Es sind turbulente Wochen an den internationalen Finanzmärkten, die aktuell Themen ohne Ende liefern. Die gestrige Erholungspause an den “Märkten” gestattet einen Blick auf ein Thema, das uns vielleicht schon bald mehr beschäftigen könnte.
Die risikofreie Kapitalanlage spielt sowohl in der Wirtschaftspraxis als auch in der Finanzmarkttheorie eine große Rolle. In der Wirtschaftspraxis, weil viele Privatanleger und Institutionelle nach Anlageformen suchen, um ihr Geld krisensicher zu parken. Daneben erwarten Unternehmen, dass ihre bei Banken auf Giro- und Festgeldkonten parkende liquiden Mittel dort vor Ausfällen sicher sind. In der Wirtschaftstheorie arbeiten zahlreiche Bewertungsmodelle mit dem risikofreien Zins etwa für Anlage- und Risikomodelle mit.
Der risikofreie Zinssatz , so definiert es die Wikipedia recht treffend, “ist ein Zinssatz, der auf einem Markt für eine Geldanlage bei einem Schuldner gezahlt wird, bei dem nach allgemeiner Ansicht kein Risiko besteht, dass Zinsen und Rückzahlung nicht pünktlich geleistet werden können (= kein Ausfallrisiko besteht).” Es geht also nicht um das Zins- oder Liquiditätsrisiko dieser Anlage, sondern allein um die Annahme, dass dieser Schuldner für die Laufzeit seine Verbindlichkeiten mit einer Wahrscheinlichkeit von 100% vereinbarungsgemäß seine Zins-, Tilgungs und sonstige Verpflichtungen erfüllt.
Die Rendite „risikofreier“ Kapitalanlagen wird in der Bewertungspraxis als gegeben angenommen oder gilt als leicht ermittelbar, schrieb Eric Schreyer im Blog Valuation in German (und so auch die Standardlehrbücher zur Kapitalmarkttheorie). Und er fährt fort: “Bei genauerer Betrachtung ist die Ermittlung einer Rendite für „risikofreie“ Anlagen jedoch durchaus problematisch.” Auf diese Probleme geht er in seinem Blogeintrag ein und verweist außerdem auf ein Working Paper der Stern School of Business von Aswath Damodaran: What is the riskfree rate? A Search for the Basic Building Block.
Aber lassen wir die Theorie. Als risikofreie Geldanlage galten in der Vergangenheit insbesondere Anlagen in Schuldpapiere der Bundesrepublik, Frankreich oder der USA. Spätestens mit dem Downgrade der USA durch die Rating-Agentur S&P dürfen Schulden der USA aber nicht mehr als risikofreie Anlage betrachtet werden.
Aber auch Schulden Deutschlands, die oft als risikofrei gepriesen werden, sind nicht frei von Ausfallrisiken. Dies zeigen die Preise für Kreditausfallversicherungen. Der Preis einer Kreditausfallversicherung für eine risikofreie Anlage müsste Null betragen. Für die Versicherung deutscher Schulden sind aber die Preise im Zuge der Schuldenkrise und der (potentiellen) Belastung durch die europäischen Rettungsmechanismen vergleichsweise stark angestiegen, wie der folgende Chart zeigt.
Orange: Deutschland, grün USA
Quellen: Deutschland: http://www.bloomberg.com/apps/quote?ticker=CDBR1U5:IND
USA: http://www.bloomberg.com/apps/quote?ticker=CT786896:IND
OK, schlichte Gemüter könnten fragen, wer denn eigentlich eine Versicherung auf einen der besten Schuldner dieses Planeten anbietet und diese im Fall eines Kreditereignisses (= Deutschland zahlt nicht vereinbarungsgemäß zurück) auch erfüllen kann. Ökonomen fragen sich eher, wie lange Deutschlands AAA noch hält, wenn die Verpflichtungen des Landes immer größer werden und der Kreis der mithaftenden Länder in der Eurozone für die Rettungsfonds immer weiter schrumpft. Das Handelsblatt zitierte dazu gestern den Ökonomen Kenneth „Diesmal ist alles anders“ Rogoff:
„Um den Euro zu erhalten, werde zudem vor allem Deutschland für die Schulden der anderen Mitgliedstaaten einstehen müssen – im schlimmsten Fall auch für Frankreich. Dann könne berechtigterweise auch die Rating-Bestnote „AAA“ in Gefahr sein.“
Ich brauche dazu freilich nicht Rogoff als Zeugen. Allein die oben aufgezeigte Preisentwicklung der Kreditversicherungen zeigt sehr gut, dass viele professionelle Marktteilnehmer Schulden Deutschlands seit dem Herbst 2008 gerade nicht mehr als absolut sicher ansehen. Und gestern hat dies auch die FAZ aufgegriffen.
Was bedeutet dies nun für Privatanleger? Sie müssen sich dringend vom weit verbreiteten Mythos einer risikofreien Kapitalanlage befreien. Diese gab es nie und wird es nie geben. Wirklich deutlich gemacht hat dies nicht zuletzt die Finanzkrise 2008/09, die durch die jüngste Schuldenkrise in die Verlängerung gegangen ist. Sogar für Spareinlagen gilt, dass sie selbst dann nicht vollkommen risikofrei sind, wenn der Bund sie, wie 2008 geschehen, garantiert.
Das „sicher ist sicher“ gibt es bei keiner Anlageform. Es ist allenfalls eine Marketingaussage, um Oma Stopka zur Anlage ihrer Ersparnisse zu bewegen.
Was abschließend natürlich interessant zu wissen wäre, ist die Wirkung eines Verzichts der Annahme des risikofreien Zinses auf die zahlreichen finanzmathematischen Bewertungsmodelle, die auch Eingang in die Bewertungspraxis der Banken finden. Vielleicht liest ja der eine oder andere Ökonom mit und kennt die Antwort oder untersucht das Thema.
Nachtrag vom 11.8.11
Am heutigen Tag bekam das Thema steigender Kreditversicherungsprämien für Deutschland plötzlich noch mehr Umdrehungen. Das Handelsblatt titelte bereits gestern: Investoren wetten gegen Frankreich und Deutschland und schrieb heute: „In der Schuldenkrise könnte auch Deutschland in schwieriges Fahrwasser geraten. Darauf deuten die gestiegen Kosten für Kreditausfallversicherungen hin. Ein Ökonom schlägt Alarm und fordert, die Angriffe abzuwehren.“
Ein Aspekt der genannten Wikipedia Definition erscheint mir wesentlich: „während der Laufzeit“ Also wenn überhaupt, könnte es immer nur für bestimmte Zeiträume einen risikofreien Zins geben. Betrachtet man die Angelegenheit weiterhin abstrakt, so kann der risikofreie Zins nur risikofrei bleiben, wenn sich in diesem Zeitraum die Bedingungen, Umstände nicht ändern.
Dies spiegelt ja auch mit Einschränkungen die Realität der Vergangenheit wider. Nun hat sich ja in der jüngeren Vergangenheit der „Markt“ rasant geändert (neue Finanzprodukte, neue bedeutende internationale Marktteilnehmer, die wiederum aufgrund kulturell bedingter Heuristiken anders handeln/entscheiden), die Rahmenbedingungen sind also anders. Für mich also verständlich, warum es JETZT keinen Risikofreien Zins gibt.
Damit kann ich mir wider künftige Perioden vorstellen, in denen es einen risikofreien Zins ( zugegeben ist „risikofrei“ hier unscharf definiert) . Aber eben wieder nur temporär. So ganz zufrieden bin ich mit diesem Erklärungsansatz auch nicht, er erscheint mir aber als Ausgangspunkt für aktuelle Anlageentscheidungen sinnvoll.
Sie schreiben …Als risikofreie Geldanlage galten in der Vergangenheit insbesondere Anlagen in Schuldpapiere der Bundesrepublik, Frankreich oder der USA… und die Schweiz? Oder wieso geht denn jetzt der Franken hoch? Doch weil es eine (vermeintlich?) sichere Anlage ist, oder?
P.S: Chart für die Kreditausfallversicherung der Schweiz?
Auch für die Schweiz gilt diese Aussage.
Ich sage übrigens nicht, dass alle Geldanlagen hochriskant sind, sie sind halt nur nicht risikofrei. Die letzten Jahre haben doch deutlich gemacht, dass sich alle Mythen von sicheren Häfen schnell wieder auflösen können. Ich erinnere für die Schweiz nur an die Turbulenzen der großen Banken vor drei Jahren.
Hallo Dirk,
gut, dass Du dieses wichtige Thema aufgreifst. Der in der Bewertungstheorie gebildete Begriff „risikofreie“ Kapitalanlage ist bloß ein theoretisches Konstrukt. Das ist den Theoretikern aber auch klar. Aus meinem von Dir zitierten Beitrag:
„Theoretisch ist die risikofreie Rendite die Rendite eines einzelnen Wertpapiers oder eines Wertpapierportfolios ohne jegliches Ausfallrisiko und ohne Korrelation mit den Renditen anderer Kapitalanlagen. Insofern handelt es sich bei dem risikofreien Zinssatz um ein theoretisches Konstrukt. Der beste Näherungswert wäre die Rendite eines Portfolios, dessen Zusammensetzung aus kurz- und langfristigen Wertpapieren die Abweichung des Risikos von null auf ein Minimum reduziert. Doch aufgrund der hohen Kosten und Schwierigkeiten, die mit der Zusammenstellung solcher Portfolios verbunden sind, scheidet dieser Weg zur Bestimmung der risikofreien Rendite aus.“
Die auch in Deutschland seit Jahren gebräuchlichen Discounted Cash Flow – Verfahren sind Gleichgewichtsmodelle und der Zins für eine „risikofreie“ Kapitalanlage ist nur eines ihrer theoretischen Probleme. Sinnvoller als Gleichgewichtsmodelle sind Entscheidungsmodelle, wie sie die „Funktionale Unternehmensbewertung“ bietet. Darin unterliegt der Kapitalisierungszinsfuß einem individualisierten und ökonomisch sinnvollen Kalkül. 2010 ist dieses Modell auch in den USA sehr erfolgreich publiziert worden:
http://valuation-in-germany.blogspot.com/2010/11/fundamentals-of-functional-business.html
Nach wie vor ist dieser Artikel dort auf Platz 1 der am häufigsten heruntergeladenen wisschenschaftlichen Beiträge zum Thema „Valuation“. Das Traurige an der Geschichte ist, dass die USA uns bald ein auf diesen deutschen Arbeiten basierendes Bewertungsmodell präsentieren werden, dass wir dann nur noch adaptieren können.
Die Lösung des gordischen Knotens wäre ein Bewertungsmodell OHNE Kalkulationszinsfuß. Das „Allgemeine Modell“ der „Funktionalen Unternehmensbewertung“ bietet dafür einen theoretischen Rahmen. Aus meinem Beitrag „Unternehmensbewertung im 21. Jahrhundert“:
„Die Konsequenzen einer expliziten Berücksichtigung aller im Falle des Nicht – Kaufes des Unternehmens vorgesehenen Investitions- und Finanzierungsmaßnahmen des präsumtiven Käufers sind in der Literatur zuerst von JAENSCH und SIEBEN diskutiert worden. Diese beiden Autoren überführen das Problem der Grenzpreisermittlung in ein Programmplanungsmodell von der logischen Struktur des so genannten Knapsack – Problems.
Als Lösung dieses Problems ergibt sich diejenige Kombination von Variablen, die unter den zulässigen Kombinationen die wenigsten Mittel beansprucht und somit den höchsten Geldbetrag für den Erwerb des Unternehmens freisetzt. Die Zurückführung des Grenzpreisproblems auf dieses Capital – Budgeting – Modell bringt den Vorteil mit sich, dass der Kalkulationszinsfuß überflüssig wird.
Angesichts der Schwierigkeiten, unter den Bedingungen des unvollkommenen Kapitalmarktes einen entscheidungstheoretisch vertretbaren und zugleich praktisch brauchbaren Kalkulationszinsfuß abzuleiten, muss der Nachweis der Möglichkeit einer Bewertung ohne Kalkulationszinsfuß als Lösung eines „Gordischen Knotens“ erscheinen.“
Links für diejenigen, die etwas tiefer in die Thematik einsteigen möchten:
http://valuation-in-germany.blogspot.com/2010/01/unternehmensbewertung-im-21-jahrhundert.html
http://valuation-in-germany.blogspot.com/2010/02/der-marktpreis-des-risikos-in-der.html
Beste Grüße
Eric
Comments on this entry are closed.
{ 3 trackbacks }