Schwache Ökonomen und Finanzkrisen

by Dirk Elsner on 1. April 2010

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Verteilung des BIP in einem Simulationsmodell

Ist die Finanzkrise eigentlich bereits überwunden? Politiker und Notenbanker lassen sich dafür jedenfalls gern feiern und haben irgendwie vergessen, dass sie der verunsicherten Weltöffentlichkeit vor 18 Monaten eine neue Finanzordnung versprochen hatten. (siehe dazu Video des Satirikers Jo Stewart).

Aber hier soll es gar nicht wieder um die verkorkste neue Finanzordnung gehen, sondern um die Rolle der Ökonomen. Auffällig ist, dass von Ökonomen ob ihrer Analysen und Empfehlungen vergleichsweise wenig Selbstkritik kommt und sie im Gegenteil schon wieder so tun, als sei ganz klar, wo es langgehen solle und was zu tun ist. Dabei haben Ökonomen weder bei der Früherkennung helfen können, noch in der Wirtschaftspraxis ein herausragendes Bild abgegeben. Möglich, dass man in geschlossenen Fachzirkeln und auf Spezialkonferenzen sich auch zweifelnd äußert. In der breiten Wahrnehmung tun die Ökonomen aber wieder so, als wissen sie ganz genau, wo es langzugehen hat.

Von allen Selbstzweifeln befreit ist etwa Michael Hüther in seiner wöchentlichen Kolumne im Handelsblatt. Dort gibt er Woche für Woche seine Kommentare und Empfehlungen in einem Duktus, der jede intellektuelle Bescheidenheit oder Zweifel an der begrenzten Leistungsfähigkeit seiner Zunft vermissen lässt. Oder nehmen wir den Ökonomen Martin Feldstein aus Harvard. Die Wiwo bezeichnet ihn flux als “Starökonomen”, was Zweifel an seiner Kompetenz ausschließen soll. Nachdem andere “Starökonomen” eine weitere Abwertung des Euro erwarten, sieht er einen neuen Höhenflug der europäischen Währung. Und es lässt sich schon jetzt sagen, dass irgendein Ökonom richtig liegen wird mit seinen Prognosen, denn da die Richtungen der Prognosen beliebig sind, wird irgendeiner einen Treffer landen. Ich nenne das Zufall

Aber auch viele andere Ökonomen und Analysten geben weiter ihre Erklärungen, Prognosen und Empfehlungen ab, als sei nichts gewesen. Die Politik erhält dadurch täglich widersprüchliche Empfehlungen. Deren Fundament wird dabei der Öffentlichkeit gar nicht erst vermittelt. Vorläufiger absurder Höhepunkt war die Debatte um den deutschen Export.

Nun steht es mir aber nicht zu, die Ökonomen und ihre Politikempfehlungen zu kritisieren, weil ich mir selbst nicht die Mühe gemacht habe, ihre Leistungen methodisch zu bewerten. Dies haben dagegen Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff, ebenfalls Ökonomen, gemacht in dem Werk: “Dieses Mal ist alles anders. Acht Jahrhunderte Finanzkrisen”. Sie haben akribisch die Daten der Finanzgeschichte von 66 Ländern aus acht Jahrhunderten zusammengetragen und analysiert. Dazu eine Passage aus der Rezension von Nicole Bastian im Handelsblatt (paid content) hervorheben (Unterstreichungen durch mich):

“Nicht nur bei den Staatsschulden weitet das Buch den Blick, zeigt dem Leser die wiederkehrenden Muster, auch für Spekulationsblasen und Banken- oder anderen Finanzkrisen. Dazu gehört, dass sich vor jeder Blase viele kluge Leute finden, die die Übertreibungen und Ungleichgewichte mit den Worten verteidigen: „Dieses Mal ist alles anders“ – und dem Buch seinen ironisch gemeinten Titel verleihen.

Technologische oder Finanzinnovationen, strukturelle Reformen, eine neue Politik – das alles kann der Gesellschaft als Grund der so gefährlichen Denkhaltung dienen, warum die Bewertungen der Vergangenheit nicht gelten und hier und jetzt keine Blase entsteht. Fast lächerlich mutet es heute an, wo wir alle schlauer sind, wenn die Autoren den damaligen US-Notenbankchef Alan Greenspan zitieren mit der Argumentation, die US-Häuserpreise stiegen nur so stark, weil die Möglichkeit der Verbriefung die Häuserkredite einfach liquider mache. Oder Ben Bernankes Argumentation, die hohen Defizite der USA seien tragbar, weil einfach ein weltweiter Sparüberhang entstanden sei, der angelegt werden müsse. Auch der ehemalige Arbeitgeber der beiden Autoren, der Internationale Währungsfonds (IWF), schneidet nicht gut ab, wenn die Ökonomen beschreiben, wie der Fonds im April 2007 die Risiken der Weltwirtschaft noch als extrem niedrig eingestuft hat. Am Ende stellte sich, wie wir alle wissen, heraus, dass im Entstehen der Blase eben nichts anders war – und es durchaus einige Frühwarnsignale gegeben hat.”

Prognosen und Politikempfehlungen von Ökonomen haben angesichts dieser Historie nur Unterhaltungswert, weswegen der Blick Log bereits seit einigen Wochen die Seite mit Berichten über Prognosen nicht mehr aktualisiert. Und auch für die Wirtschaftspraxis haben Prognosen und Weisheiten von Ökonomen allenfalls anekdotischen Charakter für den Smalltalk.

Immerhin traute sich vor einem Jahr das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), auf Prognosen zu verzichten, erntete dafür aber viel Spott aus der eigenen Zunft. Dabei hätte das DIW gar nicht auf Prognosen verzichten müssen, sondern sich einfach nur bewusst machen sollen, dass ökonomische Theorie nicht einer deterministischen Wenn-Dann-Logik folgen darf, sondern bestenfalls der Wahrscheinlichkeitslogik. Daraus folgt, dass es gar keine Punktvorhersagen gibt, sondern bestenfalls Wahrscheinlichkeitskorridore, in denen sich ein Zielergebnisse bewegen können. Wie so etwas aussehen könnte, hatte ich im Oktober einmal ausführlich anhand eines Beispiels dargestellt.

Die Simulation anhand eines einfachen volkswirtschaftlichen Modell zeigte (siehe Abbildung oben), wie sehr das Ergebnis des Bruttoinlandsprodukts schwanken kann, wenn man es mit unsicheren Parametern füllt. Dabei ist die Problematik, dass das Modell selbst falsch sein kann, noch gar nicht berücksichtigt.

Immerhin hat der oben wegen seiner “Weisheiten” gescholtene Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, aus den schwachen Prognoseverfahren Konsequenzen gezogen. Mit dem Handelsblatt und anderen Ökonomen hat er die Prognosebörse EIX initiiert, mit der Vorhersagen nach dem Prinzip der Intelligenz der Masse gefördert werden (dazu im Blick Log zuletzt diesen Artikel).

Nach Darstellung der FAZ über die Mängel der Konjunkturprognosen sollen die Konjunkturforscher nach neuen Methoden suchen. Viel bewirkt habe ihre Suche aber bisher nicht. Neue Ansätze sind auch nach meiner Wahrnehmung die Ausnahme. Die meisten Ökonomen scheinen besessen zu sein vom Laplaceschen Dämon, also dem Bild eines allumfassenden Geistes, der die vollständige Kenntnis eines bestimmten Weltzustandes in einem gegebenen Augenblick besitzt und die Zukunft exakt bestimmen kann. Für den ökonomischen Mainstream scheint Ungewissheit nicht zu existieren und der Glaube an die eigenen Modelle, aus denen dann Empfehlungen abgeleitet werden, unerschütterlich.

Für den Mathematiker und Philosoph Laplace selbst war der Gedanke an diesen Dämon übrigens nicht mehr als eine Metapher, die den Unterschied zwischen dem Begriff der Wahrscheinlichkeit und der Gewissheit verdeutlichen sollte.

Immerhin wird einigen Ökonomen die Begrenztheit der eigenen Zunft bewusst. So hat Gregory Mankiw Ende letzter Woche in der New York Times von den Ökonomen gefordert, anzuerkennen, “was wir nicht tun können”. Die Ereignisse der letzten Jahre haben Wirtschaftswissenschaftlern und Politikern klar gemacht, dass mehr Demut angesagt sei. So erkennt Mankiw an, dass Ökonomen die Wirtschaft nicht besonders gut voraussagen können und dies nie konnten. Es sei daher müßig, im Nachhinein zu kritisieren, dass man auf bestimmte Ökonomen, deren Vorhersagen eingetroffen seien, nicht gehörte hätte. Zu jedem Zeitpunkt gäbe es nämlich eine große Bandbreite von Vorhersagen und Empfehlungen. Welche davon zutreffen, erkennt man erst im Nachhinein. Und auch die FAZ schließt ihren Artikel über Prognosemängel mit einem Aufruf zu Bescheidenheit: “Die Propheten dürften nur künftig nicht mehr den Eindruck erwecken, die Zukunft genau zu kennen.”

Gesamelte Links zur bisherigen Debatte über die Rolle der Ökonomie

Nachtrag

Dieser Beitrag hier war nicht abgestimmt auf die  Jahrestagung der Royal Economic Society (RES) in der südenglischen Universitätsstadt Guildford, über die Olaf Storbeck heute im Handelsblatt berichtet. Aber der Titel „Volkswirte überdenken ihre Theorien“ zeugt davon, dass sich das Nachdenken fortsetzt. Immerhin passt zu der Aufarbeitung, dass die oben erwähnte US-Professorin Carmen Reinhart einen Keynote-Vortrag in Guildford hielt. Leider kann ich dem Bericht von Storbeck nichts substantiell Neues entnehmen, außer der Mahnung, „dass wir bescheiden sein müssen und jedes Modell nur eine grobe Annäherung an die Realität sein kann.“

Eric Schreyer April 1, 2010 um 10:34 Uhr

Hallo Dirk,

das Thema ist sehr wichtig. Im Grunde kann sich jeder, der Prognosen abgibt, nur blamieren. Wer in seiner beruflichen Tätigkeit dazu gezwungen ist, zu prognostizieren, muss die gängige Methodik kritisch hinterfragen. Unsere strukturarme zweiwertige Ursache-Wirkungs-Logik ist der zunehmenden Komplexität der Ökonomie nicht mehr gewachsen. Wer Komplexität reduziert, kommt meines Erachtens nur zufällig zu richtigen Ergebnissen. Vielmehr kommt es darauf an, Komplexität sinnvoll zu handhaben. Dafür bietet beispielsweise die Systemtheorie gute Ansätze.

Ein zweiter Gesichtspunkt ist, dass die CHICAGO BOYS mit ihren idealtypischen Annahmen – „Rationalität der Entscheidungen / des Handelns“, „Allgemeine Gleichgewichtstheorie“, „Effizienz der Finanzmärkte“ – ein bis zwei Generationen von Ökonomen fehl geleitet haben. Wie sehr beispielsweise unsere Entscheidungen von Intuition bzw. von Verhaltensmustern bestimmt wird und überhaupt nicht rational ist, zeigt Dan Ariely sehr eindrucksvoll in seinem Video „Are we in control of our own decisions?“:

http://valuation-in-germany.blogspot.com/2010/03/are-we-in-control-of-our-own-decisions.html

Der so genannte „historische Ansatz“ von Kenneth Rogoff zur Erklärung von Finanzkrisen weist in eine ähnliche Richtung und ist durchaus interessant.

Ökonomen brauchen ein neues Denken und darauf aufbauend eine völlig neue Methodik. Einige haben es ja durchaus erkannt: Benoit Mandelbrot, Robert Shiller, Fredmund Malik u.a.

Beste Grüße und allen ein frohes Osterfest

Eric Schreyer

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