G20-Gipfel in Toronto: 10 Gründe warum die neue Finanzordnung gescheitert ist (Teil 3/3)

by Dirk Elsner on 18. Juni 2010

Genau heute in einer Woche treffen sich die Regierungschefs der 20 “wichtigsten” Industriestaaten in Toronto zum Weltwirtschafts- oder Weltfinanzgipfel. In Teil 1 dieser dreiteiligen Serie zu den Gründen des Scheiterns der neuen Finanzordnung ging es bereits um die Skepsis, mit der der Blick Log auf die Ergebnisse dieser Veranstaltung schaut. Am vergangenen Mittwoch gab es Teil 2 mit der Mindmap zur neuen Finanzordnung sowie die Gründe vier bis sieben. Heute folgt der Abschluss der Serie mit den letzten drei Gründe und einem Fazit.

8. Effiziente Lobbyarbeit

Manch einer mag in der hocheffizienten Lobbyarbeit der Finanzinstitutionen den Hauptgrund für das Scheitern der Finanzordnung sehen. Tatsächlich darf man nicht unterschätzten, das die Finanzhäuser hinter den Kulissen erheblichen Einfluss auf die Normensetzer nehmen. Allein in den USA heuerte nach Information von Spiegel Online die Finanzbranche seit Anfang 2009 1.447 Spezialisten an, die die Lobbyarbeit unterstützten.

Die Lobbyvertreter hielten sich mit öffentlichen Stellungnahmen zu Beginn der Finanzkrise im Herbst 2008 zunächst zurück und starteten erst in den letzten Wochen ihre Publizitätsattacken. Bis dahin wirkten sie freilich intensiv im Verborgenen und als Einflüsterer. So wurden etwa immer wieder Warnungen vor zu viel Regulierungen platziert und indirekt etwa mit einer neuen Kreditklemme gedroht.

Nahezu dreist drohte vergangene Woche das Institute of International Finance, dessen Chef Josef Ackermann ist, in einem Forschungsreport (Download hier als pdf) damit, dass die Regulierung fast zehn Millionen Jobs kosten werde.

Natürlich sind die professionellen Lobbyisten der Finanzbranche nicht naiv und streuen von Zeit zu Zeit eigene Vorschläge in die Debatte. Inhaltlich bleiben sie dabei freilich sehr unkonkret. Sie kalkulieren nämlich, dass Vorschläge spätestens mit der Operationalisierung versickern. Genauso wissen sie, dass ihre Forderungen nach internationaler Harmonisierung praktisch nicht realisierbar sind.

Und die Lobbyarbeit hat noch einen für die großen Spieler angenehmen Nebeneffekt. Sie halten neue Wettbewerber fern. Die mit der Regulierung verbundenen organisatorischen Kosten (etwa für die Anpassungen der IT-Systeme) führen dazu, dass kleine Institute diese kaum noch stemmen können, vom Markt verschwinden oder sich zu größeren Einheiten zusammenschließen müssen. Diejenigen dagegen, die die Regulierung beherrschen, und das sind in der Regel die großen Institute (allen voran Goldman Sachs und die Deutsche Bank), haben es sich derweil bequem eingerichtet oder lassen ihre Lobbyisten im eigenen Sinn Einfluss nehmen auf die Änderung des Regelwerks voran. Damit schrauben sie auch die Markteintrittsbarrieren immer weiter nach oben und verdrängen kleine und innovative Mitspieler. Im Gegenzug winkt ihnen eine attraktive Regulierungsrente mit phänomenalen Gewinnen.

9. Fehlende Konzepte auf allen Seiten

Gemeinsam ist allen Akteuren, die in welcher Form auch immer Verantwortung für Finanzhäuser und deren regulatorischen Rahmen tragen, dass sie Handeln einfordern. Dies war auch ein typischer Reflex auf dem IFF-Branchentreffen der Banken vergangene Woche in Wien. Der Kollaps einer großen Bank wie der zusammengebrochenen US-Investmentbank Lehman Brothers könne sich wiederholen, Es sei endlich Zeit zu handeln, es reiche nicht aus, Dinge nur zu diskutieren. „Man muss auch aktiv werden“, zitierte das Handelsblatt Branchenkreise.

Ähnliche Sätze liest man seit Jahren. Insgesamt folgen aber sämtliche nationalen und internationalen Regulierungsdebatten keinem schlüssigen und vor allem auf einem gemeinsamen Fundament ruhenden Konzept. Dies unterstreicht ein Blick auf  die Mindmap zur neuen Finanzordnung. Die vielen bisher diskutierten Maßnahmen lassen keinen roten Faden zu erkennen.

Dabei gibt es in der Ökonomie eine ausgeprägte Theorie über die Gestaltung einer optimalen Finanzordnung. Einig ist man sich hier jedoch auch nicht, so dass jeder seine ihm passende wissenschaftliche Fundierung aus der Schule ziehen kann.

10. Mangelnde öffentliche Kenntnisse

Der letzte aber sich nicht unwichtigste Grund liegt in dem mangelnden öffentlichen Interesse über die Neuordnung der Finanzmärkte. Selbst die Wirtschaftsredaktionen der Qualitätsmedien verfolgen in Deutschland die Debatte um die Finanzordnung nur sehr halbherzig. Die Berichterstattung in Deutschland kratzt an der Oberfläche und pointiert gern gängige Klischees. Die Qualität eines Wall Street Journals, einer New York Times oder der Washington Post, die alle drei Themen auch über ihre Blogs vertiefen, erreicht hier niemand. Und auch die Blogszene hält sich deutlich zurück und klagt allenfalls aus 27 km Flughöhe.

Ob in Deutschland so wenig geschrieben wird, weil sich niemand interessiert oder sich niemand interessiert, weil niemand die Materie vernünftig analysiert und vermittelt, lässt sich schwer beurteilen. Während aber die Besetzung eines für die Wirtschaftsentwicklung nachrangigen Amtes wie das des Bundespräsidenten oder der Gewinn des Eurovision Song Contest in Deutschland tageweise ganze Zeitungsbücher füllen, muss man sich die Beiträge über die Milliarden schwere Rettungsprogramme oder gar über die Feinheiten der Finanzordnung mühsam zusammen suchen. Das Thema ist für Medien und Konsumenten hochgradig unsexy. Dabei hat die „Bankenhilfe“ für Griechenland und die Art, wie die Finanzmärkte künftig organisiert und überwacht werden einen deutlich größeren Einfluss auf unser Wohlbefinden als die Frage, ob Kanzlerin Merkel ihre Ministerin von der Leyen wegen der Präsidentschaftskandidatur vor die Wand hat laufen lässt.

Fazit

Die hier genannten Gründe sind nicht die einzigen Erklärungen für das Scheitern der Finanzordnung. Wir werden noch viele weitere Deutungen in den nächsten Tagen und Wochen lesen. Vor allem werden die Regierungschefs nach dem G20-Gipfel wieder (Achtung: politisches Floskelbingo) „Tempo machen“  und uns erklären, warum sie nun die Weichen gestellt haben und der nächsten Finanzkrise vorgebeugt haben.

Daran glauben wird kaum jemand. Dafür ist aus den bisherigen Absichtserklärungen und den vielen Arbeitsgruppen der letzten 21 Monate viel zu wenig Konkretes hervorgegangen. Die einzige Spannung dürfte daher darin liegen, wie die G20 ihr Scheitern verpacken, damit sich die Runde nicht selbst überflüssig macht und im November zum nächsten Häppchengipfel nach Seoul reisen kann.

Und soll man sich nun darüber ärgern, dass die G20 die selbst gestellte Aufgabe nicht erfüllt haben? Ob die Regulierung also wirklich dazu dient, die Finanzwelt “besser” und sicherer zu machen, darf bezweifelt werden. Regulierung macht die Finanzwelt nicht sicherer, sondern komplexer und schafft damit neue Risiken. Viele der diskutierten Maßnahmen sind Regeln zur Vermeidung der Katastrophen von gestern, die mangels Wissen über die Katastrophen von morgen aufgestellt werden. Sinnvoller wäre es, über die Katastrophen von morgen nachzudenken. Aber das ist ein Thema für einen anderen Beitrag.

Ausgewählte Beiträge im Blick Log zur Finanzordnung

G20-Finanzminister-Treffen überflüssig: Die neue Finanzordnung wird scheitern (23.4.10)

Wem die Regulierung im Finanzsektor wirklich nutzt (16.2.10)

Regulierung im Finanzsektor: Die Mindmap der Großbaustellen einer neuen Finanzordnung (4.2.10)

Diskussion und Reaktionen zur Strukturreform im US-Bankensystem (25.1.10)

Ackermann mit vier Lehren auf der Finance Week (17.11.09)

Nahtoderfahrung der Finanzkrise ist verblasst: “Waste of a crisis”? (5.11.09)

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