Europäische Schuldenkrise: Versteckte Informationen und Herdenverhalten verunsichern Finanzmärkte

by Dirk Elsner on 9. Februar 2010

Nach der Dubai-Krise brennt es einmal mehr an den internationalen Finanzmärkten. Gestern stürzte der Dow Jones stürzt weit unter die 10.000er-Marke. Den Abwärtstrend führen dabei die Finanzwerte an. Die Märkte funken SOS, unkte die FTD und schrieb: “Die Staatsfinanzen laufen aus dem Ruder, ob in Washington, Sacramento, Athen, Madrid, Lissabon oder London.” Und ausgerechnet jetzt streiken die Anleger. Als Täter wird diesmal die europäische Schuldenkrise verdächtigt (eine Übersicht in Gärtners Blog)

Damit haben wir wie nach dem Sturz von Lehman Brothers wieder die Basiszutaten, um über Ansteckungseffekte und Herdenverhalten eine neue Krise auszulösen bzw. die Unsicherheit zu verstärken. Befeuert wird dies durch zahlreiche “Experten”, die für  zusätzliches Brennmaterial sorgen. So erreichen wir wieder einen Zustand, in dem das Gerede von der Krise sich selbst nähren könnte (lesenswert dazu “Vorsicht, ansteckende Krise!”)

Es besteht mittlerweile ein gewisser allgemeiner Konsens darüber, dass bei Finanzkrisen Ansteckungseffekte (engl. contagion effcts) eine nicht unerhebliche Rolle gespielt haben. Zahlreiche empirische Studien, die eigens zur Verifizierung von Ansteckungseffekten durchgeführt wurden, bestätigen diese Wahrnehmung. Dies schreibt Stefanie Liesenfeld in einer Arbeit über Finanzmarktkrisen und Ansteckungseffekte (siehe Literatur). Sie fährt fort: “In vielen Fällen begann eine Krise in einem einzelnen Land und breitete sich dann in der gesamten Region aus.”

Liesenfeld macht sich dann Gedanken über den Begriff der Ansteckung und schreibt zur Ansteckung durch Herdenverhalten:

“Bei dieser Art von Ansteckung spielt die asymmetrische Informationsverteilung unter den Anlegern die Hauptrolle. Aufgrund hoher  Informationsbeschaffungskosten oder aus anderen individuellen Gründen übernehmen viele Anleger die Erwartungen einiger (vermeintlich) besser informierter Anleger. So kann sich eine pessimistische Stimmung durchsetzen, die nicht durch entsprechende Fundamentaldaten gerechtfertigt ist, und die zu einem selbsterfüllenden Effekt führt. … [Hier ist] die Beziehung zwischen Information und Marktergebnis gestört. Bei vollkommener Information wäre es hier zu keinem Ansteckungseffekt gekommen. …  Das Ergebnis hängt ausschließlich von der Einschätzung der Anleger ab.”

Interessant an der Arbeit von Liesenfeld ist, dass sie die asymmetrische Informationsverteilung und Ansteckungseffekte thematisiert. Die asymmetrische Informationsverteilung ist nach meiner Auffassung eine der wesentlichen Ursachen für die derzeitige Finanzkrise. Die Finanzmärkte verstärken in der Wirtschaftspraxis die Anreize zum moralischen Risiko. Konkret werden Informationen zurückgehalten oder gar verfälscht, wenn Kapitalnehmer die Erwartung hegen, dass die Offenlegung von Informationen die Kapitalkosten erhöht.

Und genau dies ist offenbar im Fall Griechenlands geschehen, angeblich sollen sogar Investmentbanken den Helenen dabei geholfen haben. Die Konsequenzen spüren wird jetzt. Das anfängliche Schönreden hat zu einer nachhaltigen Verunsicherung geführt. Da nun Anleger den verfügbaren Informationen misstrauen und viele Investoren nicht in der Lage sind, den eigenen Informationsstand zu verbessern, orientieren sie sich am Verhalten anderer, vermeintlich besser informierter Investorenm, und versuchen Informationen aus deren Verhalten abzuleiten. Auf Basis dieser nicht sehr präzisen Informationen werden dann die eigenen Anlagen neu bewertet und in der Konsequenz verkauft. Auf diese Weise ist die Entstehung eines Ansteckungseffektes denkbar und erklärbar, schreibt Liesenfeld, die dazu übrigens eine theoretisches Modell vorstellt (siehe S. 90 ff.).

Weniger theoretisch, sondern sehr praktisch befasst sich der US-Blog Zerohedge mit den Ansteckungseffekten der Griechenlandkrise und schreibt:

The key lesson from the ERM crisis of 1992 and the Asian crisis of 1997 is that contagion can emerge quickly and often in unpredictable ways. Unwinding of leveraged positions by distressed market participants, herding behaviour among investors, and loss of liquidity that gives way to general flight to quality can all lead to heightened correlations between markets and, in extremely circumstances, set off a self-filling crisis on a regional/global scale. There have been clear signs over the past week that the distress in the Greek government bond market is increasingly being felt in other euro area countries such as Spain and Portugal. The most likely explanation of this development is the “demonstration effect” – the Greek crisis is likely to have caused investors to re-evaluate the fundamentals of these countries. Spain and Greece may not have strong financial or economic links, but their fundamentals have a lot in common.

The possibility of contagion of the Greek crisis may not end with Spain. There is a presumption among investors that in the worst case scenario (and we are not there yet) the EU will give Greece financial assistance. If this is an isolated event, the effect on the overall public finances of the EU is unlikely to be substantial. However, a bailout of Greece may make aid to other countries in similar situations more likely (moral hazard). A series of open-ended bailouts would not only undermine the fiscal positions of core euro area countries such as Germany and France but, more dangerously, would weaken their political commitment to the continuation of the euro area project.

Noch ist gar nicht klar, wie es mit den Schulden in Griechenland, Portugal und Spanien konkret weitergeht. Schon ist vom Flächenbrand in der Eurozone die Rede. Die Süddeutsche fragt besorgt: “Wer fällt als Nächster?”. Da gehört natürlich zum branchenüblichen Spiel des Bangemachens. Tatsächlich können sich die Märkte wieder erholen oder eine neue Verunsicherungs- und Vertrauenskrise auslösen bzw. verstärken.

Die europäische Schuldenkrise macht aber wieder einmal klar, dass Intransparenz und das Verstecken von Informationen nur kurzfristig einen Vorteil für Kapitalnehmer erzeugen können, langfristig ist der Schaden viel größer.

Nachtrag

Weissgarnix entlarvt übrigens in seinem Blog in dem Beitrag „Die große Griechenland-Lüge“ anschaulich den Mythos vom soliden Schuldner Griechenland. Er dokumentiert gut nachvollziehbar das Misstrauen um die Staatsfinanzen der Helenen.

Literatur

  1. Christian Hott, Finanzkrisen – Eine portfoliotheoretische Betrachtung von Herdenverhalten und Ansteckungseffekten als Ursachen von Finanzkrisen, Juni 2002
  2. Stefan Prigge, Zentralbank, Aktienkurssturz und Systemkrise, Hamburg 1997
  3. Stefanie Liesenfeld, Finanzmarktkrisen und Ansteckungseffekte, 2007

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