Business Insider und Zero Hedge als Vorbilder für deutsche Wirtschaftsblogs: Rotzfrech mit fachlicher Tiefe

by Dirk Elsner on 6. Mai 2011

In einem Beitrag in der vergangenen Woche zum Umgang der Medien mit der Finanzkrise habe ich versprochen an Beispielen aufzuzeigen, wie man knochentrockene Wirtschafts- und Finanzthemen unterhaltsam vermitteln und damit erfolgreich sein kann. Schon seit langer Zeit sehe ich die beiden US-Wirtschaftsblogs “Zero Hedge” und “Business Insider” als die Blaupausen dafür an, wie man abseits des Mainstream mit großer Kompetenz und sehr unterhaltsam Wirtschaftsthemen anpacken kann.

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Vielleicht könnten diese Blogs ein Vorbild für einen professionellen deutschen Wirtschaftsblog sein, den es so in dieser Form noch nicht gibt. Wirtschaftsnachrichten werden in Deutschland mit wenigen Ausnahmen knochentrocken und quasi mit Manschette und steifen Hemdkragen vermittelt (als Ausnahme fallen mir nur Blogs und hier z.B. egghat und Thomas Strobel von Weissgarnix ein). Die deutsche Wirtschaftsblogszene lebt zwar, aber ihr fehlt noch in der Breite die Akzeptanz.

Genau diese haben sich Zero Hedge und vor allem der Business Insider erarbeitet, die mittlerweile auch von US-Medien häufig als Quelle zitiert werden (einfach mal bei Google News eingeben). Und auch wenn der Screenshot oben aus dem Business Insider dies suggerieren sollte, sie beschränken sich keinesfalls auf seichten Business Small Talk, sondern bieten ein breite Palette. Darunter können schon mal seichte Themen sein, wie “Huge Internet Sex Study Reveals What People Really Want”. Eine große Stärke des Business Insider ist es, Fundstücke im Netz zu finden und diese zum Teil mit rotzfrecher Sprache zusammenzufassen, ohne die Substanz des Beitrags zu trivialisieren.

In “Hedge Fund Gossip Leads to Poor Performance and Increased Risk” etwa schlachten sie eigentlich nur einen Artikel der seriösen Financial Times aus “Hedge fund gossip has a bad effect” über eine Studie, die in akademischer Sprache verfasst ist und deren Lektüre zum Einschlafen ist. Bemerkenswert, dass etwa das Wall Street Journal ebenfalls auf die Studie hinweist und als Quelle nicht die FT angibt, sondern Business Insider.

Zum Erfolgsgeheimnis der Webseits gehört möglicherweise auch eine gehörige Portion Respektlosigkeit gegenüber etablierten Institutionen, wie etwa der Rating Agentur Standard & Poors. In einem Beitrag verhöhnt die Webseite regelrecht S&P wegen eines negativen Ausblicks für das Japan Rating: „nobody cared about a trivial S&P call,“ ist zu lesen.

Der gemessen am Alexa Ranking und an der Zahl der Beiträge kleinere Blog Zero Hedge ist eher auf die Finanzbranche spezialisiert und kommt ebenso bissig rüber, wie der Business Insider. Auch der unter dem Pseudonym Tyler Durden (eine Figur aus dem Film Fight Club) schreibende Gründer von Zero Hedge kann ordentlich austeilen, kommt dabei aber manchmal etwas zu grimmig rüber. Dafür findet man auch hier tiefe und gute Informationen, die die Mainstream-Medien aus welchen Gründen auch immer liegen lassen. Diese bedienen sich dafür umgekehrt lt. US-Wikipedia oft aus dem Blog, der insbesondere gern die Investmentbank Goldman Sachs aufs Korn nimmt und über profunde Informationen aus dem Institut verfügt.

In beiden Blogs schreiben jeweils Profis und Praktiker aus der Finanz- bzw. Wirtschaftsbranche und überbrücken gekonnt die Distanz, die angesichts vieler komplexer Themen zwischen Lesern und Praxis besteht. Beim Business Insider wird die Schreibe unterstützt durch Profis aus der Medienbranche, was man dem flüssigeren Lesestil anmerkt.

In Deutschland fehlt eine vergleichbare Webseite, die Wirtschafts- und Finanzinformationen in der Art von BI und ZH aggregiert und gelegentlich bissig und kompetent kommentiert. Ich hatte bereits in anderen Beiträgen darüber geschrieben, dass es großartig und sogar unterhaltsam wäre, wenn man häufiger wirtschaftswissenschaftliche Studien lesbar zusammenfasst (Vorbild sind hier ganz klar die Ökonomieseiten des Handelsblatts) und solche Erkenntnisse noch mehr in die Berichte über Aktivitäten in der Wirtschaftspraxis und –politik einfließen ließe. Leser könnten dann noch schneller den Blödsinn von Plattitüden wie “die Fusion von Porsche und VW folge einer industriellen Logik” erkennen.

Wie bereits in anderen Beiträgen betont, ist es nicht so, dass solche Informationen in Deutschland nicht erhältlich sind. Man muss sie sich aber erst mühsam aus verschiedenen Quellen, darunter aus vielen erstklassigen Blogs, zusammensuchen. Dazu hat nicht jeder Zeit.

Und bevor jetzt hier die Nörgler auf Fehler auf ZH und BI hinweisen. Natürlich sind auch die nicht perfekt. Dafür pflegen beide Blogs ja auch eine bemerkenswerte Kommentarkultur.

Lothar Lochmaier Mai 11, 2011 um 10:28 Uhr

Hallo nochmal,

sehe ich ähnlich. Wer Geld nur dann investiert, wenn er die Zukunft klar voraus sieht, hat auf diesem Spielfeld nun wirklich nichts zu suchen. Denn die Zukunft genört nicht den Absichernden, sondern den Mutigen. Aber: Auch wir, die Blogger, müssten dazu lernen, ich glaube auch hier kocht – etwas deutsch – jeder viel lieber sein eigenes Süppchen (soviel zum Thema engagiertes Kernteam). Jedem sein Leib-und-Magen-Blog. Bei vernetzten Initiativen muss man ganz anders denken – das zeigen auch bislang zahlreiche gescheiterte Projekte zum „Bürgerjournalismus 2.0“. Bei komplexen Themen rund um Finanzen und die Wirtschaft gilt das erst recht. Aber vielleicht spielt die Zeit uns ja in die Hände, und irgendwann laufen die internen und externen Fäden wie von Geisterhand gestrickt zusammen.

Lothar Lochmaier Mai 10, 2011 um 07:17 Uhr

Hallo Herr Elsner,

habe vergangene Woche einen Vortrag zum Thema „Wirtschaftsjournalismus in der Krise?!“ gehalten, wo ich die amerikanischen Vorbilder natürlich auch als eine erste vorsichtige Blaupause skizziert habe. Wirklich spannend, ob wir hier ein ähnliches Format in Deutschland, im Land der Bedenkenträger und irgendwann hemmungslosen Kopierer, sehen werden. Wer Visionen hat, sollte nicht unbedingt gleich zum Arzt gehen, aber sie hier umzusetzen, scheint nicht leicht. Mein Eindruck: Auch die Bloggerszene aus Wirtschaft und Finanzen glaubt noch nicht so recht, dass sowas auch wirtschaftlich erfolgreich hier funktionieren kann, berechtigt oder unberechtigt, was meinen sie?

dels Mai 10, 2011 um 14:24 Uhr

Hallo Herr Lochmaier,
vielleicht ist das der entscheidende Unterschied zu den USA. Wir wollen erst einmal einen Beweis, dass es funktionieren kann und argumentieren und prüfen so lange, bis das Fenster sich wieder schließt. In den USA wird erst einmal gemacht, probiert und modifiziert bis es klappt. Erst wenn jemand aus Deutschland nach den Gründen für den Erfolg fragt, versucht man diesen zu erklären.

Für die Umsetzung eines Konzepts wie Business Insider in Deutschland bedarf es zunächst einer Handvoll hoch engagierter und motivierter Personen. Das Potential dafür ist in jedem Fall vorhanden. Daneben braucht es einen Kapitalgeber, der bereit ist, das Risiko zu tragen. Wenn mit dem Risikokapital die Rente finanziert werden soll, dann sollte er es lieber nicht wagen. Wenn er aber bereit ist, etwas Neues zu probieren mit großen Chancen auch für den persönlichen Ruf, dann gibt es bei einem solchen Projekt kaum etwas zu verlieren.

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