Der Teufelskreis der Finanzmärkte oder warum Banken lieber schweigen

by Dirk Elsner on 12. April 2010

image

Grüne Ampel an der Wall Street. Rot für Fußgänger

Ich habe bisher mit Ausnahme von Storbecks Jahrhundertkrise bewusst kaum Bücher zur jüngsten Finanzkrise gelesen, weil ich ziemlich sicher bin, dass die gesamten Zusammenhänge dieser Krise weder klar noch verstanden sind. Die besten Bücher, die bestimmte Ereignisse und Versäumnisse erklären können sind vor der Krise erschienen. Dazu gehören nach meiner Ansicht Talebs “Narren des Zufalls”, Jason Zweigs “Gier” sowie die Bücher von Robert Shiller, dessen gemeinsam mit George Akerlof geschriebenes Buch “Animal Spirits” zwar nach der Lehman-Pleite veröffentlicht wurde, jedoch langer vorher begonnen wurde.

Ein weiteres sehr lesenswertes Buch habe ich über Ostern in der leider schlecht übersetzten deutschen Fassung gelesen: “Teufelskreis der Finanzmärkte: Märkte, Hedgefonds und die Risiken von Finanzinnovationen” . Die Originalausgabe ist mit dem Titel “A Demon of Our Own Design” im April 2007 erschienen. Bookstaber kannte ich bereits von einigen wissenschaftlichen Veröffentlichungen aus meiner Studienzeit. Er schreibt in dem Buch aus erster Hand über die Praxis aus Investmentbanken und Handelsmaklern und ihre Rollen in den zentralen Finanzkrisen und Börsencrashs seit 1987. Er selbst geht sogar einen Schritt weiter und macht sich selbst mit verantwortlich für den Crash 1987 und das LTCM-Debakel von 1998.

Bookstaber, der mittlerweile als Senior Policy Adviser für die US-Börsenaufsicht SEC arbeitet, erlaubt einen sehr intimen und detailreichen Einblick in die Mikropolitik der Top Player der Wall Street. Dieses Buch erhellt verschiedenste Facetten der Finanzindustrie. Bookstaber lässt dabei glücklicherweise den moralischen Zeigefinger unten, wundert sich aber, dass die Kluft zwischen den Erträgen auf normale Vermögensanlagen und den Erträgen der Profis von der Wall Street immer größer wird.

Bookstaber beleuchtet die zum Teil perfide aber auch intelligente Kreativität, mit der es immer wieder einzelnen Instituten bzw. Teams gelingt, Marktineffizienzen vorübergehend auszunutzen. Ich hatte bereits an anderer Stelle einmal geschrieben, dass Finanzgeschäfte im Prinzip unglaublich simple sind, denn es geht einzig um die Modellierung bedingter und unbedingter Zahlungsströme in Gegenwart und Zukunft sowie den den dazu notwendigen Vereinbarungen. Welche Komplexität und welche Abhängigkeiten daraus entstehen können, zeigt Bookstaber anhand verschiedener Marktkrisen sehr eindrucksvoll.

Anhand verschiedener Beispiele wird deutlich, wie die großen Marktteilnehmer Abweichungen von den postulierten Ergebnissen der Effizienzmarktthese versuchen, für sich gewinnbringend zu nutzen. Irgendjemand entdeckt eine Marktineffizienz, die sich durch wie auch immer gestaltete Trading-, Hedging- oder Arbitragestrategien für eine bestimmte Zeit ausnutzen lässt. Manche dieser Ineffizienzfenster sind nur für Minuten offen, andere über Jahre.

Aber gerade die über Jahre erfolgreichen Strategien bergen die größten Risiken, weil sie irgendwann aus welchen Gründen auch immer zusammenbrechen. In den meisten Fällen, die Bookstaber, der im Risikomanagement von Morgan Stanley und Salomon Brothers gearbeitet hat, darstellt, sind es erklärbare oder unerklärbare Modellfehler, kleine Parameter in den Berechnungen, deren Annahmen sich geändert haben oder schlicht versagende Technik, die zu einem Crash führen können.

Sehr eindrucksvoll skizziert Bookstaber den Liquiditätseffekt von Informationen über Bestände und Transaktionen. Als Salomon Smith Barney etwa 1998 sein über lange Zeit sehr erfolgreiches und hoch bezahltes Arbitrageteam auflöste, weil es nur noch hohe Verluste einfuhr, sprach sich dies sehr schnell am Markt herum. Dazu wies der damalige CEO von Salomon Smith Barney, Jamie Dimon (heute CEO von JP Morgan), an, diese Information öffentlich zu machen. Da wesentliche Mitspieler und Konkurrenten wussten, welche Bestände hinter den Arbitragegeschäften steckten, begann der Handel in diesen Instrumenten zu stocken. Niemand wollte der erste sein, der Salomon Swaps, Anleihebestände etc. abnahm, weil man aufgrund der Größe des Portfolios damit rechnete, dass der erhebliche Preisdruck sich verstärken würde. Verstärkt wurde damals dies Marktstockung durch die Russlandkrise, die ihrerseits die Unsicherheit erhöhte.

Die Auflösung des Arbitrageportfolios und die Russlandkrise wiederum setzen damals den Hedge Fonds “Long-Term Capital Management” unter starken Druck. Dieser Fonds geriet dadurch und aufgrund falscher Modellberechnungen bzw. Fehleinschätzungen der Russlandkrise in einer Liquiditätskrise, die wiederum einen Börsencrash auslöste.

Die Lektüre des Buches unterstreicht einmal mehr, warum Finanzhäuser in Krisenzeiten besonders still sind. Sie fürchten zu Recht, wenn andere Marktteilnehmer ihre Bestände kennen und dazu wissen, dass sich ein Institut in einer schwierigen Situation befindet, dass dies unmittelbaren Einfluss auf die Marktpreise und damit auch auf die Liquidierbarkeit von Beständen hat. Es ist wie bei einem Pokerspiel. Ein “Tell” lässt den Mitspielern Rückschlüsse auf Bestände und Verhalten zu und kann damit erheblichen Einfluss auf die Bewertungen und vor allem auf die Liquidität haben. Bevor also etwas verraten werden könnte, zeigt man eher gar keine Regung, setzt also ein Pokerface auf und verheimlicht so Missstände. Dieses Verhalten halte ich für vollkommen rational.

Erstaunlich an den Schilderungen von Bookstaber ist, welche nachgeordnete Rolle institutionelle Anleger in verschiedenen Krisen gespielt haben. Bookstaber bezeichnet sie als Liquiditätslieferanten, die insbesondere dann willkommen sind, wenn sich großer Häuser geräuschlos von Beständen trennen wollen. Selbst beste institutionelle Investoren erhalten im Zweifel, nämlich dann, wenn es der Investmentbank schadet bzw. nicht nützt, nicht alle notwendigen Informationen über bestimmte Geschäfte bzw. deren mittel- bis langfristige Konsequenzen.

Bookstaber kommt bereits in dieser Probe nachlesbaren Einleitung seines Buches zu dem Schluss, dass die großen Krisen nicht vorbei sind. Damit hat er ohne Zweifel 2007 recht gehabt. Und dies wird auch für die weitere Zukunft gelten.

Trotz modernster Informationstechnik sind die Informationsasymmetrien immer noch erheblich. Die umfangreiche Marktregulierung führt außerdem dazu, dass es immer wieder Ineffizienzen geben wird. Daneben wird man nie das komplette Risiko kontrollieren können, denn “das wahre Risiko ist dasjenige, das man nicht sieht.”

Das Buch strotz nur so vor weiteren Anregungen, die hier unberücksichtigt bleiben müssen und genügend Stoff für viele weitere Beiträge geben. Bookstaber entlarvt mit dem Werk aber auch die die post-hoc-Erklärungen der Finanzberichterstattung sowie die Arbeit von Finanzanalysten als Anekdoten, die den Blick von den eigentlichen Hintergründen ablenken.

PS

Bookstaber hatte übrigens gemeinsam mit Nassim Nicholas Taleb einen Auftritt vor einem Ausschuss des US-Kongresses. Siehe dazu Bericht im Blick Log.

Previous post:

Next post: