Vor G20-Gipfel in Toronto: 10 Gründe warum die neue Finanzordnung gescheitert ist (Teil 1/3)

by Dirk Elsner on 14. Juni 2010

Am 25. und 26. Juni werden sich die Regierungschefs der 20 “wichtigsten” Industriestaaten in Toronto treffen. Dort wird abschließend das beerdigt, was auf dem Weltfinanzgipfel im Herbst 2008 mit viel staatspolitischem Pathos neue Finanzordnung getauft wurde.

Natürlich werden die Vertreter der G20 das Scheitern einer gemeinsamen Finanzordnung nicht einräumen und rhetorisch anders verpacken. Inhaltlich wird die Erklärung aber nicht darüber täuschen, dass die westlichen Industriestaaten so gut wie nichts in den vergangenen 24 Monaten erreicht, geschweige denn umgesetzt haben. Im Gegenteil: Mittlerweile, und das hat das vorbereitende Treffen der Finanzminister am vorvergangenen Wochenende in Seoul gezeigt, sind die Staaten untereinander heillos zerstritten.

Der Blick Log war bereits im Herbst 2008 vor dem als Bretton Woods II hochgejazzten Weltfinanzgipfel skeptisch und zweifelte an einer neuen Ordnung. Gleichwohl begleitete diese Webseite den Prozess seit dem Ausbruch der heißen Phase der Finanzkrise im Herbst 2008. Das Ergebnis ist ein umfangreiches (Tracking eigener und vieler weiterer Artikel auf dieser Seite). Daneben wird der aktuelle Stand der Diskussionen nebst der bisher verabschiedeten Regeln in dieser Mindmap in Struktur gebracht.

Genug der Vorrede. Nun ist es Zeit, sich Gründe für das Scheitern anzuschauen. Hier zunächst die ersten drei Gründe in ungewichteter Reihenfolge. Der Beitrag am Mittwoch macht weiter mit den Gründen vier bis sieben. Am Freitag folgen die letzten drei Gründe und ein abschließendes Fazit:

1. Keine Einigkeit über die Ursachen der Finanzkrise

Maßnahmen setzen grundsätzlich eine Analyse des Istzustandes und der Ursachenforschung voraus. Die politische Elite vermittelt der Öffentlichkeit gern den Eindruck, die Ursachen der Finanzkrise seien klar. In Wirklichkeit ist dies nicht der Fall.

Über die Ursachen der Finanz- und Wirtschaftskrise gibt es nämlich eine kontroverse Diskussion, die aber mittlerweile vorwiegend unter Fachleuten geführt wird. Über die verschiedenen auslösenden Faktoren (siehe dazu die Mindmaps über fundamentale Ursachen und Mindset der Finanzkrise) herrscht keineswegs Einigkeit. Dies ist allerdings auch ein Problem der Ökonomen selbst, die nicht in der Lage sind, wie etwa die Klimaforscher, eine einheitliche Handlungsempfehlungen abzugeben.

An einer wirklichen Aufarbeitung der Finanzkrise besteht politisch dagegen kaum noch Interesse. Während in den USA immerhin die Financial Crisis Inquiry Commission (siehe Bericht zum Auftakt hier) versucht, die Ursachen der Finanzkrise zu verstehen, mangelt es in Deutschland an einer vergleichbaren Untersuchung (siehe dazu Aufarbeitung der Finanzkrise stockt).

Und möglicherweise wirken Vorschläge gar kontraproduktiv, wenn sie ausschließlich auf Basis von Vorurteilen getroffen werden (Beispiel: Spekulanten müssen gezämt werden).

2. Keine Selbstkritik an bestehender Regulierung

In der öffentlichen Debatte wird häufig so getan, als sei der Finanzsektor weitestgehend unreguliert. Das Gegenteil ist der Fall. Ich empfehle dazu für Deutschland einen Blick in einen Bericht des Bundesfinanzministeriums über die “Bürokratiekostenbelastung im Finanzmarktbereich” zu werfen. Tatsächlich ist kaum ein Wirtschaftssektor so stark reguliert, wie der Finanzbereich.

So wäre zumindest zu fragen, ob nicht einige Vorschriften womöglich kontraproduktiv sind. So sind etwa die "Baseler Grundsätze" seit 1997 der Maßstab für die Bankenaufsicht. Forscher von IWF und Weltbank haben aber festgestellt, diese Regeln sind offenbar wirkungslos und sogar schädlich (siehe dazu HB: Bankenaufsicht: Gute Ideen – aber leider wirkungslos (3.5.10).

Die Erarbeitung von Maßnahmen setzt daher unbedingt voraus, dass man sich mit den Schwächen der bisherigen Regulierung intensiv auseinandersetzt. So haben die Eigenkapitalvorschriften Basel II eine erhebliche Mitschuld an der Finanzkrise. Diese Vorschriften erst haben dazu geführt, Kreditrisiken an der Aufsicht vorbei verstärkt auf unregulierte Nichtbanken auszulagern. Und auch die Diskussion um die prozyklischen Wirkungen der internationalen Bilanzierungsvorschriften ist mittlerweile eingeschlafen. Hier sind bislang allenfalls kosmetische Änderungen in Sicht.

Die Summe der bisherigen Regulierungen hat außerdem zu einer Komplexität in der Bankensteuerung und einem Kostenapparat geführt, der kaum noch beherrschbar ist. Die Ertragsspanne pro Geschäft muss deutlich höher liegen als noch vor 10 Jahren, um die mit den Regulierungsvorschriften verbundenen Kosten abzudecken. Daneben führt die Regulierung zu einer Fragmentierung von Entscheidungsebenen in Front-, Middle- und Backoffice sowie zentraler Risikosteuerung. So sind klare Verantwortliche für “schlechte Geschäfte” kaum noch auszumachen. Und wenn viele die Verantwortung tragen, dann trägt sie am Ende niemand, zumindest wenn es schlecht läuft.

3. Priorität politökonomischer Interessen

Eigentlich sollte man meinen, nach dem Gemeinschaftserlebnis der finanziellen Nahtoterfahrungen im Herbst 2008 würden die Länderregierungen allen gemeinsam an einem Strang ziehen und müssten ein Interesse an der Problemlösung haben. Dies war auch für wenige Wochen im Herbst 2008 der Fall.

Es ist aber eine verbreitete Legende, dass Politiker die Bevölkerungsinteressen vertreten. Tatsächlich versuchen sie einen Politikmix zu finden, der ihnen die Wiederwahl ermöglicht. Und dies ist nicht das Gleiche. Man denke nur daran, wie die deutsche Wirtschaftspolitik sich im vergangenen Jahr am Ende ohne Ergebnis für Opel engagiert hat. Der dafür verwendete Zeit- und Ressourceneinsatz stand in keinem Verhältnis zur Bedeutung von Opel (siehe Mindmap zur Opelrettung) für die deutsche Wirtschaft.

In allen Ländern wird die Politik von innenpolitischen Interessen dominiert. Das war bereits im Herbst 2008 zu beobachten, als in den USA George Busch als Lame Duck regierte und sich Obama und McCain mit unterschiedlichen pragmatischen Entwürfen für eine Neuordnung des Finanzsektors zu positionieren versuchten. Trotz der Einigkeit in den USA, es müsse etwas getan werden, ist die Finanzmarktreform seit damals nicht voran gekommen. Aufgrund der Sitzverteilung im US-Kongress, vor allem aber wegen des Abstimmungen blockierenden “Filibustern" ist die Reform seit Monaten blockiert (siehe auch Obamas Probleme mit dem Gesetz).

Fortsetzung am Mittwoch

Dieser in den letzten Wochen entstandene Beitrag hat für einen Blogbeitrag einen deutlich größeren Umfang, als erwartet, so dass daraus nun eine dreiteilige Miniserie entstanden ist. Am Mittwoch folgt die Fortsetzung und am Freitag der letzte Teil mit einem abschließenden Fazit. Hier schon vorab die Gründe vier bis zehn:

4. Internationaler Standortdruck

5. Kakophonie internationaler Institutionen

6. Operationalisierung der politischen Absichten scheitert an Komplexität der Praxis

7. Ausblenden der Kernfrage Moral Hazard

8. Effiziente Lobbyarbeit

9. Fehlende Konzept auf allen Seiten

10. Mangelnde öffentliche Kenntnisse

nixda Juni 14, 2010 um 16:28 Uhr

Kleine Leseempfehlung von mir zum Thema:

Ross Levine von der Brown University findet die Urschen der Krise in der falschen (De-)Regulierung und konsequenterweise müsste der Weg aus der Krise dann über die Rücknahme bestimmter Vorgehensweisen der Aufsichtsbehörden passieren:

An Autopsy of the U.S. Financial System:
Accident, Suicide, or Negligent Homicide?

http://www.econ.brown.edu/fac/Ross_Levine/other%20files/Autopsy-4-13.pdf

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