsnobelpreisträger 2009 haben über Institutionen jenseits des Marktes geforscht. Das macht sie noch lange nicht zu Marktgegnern. Von Gerhard Schwarz

FAZ: Die Tragik der Allmende: Elionor Ostrom untersucht lieber konkrete Institutionen, als abstrakte ökonomische Modelle. Mit ihrer Forschung zeigt sie am Beispiel der Schweizer Almbauern oder des Wassersystems von Nepal, wie sich die Nutzer von Gemeinschaftsgütern selbst Regeln setzen. Staatseingriffe sind nicht zwingend nötig.

NZZ: Ökonomie findet auch jenseits des Marktes statt: Elinor Ostrom und Oliver Williamson teilen sich den Wirtschaftsnobelpreis: Elinor Ostrom wird als erste Frau mit dem Nobelpreis für Wirtschaft geehrt. Die US-Politologin teilt die Auszeichnung mit ihrem Landsmann Oliver Williamson, der wie sie Bahnbrechendes im Bereich der Neuen Institutionenökonomik geleistet hat.

HB: Internationale Presseschau vom 13.10.2009: Wirtschaftsnobelpreis: Ausweitung der Forschungszone: Die internationale Wirtschaftspresse kommentiert die Vergabe des Wirtschaftsnobelpreises an Elinor Ostrom und Oliver Williamson und begrüßt die Rückkehr der institutionellen Ökonomie.

HB: Nobelpreis folgt dem Zeitgeist: Die Verleihung des Wirtschaftsnobelpreises folgt dem gegen die Märkte gerichteten Zeitgeist. Elinor Ostrom erforscht das kollektive und traditionelle Management von Ressourcen und Oliver Williamson zeigt, warum viele Transaktionen eher innerhalb als zwischen Organisationen stattfinden. Das Interesse an Entscheidungen, die außerhalb des konventionellen Marktes getroffen werden wächst.

HB: Wirtschaftsnobelpreis: Loblied auf die Institution: Oliver Williamson und – als erste Frau – Elinor Ostrom erhalten den Wirtschaftsnobelpreis 2009. Das Nobelpreiskomitee würdigt damit zwei Forscher, die gezeigt haben, dass sich Ökonomie um weit mehr dreht als nur um Märkte und Preise.

HB: Erste Frau mit Wirtschaftsnobelpreis (Video)

Focus: Wirtschaftsnobelpreis: Elinor Ostrom: „Es ist ein Ehre“:

Spon: Die Frau, die bei Fischern forscht: Es ist eine historische Entscheidung. Elinor Ostrom ist die erste Frau, die den Nobelpreis für Wirtschaft erhält. Aus gutem Grund: Die US-Forscherin ist der Frage nachgegangen, wie sich knappe Ressourcen am besten verteilen lassen – eines der drängendsten Probleme unserer Zeit.

Zeit: Komitee ehrt zwei Grenzgänger: „Markt oder Plan“ – Oliver Williamson hält nichts davon. „Privatisieren oder Verstaatlichen“ – zu simpel, sagt Elinor Ostrom. Wer sind die Wirtschaftsnobelpreisträger?

Zeit: „Wir dürfen uns nicht nur auf Klimaabkommen verlassen“: Wirtschaftsnobelpreisträgerin Elinor Ostrom kritisiert in ihrem ersten Interview in Deutschland Untätigkeit in der Klimapolitik – und fordert mehr lokales Engagement.

DIW: Elinor Ostrom gewinnt Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften. Kommentar von Prof. Dr. Claudia Kemfert

Economist: The bigger picture

WF: Zum Nobelpreis von Elinor Ostrom – eine halb-persönliche Arie

WF: Eine gute Ordnung für die Wirtschaft und ihre Organisationen

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