Lost in Toronto: Nutzloses G-20-Gipfeltreffen in Kanada (mit Presse- und Blogvorschau)

by Dirk Elsner on 25. Juni 2010

Wonder Mountain

Torontos einziger Gipfel: Wonder Mountain (Foto: flickr/OliverN5)

Toronto ist eigentlich eine gipfelfreie Zone. Den einzigen Gipfel, den eine Suche auswirft, ist der des Wonder Mountain im Wonderland Park. Und vielleicht müssen die Gipfelteilnehmer genau diesen erklimmen. Die Erwartungen des Blick Log an das heute in Toronto beginnende Treffen der Staatschefs der 20 Staaten, die sich selbst für am ökonomisch bedeutendsten halten, sind nämlich ausgesprochen niedrig. Vielleicht hilft da nur noch ein Wunder.

Jedenfalls dürfte anders eine verbindliche Einigung auf das, was man 2008 einmal hochtrabend als neue Weltfinanzordnung bezeichnete, reine Illusion sein. Allenfalls auf anderen Schauplätzen werden die 20 Damen und Herren vielleicht einen Achtungserfolg erringen.

Aber ausgerechnet Angela Merkel will, dass Thema Finanzmarktregulierung für die 20 Industriestaaten zum Leitthema machen. Ich bin wirklich gespannt, wie sie das anstellen will. In einer dreiteiligen Serie hatte der Blick Log bereits 10 Gründe dargelegt, warum die neue Finanzordnung gescheitert ist (Teil 1, Teil 2 und Teil 3 sowie Mindmap zur neuen Finanzordnung).

Die Regierungschefs werden uns nach dem Gipfel wieder erklären, warum sie nun doch die Weichen gestellt und der nächsten Finanzkrise vorgebeugt haben. Glaubhaft wird das nicht, denn nach den bisherigen Absichtserklärungen und der Arbeit vieler “Sherpagruppen” hält man kaum Zählbares in der Hand. Das gilt für die öffentlichkeitswirksamen Themen, wie etwa die Finanztransaktionssteuer oder eine Bankenabgabe, und auch für die regulatorisch „harten“ Themen, wie neue Eigenkapital- und Liquiditätsrichtlinien.

Die Spannung dürfte daher allein darin liegen, wie die G20 ihr Scheitern verpacken, damit sich die Runde nicht selbst überflüssig macht und im November zum nächsten Häppchengipfel nach Seoul reisen kann.

Und soll man sich nun jetzt schon darüber ärgern, dass die G20 die selbst gestellte Aufgabe nicht erfüllen werden? Ob die konzeptlos anmutenden Regulierungsvorschläge wirklich dazu dienen, die Finanzwelt “besser” und sicherer zu machen, darf bezweifelt werden.

Die Umsetzung eines Teils der vielen diskutierten Regulierungsfragmente macht die Finanzwelt nicht sicherer, sondern vor allem noch komplexer und schafft damit neue Risiken. Viele der diskutierten Maßnahmen sind Regeln zur Vermeidung der Katastrophen von gestern, die mangels Wissen über die Katastrophen von morgen aufgestellt werden. Sinnvoller wäre es, über die Katastrophen von morgen nachzudenken und wenigstens die Rahmenbedingungen dafür zu setzen, dass das Moral Hazard der Finanzindustrie endlich aufhört.

Die Bailouts durch die staatlichen Rettungsaktionen für Banken (im direkt im Herbst 2008 und indirekt durch den kürzlich geschaffenen europäischen Rettungsfonds) haben die asymmetrischen Anreizstrukturen des Finanzsektors im Grunde bestätigt. Für die Banken bestehen weiter Anreize, potentielle Gewinnmöglichkeiten auszuschöpfen und die mit ihnen verbundenen Risiken (moral hazard) zu vernachlässigen. Dies kann zu weiterer Risikoakkumulation innerhalb des Finanzsektors führen (vgl. Christian Cobbers in “Die Globalisierung der Finanzmärkte als wirtschaftsethische Herausforderung”).

Die Wirtschaftspolitiker waren bereits vor zwei Jahren gefragt, den ordnungspolitischen Rahmen wieder so ins Lot zu bringen, dass es kein “to big to fail” mehr geben kann. Passiert ist nichts.

Ob man Banken ab einer bestimmten Größe zerschlagen und aufteilen sollte (siehe auch Risikoanreize aus der impliziten Bestandsgarantie für Finanzinstitute), ist fraglich. Wirkliche Alternativen wurden aber kaum diskutiert. Dabei muss an dieser Frage dringend gearbeitet werden. Kaum vorstellbar jedoch, dass der Gipfel dies schafft.

Medienvorschau auf den Gipfel

FTD: G20-Gipfel Merkel am Morgen vertreibt weder Kummer noch Sorgen Seit Tagen treiben Obama und andere US-Politiker die Kanzlerin vor sich her. Ihre These lautet, Deutschland spare die Welt kaputt. Das treibt die Kanzlerin vor dem Abflug nach Toronto ins Studio des ARD-„Morgenmagazins“ – wo sie zeitweise ziemlich ratlos wirkt.

HB: Vor G20-Gipfel: Streit um deutsche Politik: „Unsolides Finanz-Gebaren ist keine US-Spezialität“ (24.6.10): Unmittelbar vor Beginn des G20-Gipfels gewinnt der transatlantische Streit über die Wirtschaftspolitik Deutschlands an Schärfe. Die Bundesregierung wehrt sich energisch gegen den Vorwurf, mit ihrem Sparkurs die Erholung der Weltwirtschaft zu gefährden. Dabei geht es inzwischen nicht mehr nur um die aktuellen Probleme. Ein alter Streit flammt auf: Wer trägt die Hauptschuld an der globalen Krise?

Gärtners Blog: Die G20 klammern sich in Toronto an das bißchen Wachstum: Sie bestreiten 80% der globalen Wirtschaftsleistung. Sie treffen sich Samstag und Sonntag in Toronto um zu beraten, wie die Erholung nach der Krise seit 2008 gerettet werden kann. In Europa wie auch in den USA und China sind die Bremsspuren in der Konjunktur nicht mehr zu übersehen, nachdem monatelang

FTD: Finanzreform Das kanadische Bankenwunder (24.6.10): Kanada ist der Gastgeber des G20-Gipfels und besticht durch ein solides Bankensystem. Geschuldet ist das einer klugen Regulierung. Sogar Obama-Berater Volcker ist ein Fan des kanadischen Modells: Im Land kann man nicht nur gut angeln, sondern auch sicher Geld abheben.

FAZ: G-20-Gipfel –Kanada preist sich als Vorbild für andere Staaten (24.6.10): Der Gastgeber des Gipfeltreffens am Wochenende ist gut durch die Krise gekommen. Keine kanadische Bank musste gerettet werden. Das liegt auch daran, dass Kanada schon lange höhere Eigenkapitalstandards für Finanzinstitute setzt.

RE: Toronto-G20-Gipfel: Wachsende Unstimmigkeiten (24.6.10): Der G20-Gipfel am kommenden Wochenende in Toronto wird die zunehmenden Unstimmigkeiten insbesondere zwischen den USA und Europa insbesondere Deutschlands hinsichtlich der weiteren Schritte zur andauernden globalen Finanz- und Wirtschaftskrise deutlicher als bisher hervortreten lassen. Die Zeiten der Einigkeit seit dem Pittsburgh-Gipfel sind mit der Stabilisierung der Weltwirtschaft und der teilweisen Erholung der Finanzmärkte seit der Lehmann-Pleite vorbei.

Spon: G-20-Gipfel in Toronto – Show des Scheiterns (24.6.10): Die 20 mächtigsten Staats- und Regierungschefs treffen sich zum Megagipfel in Kanada – doch die Zeichen stehen schlecht. Ob Bankenabgabe, Schuldenabbau oder Spekulantensteuern: Überall droht Streit. SPIEGEL ONLINE analysiert, welche Regierung wofür kämpft. Und wieso Merkel ein Problem bekommt.

EAD: Finanzmarkt-Regulierung – Zwischenetappe Toronto (22.6.10): Es ist nichts passiert – so das oft gehörte Credo zur Finanzmarktregulierung. Tatsächlich dauern die in der Krise angestoßenen Reformen Jahre. Berlin sieht zwar auch den G20-Gipfel in Toronto nur als „Zwischenetappe“, die Regulierung insgesamt aber auf dem richtigen Weg. Die Bankenabgabe könnte weltweit kommen, die Finanzmarktsteuer hat auch in der EU viele Gegner. EurActiv.de gibt einen Überlick.

BDG: Show-down vor Toronto: Wachstum oder Konsolidierung oder beides? (24.6.10)

ÖB: Trübe Aussichten für Toronto (24.6.10)

Zeit: Finanzregulierung – Streit um Sparpolitik spaltet G 20: Sparen oder in den Konsum investieren? Erste Verhandlungen vor dem G-20-Gipfel zeigen: Eine gemeinsame Abschlusserklärung liegt in weiter Ferne.

FAZ: G-20-Gipfel – Impuls oder Bremse (22.6.10): Die Konferenz der G-20-Staaten ist die Koordinierungsinstanz der Weltwirtschaft. 2008 erhoffte man sich von dort die Rettung. Doch heute herrscht Dissens über Bankenabgabe und Finanzmarktsteuer.

FR: Wirtschaftsgipfel – G8 war gestern – G20 soll 21. Jahrhundert bestimmen (22.6.10):  Wenn die Staats- und Regierungschefs der acht führenden Industrienationen (G8) am Freitag und Samstag im kanadischen Feriengebiet Muskoka gemeinsam in die Kameras lächeln, wird das Gipfelbild wie ein Erinnerungsfoto an vergangene Zeiten, an die Weltordnung des ausgehenden 20. Jahrhunderts wirken.

Spon: Kritik am G-20-Gipfel – „Schleichende Entwertung der Weltorganisationen“ (22.6.10): Wenn sich die 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer in Toronto treffen, ist das für Norwegens Außenminister einer der „größten Rückschritte seit dem Zweiten Weltkrieg“. Im Interview mit SPIEGEL ONLINE erklärt Jonas Gahr Støre, warum das Mega-Gremium nicht funktionieren kann.

FAZ: Haushaltspolitik-Streit vor G-20-Gipfel – Kanada vermittelt (22.6.10): Kanada schlägt einen Kompromiss vor, Berlin spielt den Konflikt herunter, doch es ist nicht zu übersehen: Der Zwist zwischen Europa und Amerika über das Sparen in der Krise schwelt vor dem G-20-Gipfel weiter. Derweil haben sich die deutsche, britische und französische Regierung für eine Bankenabgabe ausgesprochen.

Spon: Gipfeltreffen in Kanada – Beim G-20-Gipfel droht die große Blockade: Bankenabgabe und Finanzsteuer: Mit diesen Vorschlägen reisen die europäischen Regierungschefs zum G-20-Gipfel nach Kanada. Doch die Gastgeber und die USA stellen sich quer. Sie fürchten um den Aufschwung. Das Treffen könnte ein bitterer Fehlschlag werden.

Previous post:

Next post: