Der Sommercrash 2011: Drei überraschend bittere Börsentage

by Dirk Elsner on 4. August 2011

Ja, die vergangenen drei Tage an der Börse schmeckten so richtig bitter. Ob es nahrhafter oder noch fetter wird, weiß natürlich niemand. In jedem Fall bezeichne ich das, was wir in den vergangenen Tagen gesehen haben an den Aktienmärkten als Börsencrash, egal, ob das einer akademischen Definition entspricht oder nicht. 10% Kurseinbruch in drei Tagen haben Crashcharakter (gerechnet vom Tagehoch am Montag bis zum gestrigen Tiefstkurs).

imageMich hat diese Kursentwicklung überrascht. Und wer jetzt sagt, ihn habe das nicht überrascht, dem nehme ich das nicht wirklich ab. Ein Crash kommt erst einmal aus dem Nichts und wird dann erklärt, wenn er da ist mit Gründen, die alle vor dem Crash bekannt waren. Das ist immer so. Und auch für diesen Aktiencrash liegen bereits etliche Erklärungen vor. Gewöhnlich ignoriere ich die Ansätze, weil ad hoc Erklärungen nicht hilfreich sind und man erst in zwei oder drei Jahren wirklich wird erklären können, was eigentlich in diesen Wochen und Monaten genau mit welchen Wirkungen passiert ist.

Schnelle Erklärungen dienen eigentlich nur der psychologischen Beruhigung der Anleger. Ob das Verhalten der Anleger dabei wirklich von Angst getrieben wird, wie das gestern in einigen Beiträgen zu lesen war, glaube ich zwar nicht. Dennoch dürfte eine gewisse Unruhe viele Anleger gepackt haben, weil im Moment wieder große Vermögenssummen zersetzt werden.

Zum Börsencrash im Herbst 2008 hatte ich hier einmal einen Beitrag über die Ursache der Anlegerängste geschrieben. Eine mögliche Hilfe, die Ängste zu bekämpfen liegt darin, möglichst viele Erklärungen zu sammeln. Daher vielleicht auch der große Informationsbedarf.

Bemerkenswert an den letzten Tagen finde ich, dass wir in Deutschland die stärksten Einbrüche zu verzeichnen haben. Eine Erklärung dafür versucht Norbert Häring in: “Die Angst ist zurück”. Er schreibt u.a.

“Die USA sind die führende Wirtschaftsmacht. Sie haben die Leitwährung und das Kapitalmarktzentrum. Sie werden irgendwie durchkommen. Notfalls wertet der Dollar kräftig ab, so dass die amerikanischen Exporteure mehr exportieren, die Multis mehr Dollar für ihre im Ausland verdienten Gewinne bekommen, die amerikanischen Produzenten preislich  im Inland gegen Importkonkurrenz besser bestehen können – und die Staatsschuld, die auf Dollar lautet, entwertet wird.

All das hilft den USA  und schadet denen, die amerikanische Anleihen oder Aktien halten, nach Amerika exportieren oder mit amerikanischen Unternehmen in Konkurrenz stehen, also den europäischen Banken und Unternehmen. Das erklärt, warum schlechte Wirtschaftsdaten aus den USA bei uns zu überproportional großen Kursrückgängen geführt haben.”

Solche starken Abwärtsbewegungen gehen immer auch einher mit sehr ausgeprägten Liquiditätseffekten, die ich einmal auf Basis des Buches von Rick Boostaber: “Teufelskreis der Finanzmärkte” in diesem Beitrag skizziert hatte. Sehr kurz gefasst rühren diese Effekte daher, dass in solchen Zeiten sich Großanleger bzw. Finanzinstitutionen aus verschiedensten Gründen von ihren Beständen trennen oder mehr Sicherheiten hinterlegen müssen.

Andere Großanleger, die sonst kaufen würden, halten sich vorübergehend mit Investitionen zurück, weil sie dies wissen und hoffen, die Papiere noch günstiger bekommen zu können und das Ende der Unsicherheit abwarten. So setzt eine sich selbst verstärkende Abwärtsspirale ein. Verstärkt wird diese durch andere prozyklische Aktivitäten, wie etwa durch ETFs, deren Käufer sich plötzlich von ihren Fonds trennen und die dann ihrerseits Material auf den Markt werfen müssen. Na, ja und viele weitere nicht berechenbare Effekte beeinflussen in solch dynamischen Situation die Marktsituation. Das wird garniert mit entsprechenden Schlagzeilen in den Medien und den genretypischen Untergangsprognosen von Roubini, Faber und Co.

Aber ich wollte ja gar nicht nach Erklärungen suchen.

Mir fallen jetzt noch ein paar Sätze ein, die ich aber eher in die Kategorie Phrasen packe und die nicht wirklich hilfreich sind, also lasse ich es für heute und schau mal, wie sich der heutige Tag entwickelt.

Impressionen aus Presse und Blogs

 HB: Wall Street Achterbahnfahrt endet im Plus: Der Schuldenstreit in den USA ist vorerst beigelegt, doch die schlechten Nachrichten gingen der Wall Street zunächst nicht aus. Am Abend schafften die Märkte aber die Wende.

FAZ: Welt-Konjunktur – Ernüchterung an den Aktienmärkten: Die Schuldenkrise und die Angst vor einer Rezession in Amerika verunsichern Anleger. Trotz Kursverlusten loben Analysten deutsche Aktien. So stünden besonders die deutschen Unternehmen trotz der Furcht vor einem Wirtschaftsabschwung gut da.

acemaxx-analytics: Eurozone gerät aus den Fugen: Die Angst vor einem anhaltenden Abschwung in den USA und in Europa treibt Anleger in Panik. Die Rendite der deutschen Bundesanleihen mit 10 Jahren Laufzeit ist inflationsbereinigt auf Null Prozent gefallen. Das ist historisch einmalig. Die Rendite der vergleichbaren italienischen und spanischen Anleihen sind über die Marke von 6% geklettert.

Investors Inside: Wird die DAX Talfahrt heute gebremst?

FTD: Finanzmärkte in Krisenstimmung: Ob Unsicherheit über die Gesundheit der Euro-Zone, US-Schuldendebatte, Quartalszahlen von Unternehmen oder Konjunkturdaten: Über die Anleger bricht eine Flut vorwiegend schlechter Nachrichten herein

SZ: Derivate— Wetten auf den Crash: Investoren versichern sich gegen die nächste Finanzschmelze – obwohl die große Katastrophe so unwahrscheinlich erscheint wie die Begegnung mit einem schwarzen Schwan. Doch statt viel Geld machen sie mit den riskanten Wetten meist Verluste. Deshalb rät ein Experte: Horten Sie ihr Bargeld!

FAZ: Staatsanleihen – Flucht in die Sicherheit an den Anleihemärkten: Anleger suchen Zuflucht in Ländern, die derzeit als „sichere Häfen“ angesehen werden. In Europa profitieren besonders die Märkte für Staatsanleihen aus Skandinavien und der Schweiz von einer lebhaften Nachfrage.

Spon: Konjunktursorgen – Dax fällt und fällt: Die Schuldenkrise in Europa und den USA hält die Finanzmärkte in Atem: Der Dax fällt zeitweise unter 6700 Punkte – es droht der sechste Minustag in Folge. Händler fürchten eine Abkühlung der Weltkonjunktur.

Alphaville: Meltdown [updated — to rollercoaster]

Guardian: Debt crisis: Stock markets take fright over health of global economy: By late afternoon the FTSE 100 was down 138.22 points at 5580.17 with the French CAC and German DAX indices down 2% and 3.5% respectively

LL August 4, 2011 um 13:32 Uhr

Norbert Härings Erklärung ist, und bleibt meiner Meinung nach, ein sehr kläglicher Versuch. Dass die USA „notfalls“ den Dollar kräftig abwerten könnten ist absoluter nonsens! Die Amerikaner können es sich nicht im geringsten „leisten“ China, als ihren größten Kreditgeber, dermaßen zu verärgern.

egghat August 4, 2011 um 09:27 Uhr

Der Goldkurs sagt schon lange, dass die Angst nie weg war 😉 Wann der Crash kommt, weiss natürlich der Goldkurs nicht, genau wie jeder andere auch nicht.

Allerdings gibt es natürlich sehr unklare Signale. Denn wenn die jetzige Angst ein Angst vor dem Wertverlust des Dollars und des Euros wäre, dürften die US-Staatsanleihen und die Bundesanleihen nicht wieder auf Rekordhochs stehen.

IMHO ist die jetzige Krise keine Vertrauenskrise der Währungen, sondern Angst vor einem Abschwächung Konjunkturrückgang. Der Crash begann mit den desaströsen BIP Zahlen am Freitag (inkl. der heftigen Abwärtskorrekturen der Vergangenheit), es kam ein schwacher ISM, schlechte Zahlen aus China, etc. Gerade China und Indien machen mir Sorgen. Es gibt dort inverse Zinsstrukturen, die Notenbanken haben die Zinsen so weit angehoben, dass die kurzen Zinsen über den langfristigen Zinsen liegen. Das ist einer der zuverlässigsten Indikatoren für einen deutlichen Wachstumsrückgang, anders herum gab es in den USA in den letzten 40 Jahren keine Rezession, der keine inverse Zinskurve vorausging.

Also: Auch wenn der Goldkurs die Konjunkturangstthese nicht unbedingt stützt, das große Bild mit steigenden Anleihekursen (die inzwischen zu negativen Realzinsen geführt haben) und fallenden Aktienkursen erklärt nichts anderes besser.

joha August 4, 2011 um 08:36 Uhr

Danke für die Einschätzung. Kann man irgendwo die Handelsvolumina der großen Börsen bzw. auch der einzelnen Sparten in Echtzeit sehen? Finde auf Anhieb nur Monatsübersichten.

dels August 4, 2011 um 12:04 Uhr

Es gibt ja von Boerse-go.de Branchentracker. Ich weiß freilich nicht, ob dort auch Intraday-Umsätze mit angezeigt werden kann ich hier und mobil nicht ausprobieren. Unter http://www.boerse-go.de/tools/uebersicht
gibt es das Tool Sektor-Analyse Europe 1.0
Ich werde mal heute Abend schauen, ob ich das funktioniert.

dels August 4, 2011 um 08:06 Uhr

Ich denke, dass die Urlaubszeit in solchen Tagen keine besondere Rolle spielt. Hinter den großen Tradern stecken ja meist Unternehmen, von denen stets nur ein Teil im Urlaub ist. Keine professionelle Position wird heute mehr für einen Urlaub „allein“ gelassen. Die urlaubenden Privatanleger spielen hier keine Rolle.

joha August 4, 2011 um 06:53 Uhr

Danke für die ehrliche Ratlosigkeit und den guten Beitrag. Kurze Frage: Wie stark fällt Deiner Meinung nach ins Gewicht, dass viele Trader im Urlaub sind und deshalb bei vergleichsweise kleinen Handelsvolumina große Kursveränderungen ausgelöst werden können? Das ist sicherlich nicht die Erklärung für den allgemeinen Kursrückgang, dürfte aber meiner Ansicht nach verstärkend wirken.

Comments on this entry are closed.

{ 3 trackbacks }

Previous post:

Next post: