G20-Gipfel in Toronto: 10 Gründe warum die neue Finanzordnung gescheitert ist (Teil 2/3)

by Dirk Elsner on 16. Juni 2010

Nach der Einleitung und den ersten drei Gründen, die nach Auffassung des Blick Logs mitverantwortlich sind für das Scheitern einer neuen Finanzordnung, geht es heute mit dem zweiten Teil der dreiteiligen Serie weiter. Vorab gibt es einen Blick auf die aktuelle Unordnung der Finanzmarktregulierung mit der Mindmap zur neuen Finanzordnung:

Auf image klicken, um die Mindmap zu öffnen.

Und nun geht es weiter mit den Gründen:

4. Internationaler Standortdruck

Aber selbst wenn ein Land es schafft, sich für die Implementierung einer neuen Finanzordnung von innenpolitischen Zwängen frei zu machen, scheitert der Prozess letztlich an den unterschiedlichen internationalen Interessen. Dies hat jüngst das Treffen der Finanzminister in Seoul deutlich gemacht.

Gescheitert sind dort die Reformpläne am Widerstand Japans, Kanadas und Brasiliens. Der Finanzsektor dieser Staaten ist nämlich ohne staatliche Rettungspakete durch die Finanzkrise gekommen. Daher sieht man hier nicht den gleichen Reformbedarf, wie in Europa oder den USA. Aber auch zwischen Europa und den USA gibt es grundsätzliche Auffassungsunterschiede und in Europa allein zwischen Deutschland, Frankreich und England.

Eine Ursache für diesen Streit liegt in dem internationalen Wettbewerbsdruck. Die Finanzindustrie spielt in vielen Staaten eine bedeutende Rolle als Steuerzahler und Arbeitgeber. Es ist unbestritten, dass Industrien tendenziell dort hin wandern, wo die Standortfaktoren optimal sind. Und zu diesen Standortfaktoren gehört nun mal die Regulierung.

5. Kakophonie internationaler Institutionen

Dem Weg hin zu einer neuen Finanzordnung mangelt es an einer stringenten institutionellen Führung. Tatsächlich gibt es kein Gremium und keine Person, die eine neue Finanzordnung kraft ihrer Kompetenz und Macht wirklich vorantreibt. Schaue ich auf die linke Seite der Mindmap der neuen Finanzordnung, dann zähle ich dort bereits 23 direkt oder indirekt einflussnehmende Institutionen. Und dabei sind darin die meisten nationalen Einflussnehmer nicht einmal berücksichtigt.

In jeder dieser Institutionen sitzen Personen, die sich zwar gern mit Analysen und Vorschlägen profilieren, die aber ebenso ein Interesse haben, nicht die Vorschläge anderer Institutionen zur Geltung zu bringen. Daher wird hier nicht mit gemeinsamer Stimme gesprochen, sondern im besten Fall gar nicht miteinander.

In Deutschland denke man nur einmal daran, dass Bundesbank und BaFin um die Finanzaufsicht konkurrieren. Die deutsche Finanzaufsicht wiederum muss befürchten, aufgrund der angedachten europäischen Finanzaufsicht an Einfluss zu verlieren. Europa wird das Kompetenzgerangel wohl weiter verschlimmern, weil hier die Finanzaufsicht auf drei Institutionen aufgeteilt werden soll.

Selbst vergleichsweise einfache Regeln, wie etwa die EU-Prospektrichtlinie stocken in Europa, weil es zwischen EU-Parlament und EU-Kommission unterschiedliche Vorstellungen gibt.

6. Operationalisierung der politischen Absichten scheitert an Komplexität der Praxis

Finanzgeschäfte sind im Prinzip unglaublich simple, denn es geht einzig um die Modellierung bedingter und unbedingter Zahlungsströme in Gegenwart und Zukunft sowie den dazu notwendigen Vereinbarungen zwischen verschiedenen Marktteilnehmern. Welche Komplexität und welche Abhängigkeiten daraus entstehen können, zeigt ein Blick in die Bankpraxis mit hoch komplexen Produkten und entsprechend anspruchsvollen Organisations- und IT-Prozessen. Regulierung erfordert in welcher Form auch immer Änderungen dieser empfindlichen Prozesse. Schon heute aber ist niemand mehr in der Lage, alle Details und Abhängigkeiten nebst den daraus resultierenden Anforderungen an die organisatorische und it-technische Umsetzung zu verstehen.

Wer das nicht glaubt, der werfe einmal einen Blick in die eigentlich als vereinfachend geltenden Einzelfragen zur Abgeltungsteuer oder des vor einigen Wochen in Deutschland erlassenen Verbots von Leerverkäufen für Kreditderivate. Die IT-Probleme, die die Abgeltungsteuer bei vielen Banken verursacht hat, hat die FTD in dem Beitrag "Computer-Chaos bei Deutschlands Banken" dargestellt.

Und diese Probleme dürften nur einen Vorgeschmack darauf liefern, wenn das einzig konkrete Werk zur neuen Finanzordnung, nämlich die Entwürfe für neue Eigenkapitalstandards, umgesetzt werden soll. Dieser ist in der Diskussionsfassung noch so unübersichtlich und voller offener Fragen, dass selbst Fachleute aus Banken und Aufsichtsbehörden bisher nicht alle Auswirkungen einschätzen können.

7. Ausblenden der Kernfrage Moral Hazard

Die Bailouts durch die staatlichen Rettungsaktionen für Banken (im direkt im Herbst 2008 und indirekt durch den kürzlichst geschaffenen europäischen Rettungsfonds) haben die asymmetrischen Anreizstrukturen des Finanzsektors im Grunde bestätigt. Aus Sicht der Banken war es optimal, ein risikoreiches Portefeuille zu halten und über Kredite zu finanzieren, da die Bankeinlagen garantiert waren. Das von der einzelnen Bank zu tragende Risiko und das für die Gemeinschaft sind damit auseinander gefallen. Da die Banken über nur geringes Eigenkapital verfügen, war das private Risiko der Finanzinstitute gering. Für die Banken besteht nun erst Recht der Anreiz, alle potentiellen Gewinnmöglichkeiten auszuschöpfen und die mit ihnen verbundenen Risiken (moral hazard) zu vernachlässigen. Dies kann zu weiterer Risikoakkumulation innerhalb des Finanzsektors führen (vgl. Christian Cobbers in “Die Globalisierung der Finanzmärkte als wirtschaftsethische Herausforderung”).

Die Wirtschaftspolitiker wären jetzt eigentlich gefragt, den ordnungspolitischen Rahmen wieder so ins Lot zu bringen, dass es kein “to big to fail” mehr geben kann. Das muss zwar nicht bedeuteten, Banken ab einer bestimmten Größe zu zerschlagen und aufzuteilen (siehe auch Risikoanreize aus der impliziten Bestandsgarantie für Finanzinstitute), es muss aber dringend an dieser Frage gearbeitet werden.

Finale am Freitag

Am Freitag wird diese Miniserie abgeschlossen mit den Gründen acht bis zehn und einem Fazit.

8. Effiziente Lobbyarbeit

9. Fehlende Konzept auf allen Seiten

10. Mangelnde öffentliche Kenntnisse

Blick in die Schlagzeilen zur Finanzmarktregulierung in dieser Woche

HB: Regulierung: Deutsches Bankensystem geht planlos in die Zukunft (15.6.10): Bankenabgabe, Transaktionssteuer, Verbot von Leerverkäufen – Politiker und Aufseher wollen Kreditinstitute künftig stärker kontrollieren, um neue Staatshilfen und eine neue Bankenpleite zu verhindern. Allerdings fehlt ein „Masterplan“ für die deutsche Bankenl

HB: Reform der Reform: Brüssel entschärft Kapitalregeln für Banken (15.6.10): Die Lobby-Arbeit der europäischen Banken hat gewirkt: Teile der geplanten Eigenkapitalreform sollen milder ausfallen als bislang vermutet. Davon betroffen sind die Regeln für Wertpapiere im Handelsbuch von Banken.

FTD: Verbot von Leerverkäufen – Brüssel bremst Merkels Spekulantenjagd (14.6.10): Bundeskanzlerin Merkel und Frankreichs Präsident Sarkozy fordern harte Regeln für Leerverkäufe und Kreditderivate. Die EU-Kommission ist anderer Ansicht und bevorzugt mehr Kompetenzen für die Aufsicht im Notfall. Streit ist programmiert.

FTD: Finanzmarktreform – Schiedsrichter für die Banken (14.6.10): Kommentar Die Bundesregierung schiebt den Umbau der Finanzaufsicht auf die lange Bank. Das ist ein Fehler. Neue Finanzmarktregeln brauchen erst recht schlagkräftige Aufseher.

FTD: Basel III – Aufseher kuschen vor Bankenlobby (13.6.10): Erneuter Erfolg für die mächtige Bankenlobby: Der einflussreiche Baseler Ausschuss, in dem Notenbanker und Aufseher aus 27 Ländern sitzen, gesteht der Branche längere Übergangsfristen zu, um die neuen Kapitalregeln einzuführen – die zudem weniger harsch ausfallen sollen als angedacht

MM: EU plant europaweite Bankenabgabe (13.6.10): Wenn schon nicht weltweit, dann zumindest in Europa: Die EU-Spitzen werden sich bei ihrem Treffen kommenden Donnerstag in Brüssel voraussichtlich für die Einführung einer europaweiten Bankenabgabe aussprechen. Bis Oktober müssten die einzelnen Staaten die Vorgabe dann umsetzen.

HB: Banken:  Regulierung kostet fast zehn Millionen Jobs (11.6.10): Die Bankenlobby IIF will eine weitreichende Regulierung verhindern. Um seine Forderung zu untermauern, rechnet der Verband ein Szenario vor, nach dem sich die neuen regeln extrem negativ auf das Wirtschaftswachstum und die Arbeitsplätze auswirken würden. Die Banker plädieren für die richtige Balance.

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