Web 2.0 für die Finanzbranche (Teil 2): Konkrete Schritte

by Dirk Elsner on 24. März 2010

Von Dirk Elsner* und Florian Semle**

Dieser Abschnitt knüpft direkt an den gestern veröffentlichten ersten Teil dieses zweiteiligen Beitrags an.


Schritte in die neue interaktive Webwelt

Social Media sind eine Frage der Dosis. Der Grad an Offenheit, die kreativen Module und Kanäle und auch die Beteiligung der Mitarbeiter müssen auf die Kultur und den tatsächlichen Bedarf des Unternehmens abgestimmt sein. Deshalb sollte vor jedem Enagement im Web 2.0 eine substantielle Potenzialanalyse durchgeführt und alle weiteren Schritte daran ausgerichtet werden.

Social Media Potenzialanalyse: Jedes Unternehmen verfügt über ein individuelles Potenzial an Kommunikations- und Beziehungsmöglichkeiten im Social Web. Von einer Analyse und Aufstellung dieses Potenzials können Kommunikationsnotwendigkeiten, Implementierungsprozesse und geeignete Aktivitäten abgeleitet werden. Diese Potenzialanalyse umfasst quantiative und qualitative Recherchen und interne Workshops. Sie arbeitet Zielgruppenpotenziale, die wichtigen Meinungsbildner und vor allem die wechselseitigen Verflechtungen der Kommunikatoren im Social Web heraus.

Social Media Strategie: Die Potenzialanalyse legt die Struktur der digitalen Öffentlichkeit eines Unternehmens offen und zeigt die Nischen, die für Geschäft und Marke am geeignetsten für die Kommunikation sind. Diese Struktur wird anschließend anhand der Unternehmens- und Kommunikationsziele bewertet und eine Priorisierung vorgenommen. Hierbei sollten nicht die wichtigsten Player und Netzwerke zuerst angegangen werden, sondern sinnvolle Einstiegszenarien, die es einem Unternehmen ermöglichen, eine Basisreputation aufzubauen und Erfahrungen zu sammeln. Die eigentliche Social Media Strategie ist ein Fahrplan, der Etappen, Medien, Ziele und Ressourcen des Reputationsaufbaus in sozialen Medien darstellt. Auch Notwendigkeiten der internen Kommunikation und des Trainings von Mitarbeitern sollten Teil dieser Strategie sein.

Social Media Tools: Die Unternehmensziele bestimmen, welche Tools und Instrumente des Social Web für ein Unternehmen sinnvoll sind. Es gibt keinen Zwang zu Facebook oder eine Verpflichtung, täglich auf einem Unternehmensblog zu veröffentlichen – auch wenn der Hype zum Thema dies manchmal nahe legt. Die Auswahl und Entwicklung von Plattformen, Communities oder eigener Blogs ist ein teils strategischer, teils kreativer Prozess und hängt stark davon ab, welche Inhalte und Botschaften ein Unternehmen platzieren möchte. Die größten Chancen liegen in genuinen Eigenentwicklungen wie beispielsweise einer eigenen Community, eines Social Media News Rooms oder Adaptionen innerhalb bestehender Plattformen, doch gerade diese Anwendungen stehen eher am Ende einer Social Media Strategie, weil nur eine etablierte Netzöffentlichkeit für genügend virales Potenzial für derart weitreichende und langfristige Entwicklungen sorgen kann. Zunächst sollte also ein Set an Basistools wie interaktivem Service oder Blogs zu ausgewählten Themen eingeführt werden, die Beziehungsgrundlagen im Web schaffen, mit denen später größere, höhere Ziele verwirklicht werden können.

Coaching und Vorbereitung: Die Implementierung von Social Media ist immer ein Lernprozess auf mehreren Ebenen. Vor dem Start müssen die beteiligten Mitarbeiter vorbereitet werden, um sich den Umgang mit der neuen Form von Öffentlichkeit schrittweise aneignen zu können. Simulationen zunächst in einem abgeschlossenen digitalen Raum sind ein gutes Mittel, um Mitarbeiter die eigenen Social Media-Fähigkeiten entdecken und entwickeln zu lassen und Vorbehalte per Selbsttest abzubauen. Auch die Definition einer Social Media Policy, eines rudimentären Regelwerks zum Umgang mit Social Media ist ein sinnvolles Element dieser Vorbereitung, weil gerade für Neuerungen Orientierungshilfen sehr wichtig sind. Social Media sind auch eine Frage von Engagement und Motivation. Für Social Media, bei denen viele Mitarbeiter abteilungsübergreifend eingebunden sind, sollte deshalb eine kleine Implementierungskampagne entwickelt werden, mit der unterhaltsam, klar und zielführend die Grundlagen, Spielräume und der Mehrwert für die Beteiligten vermittelt werden.

Start und Steuerung: Wenn Social Media eingeführt werden, muss häufig zunächst einmal eine gewisse Grundbekanntheit erzeugt werden, bis sich selbst tragende Beziehungen zu den digitalen Meinungsbildnern und Zielgruppen gebildet haben. In der Startphase ist also sehr hohes Engagement und auch eine gewisse Experimentierfreude und Fehlertoleranz erforderlich. Bis sich eine digitale Leserschaft oder eine Resonanzöffentlichkeit aus Lesern, Followern, Bloggern und digitalen Multiplikatoren heraus gebildet hat, müssen Neulinge selbst auf anderen Portalen kommentieren, verlinken und verweisen, um sich selbst eine digitale Starthilfe zu schaffen. Um den Aufwand in dieser Phase beherrschbar zu machen, sollten absehbare Projekte wie z.B. die Komunikation zu einem Event oder einer Produkteinführung längerfristig vorbereitet werden.
Eine etwas einfachere Variante zur Etablierung von 2.0-Anwendungen ist der schrittweise Umbau bestehender Kundenbeziehungen hin zu mehr Interaktivität und Offenheit. Das oben skizzierte Verfahren gilt allerdings auch hierfür und ist nicht weniger anspruchsvoll.
Strategische Planung und methodisches Vorgehen geben die Richtung vor, in die sich die Social Media Aktivitäten entwickeln sollen. In der Umsetzung ist jedoch viel Flexibilität gefragt. Ein Dialog ist ein Prozess mit mehreren Kommunikatoren, der sich nicht von einem alleine steuern lässt. Auch deshalb ist die Dosis, der Einsteigs- und Entwicklungslevel der Social Media Kommunikation entscheidend. Kommunikatoren lernen an Erfahrung und diese sollte genutzt werden, um die eigenen Aktivitäten zu verbessern, anzupassen und immer neu auf die strategischen Ziele einstellen zu können.

2. Anpassung der Produkte und Dienstleistungen an das Web 2.0

Der Einsatz von Social Media Elementen in der Kommunikation wird für Finanzhäuser in bestimmten Geschäftsbereichen immer mehr zur Notwendigkeit werden, weil Kunden eher auf Erfahrungen anderer Kunden vertrauen, als den Versprechungen von Hochglanzbroschüren oder statischen Websites. Finanzhäuser können aber durchaus einen Schritt weiter gehen und und einzelne Leistungen 2.0-fähig machen. Dazu ist es nicht zwingend, alle konstituierenden Merkmale eines 2.0-Banking gleichzeitig zu erfüllen. Vielmehr sollten die eigenen Leistungen darauf überprüft werden, ob und welche Funktionen modifiziert oder gar durch 2.0-Komponenten ersetzt bzw. ergänzt werden können.

Bereits jetzt existieren am Markt Lösungsansätze, die die klassischen Intermediationsfunktionen von Finanzhäusern ausschalten. Genannt seien hier das Peer-to-Peer-Prinzip bei der Kreditvergabe, die Eigenkapitalfinanzierung 2.0 wie etwa Crowdfunding für Startups oder Vorhersagemärkte, die die Intelligenz der Masse für Evaluierungsaufgaben und Prognosen nutzen. Einen ganz hervorragenden Überblick gibt der Blog Finance 2.0 in der Serie „Die Welt der Online Finanzen“ Teil 1 und hierTeil 2.

Einen weiteren Ansatz bietet z.B. die Vermögensverwaltung. Hier hat Ende 2008 der Fall Madoff besonders deutlich gemacht, mit welchen intransparenten Konstrukten Vermögensverwalter und Fonds ihr Geld verdienen. Immer weniger Anleger sind aber bereit, ihr Geld einer Black Box anzuvertrauen. Sie wollen verstärkt wissen, wo konkret ihre Gelder investiert werden. Finanzhäuser könnten hier sehr schnell Transparenz liefern und Vertrauen aufbauen.

Der nächste Schritt, nämlich auch dem Kunden eine hohe Transparenz über Transaktionen, Verwaltungskosten und Provisionen zu bieten, wird unumgänglich sein für Vermögensverwalter und Fonds, die künftig noch Geld im individueller Vermögensverwaltung verdienen wollen. Technisch ist die erhöhte Transparenz z.B. durch einen Drill Down auf Einzelpositionen und -transaktionen schon lange möglich. Sie wird aber trotz MiFID immer noch unzureichend umgesetzt. Wann welche Transaktionen zu welchem Preis und mit welchen Kosten ausgeführt werden, bleibt meist ein Geheimnis der Fondsgesellschaften.

Systematisches Vorgehen notwendig

Die vorgenannten Themen lassen sich vergleichsweise leicht umsetzen, weil sie vorwiegend Veränderungen im Frontend erfordern. Backofficeprozesse und -anwendungen sind davon nicht betroffen. Richtig spannend wird es aber, wenn die Produktgestaltung auf 2.0-Fähigkeit überprüft werden soll. Natürlich muss man hier deutlich systematischer an die Überprüfung der eigenen Angebote gehen.

Hier ist zunächst der relevante Produktkatalog auf seine Problemlösungseigenschaften zu untersuchen und zu kategorisieren. Im Rahmen eines kreativen Prozesses sind mit internen und ggf. externen Fachleuten mögliche 2.0-Ansätze und ihre Potenziale zu entwickeln. Dabei müssen längst nicht alle oben genannten konstituierenden 2.0-Merkmale erfüllt sein. In dieser Phase sollte man sich möglichst frei von it-(organisatorischen) und (aufsichts-)rechtlichen Restriktionen machen. Am Ende dieses Prozesses sollte ein Leistungsset mit Dienstleistungen und Finanzfunktionen stehen, die 2.0-fähig gemacht werden können.
In diesem Schritt ist bereits zu berücksichtigen, dass die bisherigen Leistungen nicht einfach ersetzt werden können, denn traditionelle Finanzhäuser adressieren vorwiegend die „Non-Digital-Natives“ und verdienen mit ihnen (noch) das meiste Geld. Es folgen die auch sonst üblichen Projektphasen, in denen Grobkonzeptionen, Restriktions- und Potenzialanalyse zu erstellen sind. Dazu gehört auch eine Kostenschätzung für die Umsetzung. Erst jetzt kann wirklich eine strategische Entscheidung getroffen und mit der Fachkonzeption und der Umsetzung begonnen werden.

Herausforderung: Synchronisierung der Entwicklungszyklen und Aufbrechen der Wertschöpfungsketten
Finanzhäuser unterliegen aus verschiedensten Gründen organisatorischen, technischen und vor allem rechtlichen Restriktionen. Diese Restriktionen gepaart mit der Komplexität heutiger Finanzdienstleistungen hat zu einer sehr heterogenen System- und Anwendungsarchitektur in Banken geführt. Aus der Komplexität der Prozesse, Applikationen und der Schnittstellenorganisation wiederum folgt, dass Entwicklungen je nach Komplexität von der Konzeptionierung bis hin zur Einführung zwischen zwei und fünf Jahre benötigen. Im Internetzeitalter sind dies bereits 2 Generationen, in denen sich Trends komplett ändern können[1].
Das Netz bietet aber keine Berechenbarkeit. Aber genau dieser Wandel macht es Finanzhäusern so schwer, sich überhaupt auf die Entwicklungen einzustellen. Eine träge, oftmals über Jahrzehnte gewachsene IT-Landschaft und klassische Projektentwicklungszyklen müssen möglicherweise ganz neu gedacht werden. Während im Frontoffice durch die neuen Entwicklungen die Anforderungen an Personalisierbarkeit und Individualisierung steigen, muss in den Folgeprozessen der Bank aus Kostengründen auf Standardisierung wert gelegt werden[2]. Ein Lösungsansatz dafür kann in dem Aufbrechen der Wertschöpfungskette in Vertriebs- und Produktbanken sowie Transaktionsinstituten liegen, wie dies etwa Moormann in einem Beitrag skizziert (siehe diese Abbildung)[3].

Gerade vor dem Hintergrund der vorgenannten Überlegungen könnte es sogar mehr Sinn machen, eher eine neue Bank mit neuer Architektur und neuer Ausrichtung zu gründen, als die bestehende Organisation zu erweitern.

Fazit: Vergesst Werbung, entdeckt den Dialog

Unternehmen der Finanzbranche sollten angesichts der neuen digitalen Entwicklungen und Möglichkeiten weder in Hysterie und Aktionismus ausbrechen, noch sich wieder in die Marketing-Wagenburg zurückziehen, die derzeit merklich erodiert. Gerade in der vertriebs- nicht dialogorientierten Finanzbranche gesellen sich neben der Erschließung neuer Kanäle derzeit noch sehr viele Möglichkeiten für Pionierentwicklungen, die schon deshalb viel beachtet werden, weil sie Neuland betreten.

Die neuen digitalen Potenziale lassen sich allerdings nicht erschließen, indem der klassische Vertrieb mit einigen multimedialen Feigenblättern verziert wird. Vertriebssprüche über Twitter bleiben Vertriebssprüche und erreichen niemanden – außer andere Vertriebler, die genauso wenig interaktiv und offen kommunizieren. Erfolgreiche Social Media verlangen das Einlassen auf die Dialog-Kultur und damit ein Umdenken im klassischen Vertrieb. Corporate-Twitter-Accounts oder youtube-Kanäle werden nur dann in der Kommunikation mit dem Kunden 2.0 erfolgreich sein, wenn Unternehmen wohldosiert zum akzeptierten Gesprächspartner werden, wenn sie sich nach und nach auf einen Change ihrer eigenen Kommunikationskultur einlassen. Innovationen sind immer mit gewissen Risiken verbunden. Doch Unternehmen, die ernsthaft den neuen digitalen Dialog suchen, können sich eines wesentlichen Erfolgsfaktors sicher sein:  Je verschlossener die Branche, desto höher die Wahrscheinlichkeit, mit einer neuen Offenheit erfolgreich in der Kundenkommunikation zu sein.

Teil 1 und 2 sind über diesen Link auch als pfd-Download erhältlich.

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*Dirk Elsner, Bielefeld, war mehrere Jahre als Bereichsleiter einer Bank und Geschäftsführer einer mittelständischen Unternehmensgruppe beschäftigt. Heute berät er für die Innovecs GmbH Banken und mittelständische Unternehmen. Daneben betreibt er den Blick Log, einen Weblog über Wirtschaft, Finanzen, Management und mehr. Twitter: blicklog

** Florian Semle, Fachmann für 2.0-Kommunikation , ist Gründer der freelations kommunikationsberatung2.0 und Blogger auf www.freelations.de, Twitter: floriansemle


[1] War etwa vor zwei Jahren Second Life noch das beherrschende Thema, sind es heute Twitter und Facebook. In zwei Jahren wird wahrscheinlich das mobile Netz zu ganz neuen Anwendungen und Anforderungen führen.

[2] Mehr dazu in: R. Rainer Alt et. al., Eckpunkte für die Universalbank 2015, in Die Bank 3/2010

[3] J. Moormann, Die Transformation der Banken Auf der Suche nach neuen Wertschöpfungsstrukturen, in EFW-Special 2009, abgerurfen über Website Die Bank

enigma März 24, 2010 um 02:06 Uhr

Ich weiß nicht: „social“ und Kredit hat schon immer was miteinander zu tun gehabt. Und die 2.0 Geschichte hat doch nicht etwa was damit zu tun, irgendwelche Pappkameraden aufzubauen?

2.0 könnte was damit zu tun haben, eine andere Vertrauensbasis zwischen Geldhändlern und Geldüberlassern zu etablieren, nur ist irgendwie nicht ersichtlich, was wirklich über das gescholtene 1.0 hinausgehen soll, außer der Selbstdarstellung? Der idR uninformierte Kunde WILL doch meistens garnicht wissen, warum sich sein Geld „vermehrt“ oder wie das im Detail ist. Vorläufer wie z.B. die Ökobank sind doch auch entweder im historischen Nirvana verreckt, oder haben sich den aktuellen Gegebenheiten angepaßt.

Das Problem, was kaum kommunizierbar ist, ist die Geschichte, wie die Bonität von Schuldnern einzuschätzen ist(der selbstdarstellerische Romantizismus der Antragsteller ist weniger als rührend). Letzteres (die Bonitätsgarantie!?) ist nämlich die „Dienstleistung“ von Banken, in Verbindung damit, die Fehleinschätzungen von Bonität zu sozialisieren. Nichts weiter. Nichts gegen „Analyse“, „Media Strategie“, „Tools“ oder „Coaching“. Nur: entscheidend ist, was hinten rauskommt! Das kann schon mal Mist sein.

Was auf jeden Fall Mist ist, ist der Neusprech, Dienstleistungen von Banken als „Produkte“ zu bezeichnen. Das hat natürlich Methode, nur dadurch wird es nicht richtiger!

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