Wenn Sie wissen wollen, wie sich Unternehmen gegen Veröffentlichungen von WikiLeaks und “Angriffe” aus dem Netz schützen können, …

by Dirk Elsner on 15. Dezember 2010

dann sollten Sie diesen Artikel nicht lesen, sondern sich durch diese Bildergalerie im Handelsblatt klicken.  Es gibt aber kein Patentrezept gegen Angriffe aus dem Netz, selbst wenn dies viele “Experten” versprechen und Dienstleister entsprechende Hilfe anpreisen.

Über den Kampf der Wirtschaft gegen die für WikiLeaks eintretenden Netzaktivisten war und ist viel zu lesen in diesen Tagen. In einigen Unternehmen wächst die Sorge, ebenfalls “virtuellen Angriffen” ausgesetzt zu sein. Unternehmen können sich dagegen zwar mit einigem Aufwand technisch wehren, jedoch nicht gegen die “sozialen Angriffe”. Und statt sich vor dem so genannten “Social Web” zu schützen (schon der Begriff Schutz offenbart einen zentralen Denkfehler), sollten sich Unternehmen lieber intensiver mit dem Wesen des “Web 2.0” beschäftigen und es nicht als Gegner sehen.

Verschlossenheit, Intransparenz und mangelnde Einbeziehung als Schwäche

Durch das Aufwachsen mit dem «Netz» erwartet nämlich die zunehmend in wichtige Positionen drängende junge Generation eine ganz andere Form der Information und Kommunikation, als dies Unternehmen gewohnt sind. Verschlossenheit, Intransparenz und mangelnde Einbeziehung werden immer öfter zu einem Ausschlusskriterium und zunehmend als Schwäche der Unternehmen gewertet. Dieser Paradigmenwandel verunsichert freiliche viele Manager, die es gewohnt waren selbst die Informations- und Kommunikationsfäden oft als Machtinstrument in den Händen zu halten.

Das Handelsblatt hatte vor einigen Wochen herausgearbeitet, dass sich viele Manager im Umgang mit dem Mega-Netzwerk Facebook vor Fehlern fürchten. Furcht ist aber bekanntlich ein ganz schlechter Ratgeber. Eine gute Chance, nicht aus dem Netz “angegriffen” zu werden, haben Unternehmen, wenn sie sich ernsthaft mit der Philosophie des Web 2.0 auseinander setzen. Dazu gehört, gerade nicht etwa Dienste wie Facebook oder Twitter lediglich als Marketing- oder Presse-Kanäle für die eigenen Botschaften einzusetzen, sondern wirklich zunchst die 2.0-Philosophie zu begreifen, zu verinnerlichen, um  sich dann behutsam an die Nutzung heran zu tasten.

Was macht das Social Web oder Web 2.0 aus Sicht der Unternehmenspraxis aus?

Vor einigen Monaten habe ich gemeinsam mit Florian Semle dazu einige wichtige konstituierende Merkmale herausgearbeitet:

  • offene und gleichberechtigte Kommunikation der (potentiellen) Kunden untereinander und mit dem Dienstleister
  • hohe Transparenz über Leistungen und Gegenleistungen
  • Gestaltung durch und Mitwirkung der Kunden an den Dienstleistungen (= Kollaboration: kooperative Informations- und Leistungsergänzung)
  • Verbreitung von Informationen in Echtzeit
  • fallbezogene, pragmatische und interaktive Herangehensweise (= Selbstorganisation)

Abschied vom Selbstbetrug im Marketing und in der Unternehmenskommunikation

Verbunden mit der neuen Kultur ist freilich der Abschied von manchen Prinzipien, die bisher zum Fundament der Außendarstellung eines Unternehmens gehörten. Dieser Abschied ist gleichzeitig eine sinnvolle Desillusionierung, weil er manchem Selbstbetrug der heiteren klassischen Marketing-Welt aufräumt, wie Florian und ich im März schrieben:

  • Kritik ist nicht gefährlich, weil sie im sozialen Internet plötzlich wahrnehmbar wird. Im Gegenteil: Die nicht wahrgenommene, nur gedachte oder einzeln geäußerte Kritik ist viel bedrohlicher, weil auf sie nicht reagiert werden kann. Kunden können Fehler verzeihen, wenn das Unternehmen darauf adäquat reagiert. Wirklich unverzeihlich ist die Ignoranz, die vielen Kunden in kritischen Situationen entgegen schlägt.
  • Der “Kontrollverlust”, der mit der Kommunikation im Web 2.0 einher geht, ist in Wahrheit eine Kontrollverlagerung hin zu den Kunden, die selbst Meinungen artikulieren und das Verhalten des dienstleistenden Unternehmens in gewisser Weise sogar beeinflussen können. Die Chance liegt dabei in einer wirklichen Nähe, in einer Art Partnerschaft mit den Kunden, die mehr zur Loyalität und Markentreue beitragen kann, als viele millionenschwere Werbekampagnen.
  • Die Delegation von Kommunikationsaufgaben weg von der Cheftetage und dem Pressesprecher hin zu weiteren Mitarbeitern ist kein Verlust an Kontrolle, sondern ein Gewinn an Möglichkeiten. Mitarbeiter sind so oder so wichtige Botschafter des Unternehmens, ob das jetzt von oben gewünscht ist oder nicht. Über die Integration in die Unternehmenskommunikation dürfte die Konsistenz der Botschaften zum Unternehmen deshalb langfristig eher noch steigen, weil sich auch die nicht offiziellen Kommunikatoren integrieren lassen.
  • Die Furcht vor Image-Schäden ist sicherlich nicht unbegründet, aber ihre Ursache liegt nicht im Social Web. So manche zwanghaft positiv verpackte Leistung oder Werbeaussage ist inzwischen durch die Realität eingeholt und konterkariert worden. Insofern liegt die Ursache vieler Image-Schäden nicht im Web, sondern im Unternehmen. Im direkten digitalen Dialog liegen sogar Chancen, verloren gegangenes Vertrauen wieder zurück zu gewinnen, indem Unternehmen nicht länger auf werbliches Eigenlob setzen, das ohnehin kaum jemand glaubt oder überhaupt wahrnimmt.

Natürlich, der Auftritt in sozialen Netzen ist nicht frei von Risiko. Dennoch ist spätestens jetzt die Zeit gekommen, sich im Land der „digitalen Außenseiter“ (Netzökonom der FAZ) intensiver mit den Chancen der neuen Entwicklungen zu befassen. Dies erhöht deutlich die Wahrscheinlichkeit, unbeschadet einen virtuellen Tsunami zu überstehen.

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